865. Die Schauergeschichte der Familie Hertinghausen.

[743] (S. Landau, Hessische Ritterburgen Bd. II. [Cassel 1833] S. 244 etc.)


Die hessische niederadlige Familie von Hertinghausen hatte ihren Stammsitz in dem etwa drei Meilen südlich von Cassel an der Frankfurter Heerstraße liegenden Dorfe gleiches Namens, wo sie schon im 13. Jhdt. vorkommt. Ein Sprößling derselben, Friedrich Balthasar, geboren zu Cassel am 5. August des Jahres 1579, ward im Jahre 1615 Hofmarschall des Landgrafen Moritz daselbst. An dem Hofe desselben aber lebte ein Hofjunker, Rudolph von Eckhardtsberg, aus Meißen. Als dieser einst im landgräflichen Schlosse eine hohe Person (die Gemahlin des Landgrafen?) umarmte und küßte, war der Hofmarschall unbemerkt Zeuge dieser Scene und hinterbrachte sie dem Landgrafen. Wie nun der verrathene Liebhaber solches erfuhr und der Haß des Landgrafen nicht blos ihm, sondern auch seiner Geliebten fühlbar wurde, da[743] schwur er dem Verräther die blutigste Rache und entschloß sich alsbald zu deren Ausführung. Er verfügte sich zu diesem Zwecke am 29. April auf den Marstall-Platz und erwartete den Hofmarschall, der im Schlosse bei der Morgenmahlzeit war. Als dieser nun gegen 111/4 Uhr das Schloß verließ, um nach Hause zurückzukehren, da trat ihm der Hofjunker mit den Worten: »Herr Marschall, da habe ich eine schöne Büchse, die beschaut einmal« entgegen, doch als dieser sich ihm darauf nähert, sinkt er, durchbohrt von einer Kugel, nieder. Obgleich schwer im Unterleib verwundet, lebte er doch beinahe noch sechs Stunden und verschied erst des Abends um 5 Uhr den 29. April in seiner Wohnung und ward sodann am 4. Mai feierlich in der St. Martinskirche zu Cassel beigesetzt.

Ruhig gab von Eckhardtsberg nach der vollbrachten schrecklichen That die Büchse seinem Diener und ging nach seiner Wohnung, welche in der Entengasse (jetzt Petristraße) lag. Der Landgraf sandte sogleich einen seiner Trabanten ab, und als ihn der Junker aus dem Fenster bemerkte, rief er ihn zu sich hinauf. Als dieser seine Frage, ob er nichts Neues wisse, verneinte, sagte er: »Weißt Du denn nicht, daß ich den Hofmarschall erschossen habe?« Da auch dieses verneint wurde, zog der Junker einen goldenen Ring vom Finger mit den Worten: »Diesen Ring verehre ich Dir, um meiner dabei zu gedenken, denn ich muß sterben, und um dieser That willen mein Leben lassen!« Inzwischen waren mehrere landgräfliche Einspännige, Trabanten und Soldaten angelangt, die ihn in seinem Zimmer bewachten. Erst um 3 Uhr ward er in den Zwehrenthurm abgeführt. Da es Sonnabend war, so mußten, um den Sonntag nicht zu entheiligen, alsbald mehrere Schneider in den Thurm, um ihm die Trauerkleider und den Trauermantel anzumessen. Am 1. Mai versammelte sich das peinliche Gericht, bestehend aus dem Bürgermeister und den Schöffen von Cassel, auf dem Platze des Mordes zur Hegung des Halsgerichtes. Dreimal wurde der Unglückliche auf der Folter gemartert, um ihm das Bekenntniß abzupressen, warum er den Mord vollbracht. Aber er schwieg, er flehte nur um Erbarmen und sank bei der dritten Folterung, von der Größe des Schmerzes überwältigt, in Ohnmacht. Um 4 Uhr wurde ihm sein Todesurtheil bekannt gemacht.

