733. Der Brunnen im Dom zu Paderborn.850

[692] Im Dom zu Paderborn quillt ein tiefer kühler Brunnen. Kein Fremder, der sich den alten Dom zeigen läßt, versäumt es, sich diesen Brunnen anzusehen, denn an ihn knüpft sich eine wunderbare Sage. Man glaubt nämlich, daß auf dessen Boden Schätze von Gold und Edelsteinen ruhen, die mehr werth sind als das ganze Paderbornsche Land, aber Niemand vermag sie zu heben, denn ein schwerer Bann hält sie von alten Zeiten her gefangen. Nur über eins hat der böse Zauber keine Macht, und das ist ein steinernes Muttergottesbild. Jeder, der das rechte Wort und die rechte Zeit weiß, kann das Bild heraufholen. Wem dies aber gelingt, der hat das größte Kleinod der Welt in seinem Besitze. Sobald nämlich das Bild aus dem Brunnen gehoben ist, wird das Haus und die Stadt und das Land, wo es sich befindet, mit allem nur erdenklichen Glücke gesegnet.

Nun begab es sich einstmals, daß auf dem Bischofsstuhle zu Paderborn ein Bischof saß, den es gar sehr verlangte, in den Besitz dieses Marienbildes zu kommen. Er beschloß also die Magie zu studiren, um im Stande zu sein, den Schatz heben zu können. Er las also alle Bücher über Zauberei und Schatzgräberei, die er nur bekommen konnte, durch, aber nirgends fand er etwas angemerkt, was er hätte auf die Hebung der Schätze des Brunnens anwenden können. Darüber ward er denn zuletzt ganz traurig und mißmüthig, allein siehe, da fand sich plötzlich bei ihm ein Mann ein, der ihm verhieß, das Bild aus der Tiefe hervorholen zu wollen. Der Bischof war natürlich über dieses Anerbieten hoch erfreut, allein noch weit[692] mehr darüber, daß derselbe auf seine Frage, was er dafür für Sohn begehre, erwiderte: »Nichts als die Erlaubniß, in diesem von der Mutter Gottes gesegneten Lande wohnen zu dürfen.« Natürlich versprach ihm dies der Bischof und noch weit mehr, wenn er sein Wort halte. Der Mann bat sich nun drei Tage Zeit aus, um seine Vorbereitungen zu treffen, nach Verlauf dieser Zeit kehrte er zum Bischof zurück und forderte diesen auf, mit ihm in den Dom zu gehen. Es war gerade Mittag, als sie in denselben, den sie nachher von innen verschlossen, traten. Sie stellten sich an den Rand des Brunnens und der Fremde fing, nachdem er dem Bischof strenges Stillschweigen auferlegt, an, aus einem Buche eine Beschwörung halblaut zu lesen, dann nahm er etwas wie graues Pulver aus einem Papiere und warf es unter Aussprechen verschiedener Zauberworte in den Brunnen, hierauf las er wieder ein Stück aus dem Buche und warf wieder von dem Pulver hinab und endlich wiederholte er dieselbe Prozedur zum dritten Male, indem er zugleich mit einem Spiegel und Ringe über dem Brunnen wunderliche Zeichen machte. Der Bischof, der zufällig einen Blick in den Spiegel warf, sah, wie sich plötzlich ungeheure Gestalten in demselben zu regen begannen, sie wanden und ballten und bäumten sich. Wie die Geister aber im Zauberspiegel, so bewegte sich das Wasser im Brunnen, es zischte und schäumte und gährte, daß dem Bischof ein innerliches Grauen ankam. Doch nach und nach ward es ruhiger im Spiegel und stiller in der Tiefe, die Bilder verblaßten und das Wasser sank. Endlich war es ganz trocken im Brunnen und eine Treppe wurde sichtbar, die auf vielen Stufen hinabführte. »Harret meiner nur eine kleine Weile«, sprach der Zauberer zum Bischof, »sogleich bin ich mit dem heiligen Bilde wieder bei Euch!« Darauf stieg er die Treppe hinunter und verschwand am Ende durch eine kleine Thür unten im Brunnen. Es dauerte gar nicht lange, so kam er zurück und trug das schwere Steinbild, das ganz grau und verwittert aussah, auf seiner Schulter. So wie er heraufstieg, kam aber das Wasser langsam hinter ihm her und als er oben war, stand es gerade wieder so hoch im Brunnen als vorher. Ein unbeschreiblich angenehmer Duft strömte aber von dem Muttergottesbilde aus, welches der Bischof jetzt mit eigenen Händen auf den Hochaltar stellte. Derselbe fragte nun den Fremden: »Sahest Du denn sonst nichts, mein Sohn, von den köstlichen Schätzen, welche der Abgrund da unten verbirgt?« Der Fremde aber fing an zu erzählen von der Tiefe, wo Paläste von Gold und Burgen von Perlen ständen, wo in duftenden Gärten Demantblumen blüheten, wo die größten Kostbarkeiten bergehoch aufgestapelt lägen, fügte aber hinzu, es liege ein schwerer Bann darauf und wer die Hand darnach auszustrecken wage, dem drohe unfehlbares Verderben. Allein der Bischof war von der gemachten Beschreibung so begeistert, daß er erklärte, es möge kommen wie es wolle, er wolle hinunter und diese Wunder sehen. Zwar bat ihn der Fremde, er möge doch sein Leben und das Heil seiner Seele nicht so leichtfertig auf's Spiel setzen, nichts half, der Bischof bestand darauf und nöthigte den Fremden, die Beschwörung noch ein zweites Mal vorzunehmen. Dies geschah auch, nur mit dem Unterschied, daß diesmal das Wasser viel unruhiger ward wie das erste Mal. Trotzdem aber ließ sich der Bischof nicht abhalten hinabzusteigen. Als er durch die kleine Thür ging, trat er in ein Thal, welches wie von rosigem Morgenroth umflossen[693] war, heiße Wohlgerüche strömten von allen Seiten auf ihn zu und obgleich er tief unten im Schooße der Erde war, war doch Alles glänzend hell um ihn. Dieser Glanz ging aber von sieben goldenen Palästen aus, die in dem Zauberthale standen und mit lauter Edelsteinen und Perlen gedeckt waren. Eilig wollte er darauf zugehen, allein da nickte ihm von den Blumenbeeten eine Rose mit einem so süßen Duft entgegen, daß er sich nicht enthalten konnte, sie abzubrechen. In demselben Augenblick aber hörte er die eiserne Thüre zufallen, Alles ward um ihn finster und die Wasser stiegen brausend wieder in dem Brunnen empor. Der alte Bischof ist nie wieder zum Vorschein gekommen, aber auch das Marienbild und der Fremde waren aus dem Dom verschwunden, vielleicht daß ersteres wieder in den Brunnen zurückgekehrt ist.

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S. Seiler S. 75 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 692-694.
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