433. Die Sage von der Erbauung des Erfurter und Frauenthors zu Mühlhausen.522

[370] Als der Rath der Stadt Mühlhausen den Bau des Erfurter und Frauenthores beschlossen hatte, suchte er zur Ausführung desselben einen tüchtigen Baumeister. Nun war aber der beste Baumeister der Stadt zu jener Zeit der kluge Meister Friedbert, ihm übertrug man den Bau, und weil derselbe einen ganz ausgezeichneten Gesellen Namens Engelbrecht besaß, der unbedingt an Geschicklichkeit ihm gleichkam, so theilte er sich mit diesem in die Arbeit. Letzterer übernahm den Bau des Erfurter, er aber den des Frauenthors. So arbeiteten sie unabhängig von einander Jeder nach seiner Weise, aber schon während des Baues bereute der Meister, daß er seinem Gesellen die Arbeit übertragen hatte. Er glaubte nämlich, und wohl nicht ganz mit Unrecht, wenn die Arbeit des Letztern eben so gut als die seinige ausfallen werde, würde er viel von seinem Ruhm einbüßen und nicht mehr als der geschickteste Meister der Stadt angesehen werden. Als daher nach Verlauf von 6 Wochen beide gleichzeitig ihr Werk vollendet hatten, da ließ er sich von seinem Gesellen auf das Erfurter Thor führen, um sein Werk anzuschauen; allein wie er, auf der Zinne desselben stehend, spähen und umschauen mochte, er konnte keinen Fehler entdecken, im Gegentheil, er mußte sich gestehen, dasselbe sei dauerhafter und sorgfältiger gebaut als das von ihm erbaute Frauenthor. Da ergriff ihn häßlicher Neid und als jener sich gerade über die Brüstung des Thores herabbeugte, gab er ihm von hinten einen Stoß, daß er herabstürzte. Allein er stürzte unten auf die schöne Tochter des Meisters, welche gekommen war, um sich nach ihrem Vater und Geliebten, denn dies war der Geselle, freilich ohne Wissen des Vaters, gewesen, umzusehen; dieselbe ward von der Wucht des Fallenden zu Boden gerissen und zerschmettert, und als der gottlose Baumeister von den Nattern des bösen Gewissens getrieben herbeieilte, um zu sehen, was aus seinem Opfer geworden, fand er neben dem zerschmetterten Körper desselben auch den Leichnam seiner Tochter. Wie von Furien getrieben eilte er auf und davon, um auf fremder Erde ein Grab zu suchen, die Liebenden aber deckte ein Grabstein.

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Nach Thüringen und der Harz Bd. VI. S. 34.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 370-371.
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