912. Der Wolfgang bei Hanau.

[782] (S. Zeitschr. f. hess. Gesch. Bd. VI. S. 305.)


Im Nordosten der Stadt Hanau dehnt sich auf beiden Ufern der Kinzig eine Waldung aus, die freilich jetzt nicht mehr so dicht ist als in früherer Zeit. Sie heißt die Buhlau, wahrscheinlich weil hier die Römer eine ihrer Grenzwehren, ein sogenanntes Pfahlwerk angelegt hatten. Man sieht nämlich hier auch noch einen solchen hohen Wall mit Doppelgraben, der der Pfefferdamm heißt, weil die Mönche des Klosters Arnsburg ihn als Straße nach dem Kloster Seeligenstadt benutzten. Nahe hierbei und mitten im Walde liegt unter hohen schattigen Bäumen das Forsthaus Wolfgang, in dessen Nähe man noch Reste von Mauern erblickt. Diese rühren von einem dem h. Wolfgang geweihten Kloster her, welches einst hier gestanden hat. Im Jahr 1468 erbaute nämlich Erasmus Josefus, Hoffourier bei Philipp dem Jüngern von Hanau, eine Kapelle zu Ehren des h. Wolfgang, des Schutzpatrons der Jäger. Später wurde, weil die Kapelle viel Zuspruch bekam, hier noch ein Kloster angebaut, welches im Jahre 1494 dem von Erfurt herübergekommenen Bettelorden der Serviten übergeben ward. Weil aber das Kloster keinen Grundbesitz hatte, so bewilligte Graf Philipp demselben Bier- und Weinschank, wodurch aber freilich die heilige Stätte zu einem Tummelplatze wilder Lustbarkeiten herabsank, denn nun feierten die Mönche hier Scheibenschießen und Kirchweihfeste, welche ihnen sehr viel Geld einbrachten, aber auch den Neid der benachbarten Wirthe und Handelsleute erregten. Daher mochte es kommen, daß Bauernrotten in dem unseligen Bauernkriege es zerstörten. Bald sank es in Trümmer und 1715 ward in der Nähe seines ehemaligen Platzes ein Forsthaus erbaut, welches jedoch seine Benennung von dem Kloster bekam. Sonderbarer Weise aber lockte die alte Gewohnheit bis zu Ende des vorigen Jahrhunderts jedes Jahr, wenn frischer Duft und lebendiges Grün den Forst wieder schmückten, ganze Schaaren aus der Umgegend hierher, welche sich hier mit Musik und Tanz vergnügten. Dies geschah, als die Hanauer noch regelmäßig am Himmelfahrtstage den jetzt ganz vergessenen Kohlbrunnen besuchten.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 782.
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