692. Die heilige Reinhildis.806

[672] Zu der Zeit Bischof Wilhelms des Zweiten lebte in der Grafschaft Tecklenburg auf dem Bauernhofe Kniepenhausen zu Westerkappel eine fromme Jungfrau Namens Reinhildis, der es aber eben deshalb, weil sie allzusehr betete und sich beim Läuten einer Kirchenglocke niemals abhalten ließ, sofort jede Arbeit zu verlassen und dem Rufe Gottes zu folgen und zur Messe zu eilen, sehr schlecht ging, da ihre Mutter einen zweiten Mann geehelicht hatte und sie bei ihr keinen Schutz gegen die Härte dieses ihres Stiefvaters fand. Gleichwohl war Gottes Segen sichtbar mit ihr, Alles gedieh unter ihren Händen; die pflügenden Pferde gingen ohne ihre Leitung den gewohnten Weg, und wenn sie aus der Kirche zurückkam, war so viel Land umgeackert, als ein fleißiger Pflüger in der Zeit ihrer Abwesenheit hätte umpflügen mögen. Dies ärgerte aber ihre bösen Eltern gar sehr, denn sie hätten es lieber gesehen, wenn sie ihr wegen nicht gethaner Arbeit etwas am Zeuge hätten flicken können. Als daher einst Reinhildis in einen tiefen Brunnen hineinsah, wie der Himmel so schön darin widerscheine, da schlich ihre Mutter heran und stieß sie in die Tiefe hinab. Aber Engel schützten mit unsichtbaren Händen die heilige Gottesbraut und hoben sie unverletzt aus dem Abgrund. Als aber am andern Morgen ihre Mutter mit Verwunderung sah, wie die Gerettete bräutlich geschmückt am Brunnen saß und ihr Haar flocht, da keimte schnell in dem bösen Herzen der Entschluß zu einem neuen Frevel. Mit süßen Worten lockte sie die arglose Jungfrau in's Haus hinein und ging mit ihr in einen tiefen unterirdischen Keller, worin es kalt war und düster wie die Nacht. Hier in feuchter Finsterniß, wohin niemals ein Strahl des Tages und kein Ton der Menschen gedrungen war, ermordete das blutdürstende Weib ihre eigene Tochter und verscharrte die Leiche heimlich in die Erde. Diese schreckliche That sollte aber nicht verborgen bleiben, denn es leuchtete ein glänzender Stern so lange über dem Hause, worin der Frevel begangen worden war, bis man den Leichnam auffand. Auch war in derselbigen Stunde, worin sie gemordet worden, ihr Stiefvater todt vom Pferde zu Boden gestürzt.

Einige Tage nachher begrub man die beiden Leichen auf dem Todtenacker zu Westerkappel. Reinhildis Körper sollte aber nicht bei dem ihres Stiefvaters ruhen, darum hat man nach dem Begräbniß denselben dreimal entfernt vom Todtenacker aufgefunden. Deshalb riethen nun fromme Männer aus der Gegend, man möge den Leichnam auf einen Wagen mit zwei Ochsen bespannt legen, damit er durch diese ohne menschliche Leitung dahin gebracht würde, wo er nach Gottes Willen ruhen sollte. Als dies geschehen war und die Ochsen, ruhig ihren Weg gehend, den Wagen mit der Leiche durch das Dorf Ibbenbüren fuhren, läuteten die Glocken dieses Dorfes von selbst so mächtig, als wenn ein hohes Fest gefeiert würde, und nicht eher blieben die Ochsen mit dem Wagen stehen, bis sie in ein wildes ungebautes Land kamen, welches mit vielen und hohen Stauden, die man Riesenbeeren nennt, bewachsen war. Von dieser Stelle konnten die beiden Ochsen durch keine Gewalt vertrieben werden, weshalb man dies für ein göttliches Zeichen hielt[673] und hier die Leiche begrub. Weil nun in der Folge viele Wunder auf diesem Platze geschehen sein sollen, hat man ihn durch den Bau einer Kirche verherrlicht, um welche sich nach und nach ein Dorf anbaute, welches theils von den Riesenstauden, theils von dem Bach, der dort fließt, den Namen Riesenbeck erhalten hat. Noch bis auf den heutigen Tag ruht die Leiche der h. Reinhildis in der Kirche dieses Dorfes und soll, wie das Volk sagt, noch ganz unverwest sein.

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S. Münsterische Geschichten S. 70 etc. Poetisch behandelt von Ziehnert Bd. I. S. 93 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 672-674.
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