274. Die Rabendocke bei Goldberg.

[296] (Romantisch behandelt bei Peschel, Volkssagen und Märchen aus Schlesien. Bunzlau 1830, Th. I. in 8°. S. 30 etc.)


Die Rabendocke(n), eine romantische Felspartie, ähnlich den Adersbacher Felsen, ist eine vielfach zerklüftete Felswand am Ufer der Katzbach, am nördlichen Ende des sogenannten Geiersberges in dem schönen Thale von Seifenau auf dem Wege nach Neuländel, 1/4 Meile südwestlich von Goldberg; sie sieht einer zertrümmerten Burg mit Thüren, Fenstern und einem Thurme ziemlich ähnlich. Von diesem Felsengebilde giebt es nun aber eine Volkssage, welche erzählt, hier habe ehemals eine wirkliche Burg gestanden, ein gottloser und frevelnder Besitzer derselben habe aber den Zorn eines mächtigen Zauberers gereizt, und als Ersterer einmal wieder auf der Zinne des Thurmes auf Raub und Beute gelauert habe, wie er solches häufig zu thun pflegte, sei er plötzlich mit dem Thurme, durch einen mächtigen Zauberschlag, in einen Felsen verwandelt worden, weshalb der menschenähnliche vordere Felsen mit seinem scheußlichen Antlitze noch heute ins Thal herabblicke. Am Christabend um Mitternacht stehe hier jedes Jahr eine Thüre offen und wer dann kühn genug sei, durch dieselbe einzutreten und Besonnenheit genug habe, vor dem Verschlusse des Eingangs sich wieder zu entfernen, könne mit Schätzen reich beladen heimkehren.

Es giebt jedoch noch eine zweite Sage, welche die Begebenheit etwas anders erzählt. Vor dem Einfalle der Tartaren in Schlesien lebten in dieser Gegend zwei böse Ritter, Kuno und Veit, ein Paar Brüder, genannt die Erlacher, der eine hatte auf dem sogenannten Wolfsberge eine starke Veste, der andere eine Schenke im Seifenthale, die aber ebenfalls einer Burg ähnlich und durch einen hohen Wachtthurm geschützt war. Die beiden Ritter waren aber eigentlich weiter nichts als Wegelagerer, die von dem lebten, was ihnen die Heerstraße bot, d.h. sie ließen keinen Reisenden, keinen Kaufmann, keinen Menschen, der ihnen überhaupt etwas zu besitzen schien, unbehelligt vorüber und das Leben der Unglücklichen, die in ihre Hände fielen, war ihnen nicht einen Heller werth, sie schleppten sie entweder in ihre Raubnester und ließen sie dort elendiglich verhungern, oder ermordeten sie gleich auf[296] der Stelle und ließen ihre Leichen auf der Straße liegen. Die Schenke war übrigens nur ein Deckmantel für ihre Verbrechen, denn dorthin lockte der Wirth durchreisende Fremde, ließ sie des Nachts berauben und ermorden und schaffte dann das, was er ihnen abgenommen, in geheime Verstecke, welche er sich im Rabenberge angelegt hatte und mit seiner Schenke in Verbindung standen. Einst hatten sie auch einen auf der nach dem Seifenthale führenden Straße dahinziehenden Ritter mit seiner Gemahlin überfallen, den ersteren erschlagen und dessen junge Gattin in die geheimen Kerker im Rabenberge geschleppt, dieselbe dort erst zur Stillung ihrer Lüste gebraucht und dann elendiglich verhungern lassen, da fand es sich, als sie nach vollbrachter Missethat die geraubten Sachen des unglücklichen Ehepaares durchsahen, daß die junge Frau ihre eigene Schwester gewesen war, die jung aus dem Hause ihrer Eltern weggekommen, in einem Kloster erzogen und später verheirathet worden war, ohne daß sie, die schon lange ihrer Schlechtigkeit halber von ihrem Vater verstoßen worden waren, davon das Geringste erfahren hatten, denn sie hatten, als von der Vehme Verfolgte, ihre gegenwärtigen Verstecke unter falschen Namen bezogen.

Als die beiden Sünder das Schreckliche erfahren hatten, da ergriff sie ein namenloses Entsetzen und gräßliche Angst trieb sie aus dem Innern des Rabenberges in die Schenke zurück, aber auch da fanden sie keine Ruhe, sie stiegen also, warum wußten sie selbst nicht, auf den hohen Wartthurm. Kaum hatten sie die Spitze desselben erreicht, so sahen sie sich mitten in einem gräßlichen Gewittersturm, lange blaue Blitze schlängelten im Zickzack durch die schwarzen, schwer über ihnen herabhängenden Wolken, und der Donner rollte furchtbar über den Bergen, als ob der letzte Tag hereinbrechen sollte, und dabei rasete der Sturm, zerbrach und entwurzelte die tausendjährigen Stämme der Bäume, wie schwache Ranken. Als sie aber ihre entsetzten Blicke nach dem nahen Wolfsberge richteten, da sahen sie eine pechschwarze Wolke über der auf demselben befindlichen Wolfsburg hängen, ein unaufhörlicher Feuerregen strömte aus derselben hernieder, plötzlich ertönte ein furchtbares Krachen und Toben, der Berg that sich mitten von einander und die Burg mit allen Gebäuden, allen Menschen, Thieren und Schätzen, die in ihr sich befanden, stürzte hinab in den klaffenden Schlund, dann aber schloß sich derselbe wieder und bis auf den heutigen Tag sieht man noch die Vertiefung, in welcher die Wolfsburg versunken ist.

