413. Der Poltergeist zu Nordhausen.

[353] Die Stadt Nordhausen ist im Jahre 1710 und 1712 zweimal durch Brand verheert worden, bei dieser Gelegenheit ist namentlich die Sieckel'sche Familie hart betroffen worden,500 also daß sie zuerst nur ein kleineres, und erst 1720 ein größeres Haus auf der Brandstätte erbauen lassen konnte. Es wohnte daher die ganze ziemlich große Familie in dem kleinen Hause, wo es aber sehr enge zuging, und als nun das große fertig wurde, konnte es der erwachsene Sohn des Hauses nicht erwarten, eine bequemere Wohnung zu erhalten, er zog sofort in eine kaum ausgebaute Kammer in der zweiten Etage. Ohngeachtet nun sowohl die Haus- als Hofthüre des Hauses wohl verwahrt und verschlossen waren, wurde er doch sofort nach seinem Einzuge fast alle Nächte gewahr, daß sich unten vor seiner Kammer, vor welcher eine Treppe vorbei auf den in der andern Etage befindlichen Saal ging, im Hause ein starkes Geräusch und Getrapp erhob, als wenn ein Mensch mit heftigen Schritten in gedachtem Hause herum und von da zu der vor gedachter Kammer belegenen Treppe hinauf und auf dem Saale auf den über die Balken des Fußbodens lose gelegten Brettern oft länger als eine Stunde spazieren ging, und wenn es sich genug hatte hören lassen, alsdann wieder die Treppe herunter, nicht anders als ein starker Mann mit Stiefeln, ging und noch eine lange Weile unten im Hause herumvagirte. Wenn nun der junge Sieckel am andern Morgen aufstand und nach den Thüren sah, die er selbst verschlossen und so gut er konnte verwahrt hatte, befand er solche noch in dem alten Zustande, wie er sie verlassen. Dieses nächtliche Spazierengehen und Gepolter, gerade wie wenn Jemand Bretter aufhebe und wieder auf eine andere Stelle lege, begegnete gedachtem Sieckel nicht ein, sondern viele Male, und er ward zuletzt diese Wanderung des Poltergeistes so gewohnt, daß sie ihn nicht mehr störte. Als nun späterhin die übrige Familie in dasselbe Haus zog, hörte zwar das nächtliche Herumspazieren allmählig auf, allein dafür hörten Alle, die in dem Hause wohnten, in der Nacht die von ihnen verschlossenen Thüren der Stuben, wo sie schliefen, öffnen und wieder zumachen, sonst aber widerfuhr Niemandem etwas.

500

So erzählt J. Chr. Sieckel, Nachrichten von Poltergeistern. Quedlinburg 1761. Th. I. S. 10 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 353-354.
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