710. Der Rentmeister Schenkewald.826

[681] In alten Zeiten lebte auf dem Schlosse Nordkirchen ein Rentmeister, Namens Schenkewald, welcher die armen, ihm untergebenen Bauern sehr unbarmherzig mißhandelte. Wenn ihm einer das Pachtgeld oder die schuldigen Zinsen nicht auf den Tag bezahlte, so fiel er ihn mit harten Worten an, ließ sich heimlich für seine Nachsicht Geld und Hühner bringen und auch wohl den armen Schuldner von Haus und Hof werfen oder durch das Gericht auspfänden. Schon eine Menge Bauern waren durch seine Habsucht und Unbarmherzigkeit arm geworden, als er endlich an einer ganz plötzlichen Krankheit starb. Das war ein Jubel unter den Bauern, als Schenkewald todt war, nur die vornehmen Leute gingen mit seiner Leiche und tausend Flüche folgten ihm in sein Grab. Allein kaum war er begraben worden, als man in dem Schlosse zu Nordkirchen bemerkte, daß Schenkewald spuken gehe. Des Nachts hörte man ihn die Treppen auf und ab laufen und entsetzlich heulen; Andere sahen ihn an einem Tische sitzend Geld zählen und wenn sie näher kamen, war er plötzlich verschwunden. Die Einwohner des Schlosses wurden endlich dieser Spukereien so müde, daß sie mehrere Messen lesen ließen und Gott baten, den Geist aus dem Schlosse zu verbannen. Als dies geschehen war, hörte man in einer finstern stürmischen Nacht den Schenkewald ärger als jemals umherpoltern. Plötzlich wurde die Hausklingel heftig gezogen, alle Bedienten sahen zum Fenster hinaus und siehe, es hielt eine prächtige Kutsche mit vier kohlschwarzen Pferden vor der Thür. Darin saßen zwei Kapuziner, welche ausstiegen, mit ruhigen Schritten stillschweigend in das Schloß gingen und alsbald mit Schenkewald, welchen sie in der Mitte führten, wieder herauskamen. Alle Drei stiegen in den Wagen, Schenkewald saß zwischen den Kapuzinern, eine Peitsche knallte und mit Blitzesschnelle fuhr der Wagen von dannen, welcher den Weg nach der Dawert verfolgte. Seit Schenkewald in dieser Art abgeholt war, wurde[681] auf dem Schlosse Nordkirchen Alles still, in der Dawert fährt er aber seitdem bis auf den heutigen Tag mit den beiden Kapuzinern und in demselben Wagen Tag und Nacht umher. Eine Menge Leute haben ihn fahren sehen und beschreiben bis auf den kleinsten Umstand, wie er aussieht. Auch ist es schon Mehreren begegnet, daß sie den Wagen für eine herrschaftliche Kutsche hielten und sich hinten aufsetzen wollten. Kaum hatten sie ihn aber berührt, so flog der Wagen mit den Pferden hoch durch die Lüfte davon.

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S. Münsterische Geschichten S. 164 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 681-682.
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