Mit Grausen hatten die Brüder dem schrecklichen Schauspiele zugesehen, jetzt eilten sie wie von Furien gejagt die Treppe hinab, allein als sie hinabkamen, war die ganze Schenke wie ausgestorben, keiner ihrer Leute war mehr zu sehen, sie hatten aus Furcht die Flucht ergriffen. Sie wollten ihnen folgen, allein als sie durch die Thüre wollten, da thürmte sich eine steinerne Mauer vor ihnen auf und versperrte ihnen den Ausgang ins Freie, sie stürzten in unbeschreiblicher Angst wieder in die Stube, aber hier begann eine gräßliche Verwandlung, steinerne Wände fingen an sich vor ihnen in die Höhe zu ziehen und schon drang kein Tageslicht mehr herein und finstere Nacht deckte den sonst so lustigen Ort. Ein furchtbares Gelächter scholl von den sich dehnenden Felsen herüber, furchtbarer als die Töne der boshaften Freude, die sie sonst hier beim Becherklang hatten vernehmen lassen. Sie beschlossen nun wieder auf den Thurm zu steigen und sich von der[297] Höhe desselben herab ins Thal zu stürzen, nur um nicht hier eines langsamen, qualvollen Todes zu sterben. Als sie jedoch hinaustraten, war oberhalb schon Alles ein unförmlicher Felsklumpen und es blieb ihnen nur noch ein Ausweg, der in den Keller, wo ihre aufgehäuften Schätze lagerten. Da schloß sich auch hier hinter ihnen die Thür und ward vor ihren Augen in Stein verwandelt. Ringsum waren sie jetzt eingeschlossen in kalte undurchdringliche Steinmassen und näher und näher zog sich um sie die Felswand und wuchs von Minute zu Minute, so daß ihnen nur der schmale Gang in die untern Gewölbe frei blieb. Fast besinnungslos eilten sie hinab, eine kalte, eisige Luft strömte ihnen entgegen, ermattet setzten sie sich auf zwei große Truhen, welche ihre blutbefleckten Raubstücke bargen, und erwarteten hier in tiefer Finsterniß, denn die einzige Oeffnung, durch welche das Tageslicht in diese Höhle dringen konnte, war ebenfalls bereits zugewachsen, ihre Strafe. Da ward auf einmal das Gewölbe durch einen hellen Schimmer erleuchtet, und unter furchtbarem Krachen und Donnern trat eine schwarze finstere Gestalt auf sie los und sprach: »Wehe, wehe, wehe, das Maaß Euerer Sünden ist voll, Ihr habt niemals Erbarmen geübt, darum sollt auch Ihr nicht vor den Thron der Barmherzigkeit des Höchsten gelassen werden. Werdet, was Ihr in Euerem Leben schon zu sein schienet, zu Steinen! Die steinernen Bilder Euerer Leiber sollen zwar unbeweglich, aber nicht unbelebt sein, und so sollt Ihr hier auf Euern mit unschuldigem Blut befleckten Schätzen sitzen ewiglich als belebte Felsenstücke, unaufhörlich gefoltert von schrecklicher Reue. Gleichwohl hat die Gnade des Allerbarmers Euch doch noch einen Weg zur Erlösung offen gelassen. Alljährlich in der geweihten Nacht, wo der Erlöser dem sündigen Menschengeschlecht, also auch Euch geschenkt ward, sei Euere Felsenpforte eine kurze Zeit geöffnet. Mit dem Schlage der Mitternachtsglocke wird sie sich aufthun, aber sobald das erste Viertel der ersten Stunde ertönt, schließt sie sich wieder für das ganze Jahr. In dieser Nacht ist es einem Sterblichen vergönnt, Euch von Euerer Qual zu befreien. Er lege Euch drei Fragen vor, zertrümmere Euere Felsenhüllen und nehme die Schätze, doch ehe die Viertelstunde verflossen ist, muß er im Freien sein, sonst ist es um sein Leben geschehen und sein Blut lastet auf Euerer Seele.« Mit diesen Worten verschwand die Erscheinung, da erkalteten plötzlich die warmen Leiber der Bösewichter, ihre Formen blieben, aber sie wurden zu festem Stein. Das Blut stand im Laufe still und an seiner Stelle schlängelten sich rothe Felsenadern durch die steinernen Bilder.