Am 3. Mai fand sich der Henker auf der Stätte des Mordes ein. Nachdem er auf den noch blutigen Platz Bretter gelegt, stellte er auf letztere einen Tisch und auf diesen einen Weiberstuhl; auf den Tisch legte er Messer und Beil und unter denselben stellte er einen Kessel mit Wasser zur Auffangung des Blutes. Bald erschien auch der Unglückliche. Als er mit den zwei ihn begleitenden Geistlichen gebetet, fragte er nochmals den Oberstlieutenant von Ködwitz, der der Hinrichtung zu Pferde beiwohnen mußte, »ob es nicht möglich wäre, ihn mit dem Schwerte hinzurichten?« Doch dieser antwortete: »Ich wünschte für Euch sterben zu können!« Der Henker forderte ihn nun auf, sich in jenen Stuhl zu setzen und erinnerte ihn, getreu dem Charakter seines Bluthandwerks, an ein Geschenk: »Du Schelm, verkürze mich nicht!« Am Fenster des Schlosses stand der Landgraf um sich an dem grausenvollen Schauspiele zu weiden. Als von Eckhardtsberg ihn bemerkte, rief er: »Du Fürst, am jüngsten Tage noch will ich dies Urtheil von Dir fordern!« und setzte sich singend: »Was mein Gott will etc.« in den Stuhl. Der Henker schlang nun ein weißes Tuch an seinen Hals und legte ihn unterstützt[744] von seinen Helfern auf den Tisch und begann die fürchterlichste Menschenschlächterei. Nachdem er ihn entkleidet, hieb er ihm die rechte Hand ab, schnitt ihm den Leib auf und riß ihm das Herz heraus und zeigte es, seine blutige Faust emporhebend, dem Landgrafen, der noch immer dastand und zusah. »Gnädiger Herr«, rief er, »das ist das falsche Herz, das Euch Treue geschworen!« Endlich trennte der furchtbare Schlächter den Körper mit dem Beile in vier Theile. Diese und die in den Kessel geworfenen Eingeweide wurden im Schinderkarren auf den Forst gefahren und unter dem Galgen verscharrt. Während die Kleider und das Trauerpferd der Diener des Hingerichteten erhielt, nahm der Landgraf die übrigen Pferde zu sich und gab sie erst später dessen Brüdern zurück.

So unmenschlich und grausam diese Hinrichtung war, so entsetzlich waren ihre Folgen. Allgemein scheint sie auch empört zu haben, doch nur deshalb, weil von Eckhardtsberg von Adel und nicht durch's Schwert hingerichtet worden war, aus diesem Grunde wollten auch alle Hofjunker ihren Abschied nehmen.

Die erste Folge mußte der Henker empfinden. Da er die Leiche nicht tief genug verscharrt, wühlten sie am folgenden Tage die Schweine wieder heraus. Der Landgraf ließ ihn deshalb ins Schloß kommen und strafte ihn nicht allein mit Geld, seine Hofdiener mußten ihn auch mit Ruthen peitschen und darauf jagte er ihn aus dem Dienste.

Eckhardtsberg hatte eine Braut, eine adlige Jungfrau am Hofe; nicht allein diese wurde wahnsinnig, auch seiner Mutter raubte das Verbrechen und Unglück ihres Sohnes den Verstand, sie wurde rasend und mußte an Ketten gelegt werden.

Des Hofmarschalls Wittwe kam später in eine Verbindung mit einem Herrn von Lindenau, in deren Folge sie schwanger ward. Um dieses in Cassel zu verbergen, ging sie mit des Landgrafen Tochter Elisabeth, Gemahlin des Herzogs Albrecht von Mecklenburg, als Hofmeisterin nach Mecklenburg. Doch da ihre Niederkunft nahte, reiste sie wieder nach Cassel. Kaum im Hertingshausischen Hause, bei der Martinikirche, angelangt, gebar sie einen Sohn. Ihre Mutter, eine strenge Frau, verweigerte ihr jedoch den längern Aufenthalt und ihr noch ungetauftes Knäblein in der Schürze mußte sie sich ein anderes Unterkommen suchen. So verflossen sechs Wochen, als auch über sie des Landgrafen eiserne Härte hereinbrach. Er ließ ihr die Wahl, mit ihrem Kinde lebendig eingemauert zu werden oder ihren Adel abzuschwören und auf ewig das Hessenland zu meiden. Sie wählte natürlich das Letztere und ließ sich in Herborn nieder, wo sie später sich noch mit einem Lieutenant verheirathete. Auch von Lindenau sollte bestraft werden und der Landgraf Moritz reiste nach Sababurg, um in seiner Abwesenheit die Bestrafung vollziehen zu lassen. Doch Lindenau nahm Gift und starb, dickaufgeschwollen und schwarz fand man seine Leiche. Als man dieses dem Landgrafen nach Sababurg meldete, fuhr er in seinem Zorne auf und befahl die Leiche zu verbrennen, doch seine Freunde entzogen ihn diesem neuen Greuel und gaben ihm ein ehrliches Begräbniß, damit der Fürst an dem todten Leichnam keinen Frevel üben möchte. Auch ein Bruder des Hofmarschalls, der ein Hoffräulein geschwängert, wurde deshalb vom Landgrafen aus dem Dienste gejagt.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 743-745.
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