820. Die Hünen und Hunnen.940

[772] In der Gegend von Höxter, Corvei, Brakel und den Landstrecken durch Westphalen weiß das Volk sich viel von den Heunen oder Hünen oder Riesen zu erzählen, ja die Sage von ihnen erstreckt sich auch nordwärts bis über die Lüneburger Heide hinaus und in die Bremenschen Geest- und Marschgegenden. Hünengräber, Hünenbetten, Hünensteine, Hünenkeller, Hünenburgen sind im ganzen Lande umher zerstreut und gelten dem Volke als die Spuren vom Vorhandengewesensein eines gewaltigen Riesengeschlechts, das einst hier gewohnt hat. Allein mit sehr wenigen Ausnahmen erzählt die Sage nichts von ihrem Erscheinen oder Wandern941, nur Spuren ihres ehemaligen[772] Daseins und ihrer gewaltigen Kraft. Mannigfach blieb der Name dieses Riesengeschlechtes an Orten haften, so liegt über Brakel die Hinnen- oder Hünenburg, und auch die Namen der Dörfer Riesel und Reetsen (bei Dirburg) deuten auf etwas Aehnliches hin. Bei Dransfeld im Göttingischen liegt ein Hunnen- oder Hünenberg, darin will man gleichwohl Riesen gesehen haben, über dem Dorfe Altenhagen liegt die Hünenburg. Der letzte ihrer Bewohner brach sie in Trümmer und wälzte auf sich selbst den größten Stein als Grabesdecke. Auf dem Wege nach Salzwedel, beim Dorfe Lübbow liegt ein riesiger Hünenstein, eines heidnischen Gottes Altar, der kehrt sich in jeder Christnacht vor Unwillen um, wenn der Hahn kräht. Bei Freren in der Niedergrafschaft Lingen steht auch ein gewaltiger Hünenstein und sind dort reiche Gräber. In der Lüneburger Haide im Amte Knesen liegt der Pickelstein, den warfen die Hünen vom Kläbesberge dahin. Sieben Kreuze und ein Hufeisenabdruck sind an ihm zu sehen, und es geht die Sage, daß diese ein Heerführer mit seinem Schwert in den Stein gehauen und den Hufschlag habe sein Roß eingedrückt als ein Wahrzeichen seines Sieges. Bei Sievern ruht noch unangetastet ein Hünengrab, das Bülzenbett geheißen, von besonderer Art und Größe. Es ist nicht gut, die Hünengräber zu durchwühlen und die längst Begrabenen in ihrer Ruhe zu stören. Ein Canonicus zu Rammelsloh grub nach einem Riesendenkmal bei Steinfeld, dem erschienen in der Nacht drei Männer, von denen der eine einäugig war, mit drohenden Blicken und hießen ihn fortgehen, wenn anders er nicht unglücklich werden wolle.

Zuweilen scheint es, als wenn diese Hünen mit dem Hunnenvolke König Etzel's, das durch Deutschland zum Rheine zog und im Nibelungenliede seine Verherrlichung findet, zusammengehangen hätten, denn die drei Brüder Etzel's: Walamir, Widimir und Theodimir hießen zusammen die Amelungen und waren die tapfersten Helden im ganzen Hunnenheere; um Höxter herum liegen aber folgende Orte, die sammt und sonders an den Namenshall der Amelungen erinnern: Amelungen, Amelungshorn, Amelsen, Amelshausen, ja selbst Hameln und Hamelschenburg können darauf gedeutet werden.

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S. Bechstein S. 262 etc.

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Eine solche Sage ist unten mitgetheilt aus der Gegend von Boke.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 772-773.
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