497. Das Heidengrab und der Ottilienstein.588

[457] Ueber der Bergstadt Suhl(a) erhebt sich der Dell- oder Döllberg, auf dessen Kuppe ein Hügel ruht, der das Heidengrab heißt. Auf diesem Hügel hat vermuthlich ein Tempel der alten Germanen gestanden, um den sich die Sachsen schaarten, als sie von Karl d. Gr. gedrängt wurden. Lange hatten die Letzteren vergeblich das Lager ihrer Gegner gesucht, bis aufsteigender Rauch es ihnen verrieth, dann aber umzingelten und erstürmten sie es, erschlugen Alle, die darin waren, und brachen natürlich auch die Mauern des Tempels. Die Leichname ruhen in dem großen Hügel, den man noch das Heidengrab nennt.[457]

Unmittelbar über der Stadt Suhl zur Linken erhebt sich steil emporsteigend die waldige Wand des Domberges, an der ein riesiger Felsblock zu Tage tritt, der sogenannte Ottilienstein. Hier wandelt eine weiße Frau herum, die auf Erlösung harrt. Das soll dieselbe Frau gewesen sein, die einst hier ein Hirte traf und die ihm weissagte, die Stadt werde bald in Feuer aufgehen. Ueber diese Prophezeiung erboste sich der Hirte so, daß er die Weissagerin vom Felsen herunterstieß; sie ging aber unversehrt vom jähen Absturz hinweg, und Suhl brannte wirklich bald nachher ab. Im Mittelalter stand auf dem Felsen, den heute ein Lusthäuschen in Form einer Kapelle ziert, eine wirkliche Kapelle, der heil. Ottilie gewidmet. Dort sah ein armer Kupferschmiedslehrling häufig zur Nachtzeit ein Lichtchen schimmern und beschloß endlich hinzugehen und nachzusehen, was es damit für eine Bewandtniß habe. Er klettert zum Stein hinauf, kommt an den Ort, den er sich genau gemerkt, und findet kein Licht. Aber ein Kober stand dort und der Kober war voll gelber Frösche. Flugs schüttete er den Kober aus – da wurden die Frösche zu eitel gelbgrünen leuchtenden Johanniswürmchen, die in die Büsche flogen. Den Kober aber nahm der Lehrling mit nach Hause, dort sah er nach, ob noch etwas darin sei, und da waren allerdings noch ein paar Frösche darin. Wie er diese aber ausschüttete, da wurden keine Johanniswürmchen daraus, sondern blanke Goldstücke. So fand einst auch die Enkelin einer armen Frau, welche in dem Lautergrunde nahe bei Suhl einen kleinen Garten hatte, mitten im Wege einen Topf, der voll lebendiger Roßkäfer war, die heraus- und herumkrochen. Das Kind sammelte einige dieser Käfer und brachte sie seiner Großmutter, die hieß es aber schnell hingehen und den ganzen Topf holen. Als aber das Mädchen wieder in den Garten zur Stelle kam, waren Topf und Käfer verschwunden, und nur die wenigen, die sie eingefangen, hatten sich in Petersbatzen verwandelt.

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Nach Bechstein Bd. II. S. 25.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 457-458.
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