424. Das weibliche Gespenst im Walde.512

[362] Es gingen in dem ersten Drittel des vorigen Jahrhunderts zwei Brüder von dem adligen Gute Opperode in der Grafschaft Hohnstein mit einander an einen bekannten Ort, wo vor nicht allzulanger Zeit die Schatzgräber nicht heimlich, sondern mit Erlaubniß der Behörde nach einem großen Schatze gegraben, auf die Jagd, und als es kaum Tag geworden, sahen sie sich in dem Walde nach Wild um, fanden aber nichts. Wie sie nun die Gewehre, welche sie bei sich trugen, wieder auf die Schultern hingen und zurück nach Hause zu gehen im Begriffe waren, erblickten sie plötzlich vor sich ein junges, wohl angekleidetes schönes Frauenzimmer. Sie betrachteten dasselbe genau und beschlossen zu ihr hinzugehen, in der Meinung, es sei ein hübsches Mädchen aus der Nachbarschaft. Sie näherten sich derselben mit starken Schritten, bis sie ihr ganz nahe kamen und sie mit folgenden Worten anredeten: »Guten Morgen, schöne Jungfrau! Wo kommt Sie denn so früh her? wer ist Sie denn? wie heißt Sie denn?« Sie gab ihnen auf die an sie gethane Frage höhnisch zur Antwort: »Ich heiße Jungfer Magdalene, vor diesem war ich die schöne, und jetzt habt Ihr mich gesehen und nun Euer Lebtage nicht wieder!« Nachdem sie diese Worte gesprochen und zwar mit einer deutlichen, aber dabei starken Stimme, kam sie alsbald aus ihren Augen und sie sahen nicht mehr, wo sie in der Geschwindigkeit hingekommen war, ob sie sich gleich deshalb viele Mühe gaben und sich nach ihr allenthalben umsahen.

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Nach Sieckel Th. II. S. 68.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 362-363.
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