9. Der Kaiser und der geizige Bauer.

[442] Einst fuhr ein Bauer in Gehofen mit einem Wagen voll Getreide nach Nordhausen, um es da zu verkaufen. Die Tage waren schon kurz, die Wege schlecht, die armen Pferde keuchten unter der drückenden Last nur langsam fort und immer öfter mußten sie ruhen. Der Bauer zweifelte natürlich daran, den Abend noch nach Nordhausen zu gelangen, tröstete sich aber damit, daß er doch wenigstens Kelbra erreichen und hier die Nacht bleiben könne. Allein der Weg ward schlecht und immer schlechter, in der Gegend des Kiffhäusers ward er geradezu grundlos und plötzlich sank der Wagen mit seinen Vorderrädern in eine Vertiefung, aus welcher die matten Thiere ihn nicht zu ziehen vermochten, trotz Fluchens, Peitschens und Tobens. Da nun der Bauer sah, daß er ohne Hilfe absolut nicht weiter kommen könne, fiel er auf die Kniee und betete ein Vaterunser. Kaum war er wieder aufgestanden, so sah er vom Kiffhäuserberge herab ein Licht kommen, das sich gerade auf ihn zuwendete. »Ach«, rief er aus, »da schickt mir Gott durch Kaiser Friedrich Hilfe!« Und so war es auch, bald war das Lichtlein bei ihm, aber wer trug es? ein kleines knurzeliches Männchen, hinten und vorn mit Höcker begabt, alt und faltig. »Kann ich Dir helfen?« sprach es. »Ja, mein Lieber«,[442] antwortete Christoph – so hieß der Bauer, – »Hilfe habe ich nöthig, aber Du wirst mir wohl nicht helfen können!« und sah dabei das Männchen mitleidig an. »Das kann man nicht wissen«, entgegnete dieses, »ich will es wenigstens versuchen!« Dabei sprang er wie ein Windspiel auf den Wagen, nahm Zügel und Peitsche, hieb auf die Pferde ein und rief: »fort!« und dorthin rollte zum Erstaunen Christophs der schwere Wagen, als sei er auf dem ebensten Wege. Schon naheten sie sich dem Oertchen Kelbra, da fragte das Männchen den Bauer: »Willst Du nicht Dein Getreide verkaufen?« »Warum dies nicht!« erwiederte dieser. »Nun, so fahren wir links auf den Kiffhäuser«, und damit lenkte das Männchen links nach dem Berge zu. Es hielt den Wagen vor einer in den Berg führenden Oeffnung an und hieß Christoph abladen und die Säcke dahinein bringen. Der Bauer that's auch, drinnen aber, wo er die Säcke niedersetzte, standen viele Kisten und Kästen, alle mit Gold und Silbergelb angefüllt. Er staunte ob des Reichthums und Ueberflusses, und jedes Mal, wo er einen Sack niedersetzte, blieb er eine Weile die Schätze anstaunend stehen. Jetzt trug er den letzten hinein; da sprach das Männchen: »Nun kannst Du Dir aus den Kästen so viel Gold und Silber nehmen, als Du für Dein Getreide in Nordhausen gelöst hättest. Nimm aber nicht mehr, hörst Du, nicht mehr!« Christoph ließ sich dies nicht zweimal sagen, flugs ging er zu einem der Kasten, der nur Goldstücke enthielt, griff mit vollen Händen hinein und steckte bei, soviel nur seine Taschen fassen wollten, indem er dachte, das Männchen wisse viel von den Getreidepreisen in Nordhausen. Er kehrte hierauf zu seinen Pferden zurück, bei denen das Männchen stand, reichte ihm die Hand und sprach: »Danke schön, Vetter, wenn Ihr's erlaubt, komme ich bald wieder!« »Du hast doch nicht mehr genommen«, erwiederte das Männchen, »als ich Dir gesagt?« »Nein, nicht mehr!« »Gewiß nicht mehr?« fragte es nochmals mit betonter Stimme. »Nein, Vetter! Aber nun gute Nacht, ich will nun machen, daß ich die müden Pferde in den Stall bringe.« »Gute Nacht!« sprach das Männchen, »doch hast Du mich betrogen, hast Du Dich betrogen!« Kaum konnte der Bauer erwarten, bis er im nächsten Dorfe sich einquartiert und die Pferde in den Stall gebracht hatte. Dann ging er in seine Kammer, die ihm zur Ruhe angewiesen war, setzte sich an den Tisch, um zu zählen, wie viel er beigesteckt habe, und um seine Taschen, die ihm immer schwerer zu werden dünkten, zu leeren. Allein wie ward ihm, als er statt der Goldstücke nichts als bleiernes Geld sah! Das war nun freilich kein geringer Schreck, allein er tröstete sich damit, daß er doch den andern Morgen früh wieder auf den Berg gehen und dem kleinen Männchen sagen könne, er habe sich vergriffen und Blei für Silber gehalten, er möge ihm also dieselben wieder umtauschen, dann habe er ja immer noch das Doppelte für sein Getreide. Beruhigt durch diese Hoffnung legte er sich nieder und schlief, bis die Sonne schon den Kiffhäuser Burgthurm röthete. Da sprang er vom Lager auf und eilte den Berg hinan. Schon unten am Fuß desselben begann es zu regnen und je höher er stieg, desto mehr trübte sich der Himmel, immer dichter und dichter regnete es nieder, und als er oben war, umgab ihn dichter Nebel. Er sah nichts und hörte nichts. Sein Rufen nach dem Männchen war umsonst, er mochte noch so viel hin- und herlaufen. Da kehrte er im höchsten Ingrimm um und machte seinem Aerger durch die Worte Luft: »Hol der Teufel den Rothbart[443] mit seinem ganzen Hofgeschmeiß!« Kaum ausgesprochen, wankte der Boden unter seinen Füßen, es donnerte, blitzte, krachte und hagelte, der Bauer lief zwar schnell hinab, allein um ihn her thürmten sich Felsen auf, umschlossen ihn, stürzten mit Geprassel zusammen und zerschmetterten den Lügner und Habsüchtigen.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 442-444.
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