So vergingen viele Jahre, Niemand hörte wieder etwas von den einstigen Bewohnern der Wolfsburg und der Rabenschenke. Wo der alte Wartthurm gestanden haben sollte, da sah man einen einem Thurme ähnlichen Felsen, auf welchem ein zweiter sonderbar gestalteter ruhte, unten aber in demselben sah man ein Thürlein eingesprengt, als ob man durch dasselbe in den Felsen gehen könne. Viele hatten dasselbe schon offen gesehen, aber Keinem kam je die Lust an, hineinzugehen. Da trug es sich zu, daß ein Ritter Namens Wunibald von Bühel nach Goldberg kam, um sich von einem Sturz vom Rosse auf seiner Reise an den Kaiserhof nach Wien heilen zu lassen. Während er in der Herberge rasten mußte, ward ihm auch die Sage von der Rabendocke mitgetheilt und er beschloß sein Glück mit ihr zu versuchen. Er begab sich also am Morgen vor dem heiligen Abend, um[298] sich mit der Gegend bekannt zu machen, in das Seifenthal. Eisig kalt stürmte ein scharfer Nordostwind und Schneewehen hatten sich rings an die Rabendocken gelehnt. Es war im ganzen Thale öde und menschenleer, denn man sagt, es sei im ganzen Thale nicht geheuer und leide Niemanden, der sich etwa hier anzusiedeln gedenke. Als er jedoch nahe an die Felsen kam, entdeckte er auch die steinerne Thüre, und indem er näher trat, vernahm er ein starkes Schnarchen, als ob ein Mensch fest schliefe, was aber aus dem Felsen selbst herauszukommen schien. Als er so die ganze Gegend durchspäht hatte, ging er getrosten Muthes nach Goldberg zurück, mit dem festen Vorsatz, mit Hilfe Gottes in der nächsten Christnacht das Abenteuer zu bestehen.

Er begab sich also kurz vor 12 Uhr auf den Marsch und mit dem Schlage der Mitternachtsglocke stieg er in Begleitung seines Knappen zu den Rabendocken hinab. Während aber oben auf der Höhe eine wahrhaft heilige Ruhe geherrscht hatte, vernahm man hier unten ein Zischen, Rauschen und Toben, als ob die Geister der Finsterniß losgelassen ihr Wesen trieben. »Im Namen Gottes« sprach der Ritter und eilte der Thüre zu. Sie stand offen und er erblickte inwendig zwei steinerne Bilder und noch ein lebendiges Wesen. Eben wollte er hineintreten, da schlug es ein Viertel auf Eins, und ein Weib einen schweren Sack unter dem Arme tragend sprang heraus. Hinter ihr schloß sich mit donnerndem Getöse die Thür und ein gräßliches Gelächter scholl aus dem Innern des Felsens heraus. Das Weib sah sich wild um, als ob sie sich jetzt erst auf etwas besinne, stürzte dann an der Thüre nieder, raufte verzweiflungsvoll ihr Haar, rang die Hände zum Himmel empor und schrie im wüthendsten Schmerze: »O Gott, o Gott! mein armes, armes Kind! Hat mich der Satan mit seinem Golde geblendet und habe ich Rabenmutter mein Kind verlassen!« Sie stieß die Stirn an die Thüre, daß das Blut den Felsen herunterrann, der Ritter aber faßte die halb Wahnsinnige, hob sie auf und sprach ihr Muth ein. Sie aber stöhnte: »Wer Ihr auch seid, laßt mich hier ruhig sterben, ich bin Eurer Barmherzigkeit nicht werth, denn ich habe um schnöden Gewinnes willen mein Kind den Krallen des Teufels überlassen!« Der Ritter aber fragte sie, wie sie hierher gekommen und was ihr geschehen sei, und sie erzählte ihm nun, sie habe oft gehört, daß in der heiligen Christnacht die Thüre an den Rabendocken offen stehe und man dann dort große Schätze heben könne, wenn man ein unschuldiges Knäblein mit sich habe; sie sei nun ein armes Weib, mit sechs Kindern gesegnet, für die sie aber kein Brod habe, da ihr Mann gestorben sei, da habe die Gier nach Geld sie angetrieben, den Versuch zu machen, ob die Sage wahr sei, sie habe also ihr jüngstes Kind, einen Knaben von einem Jahre auf den Arm genommen und sei hierher geeilt, sie habe sich von den Teufelsgestalten, die sie hier angetroffen, nicht zurückschrecken lassen, sondern sei, als es Zwölf geschlagen, durch die aufspringende, jetzt freilich wieder verschlossene Thüre in den Felsen getreten und so in ein geräumiges Gemach gekommen, dort hätten auf zwei Truhen zwei unbewegliche Rittergestalten gesessen, in der Mitte des Gewölbes habe aber ein Tisch gestanden, auf diesen habe sie ihren Knaben gesetzt, gierig habe sie dann von den ringsherum aufgethürmten Haufen von Gold- und Silberstücken zusammengerafft so viel sie vermochte, da hörte sie es ein Viertel schlagen, schnell sprang sie heraus und vergaß ihr Kind. Sie bat nun die beiden[299] Fremden ihr zu helfen, ihr Kind wieder aus dem Felsen herauszuholen und der Ritter von Bühel versprach ihr auch, er wolle am nächsten Morgen mit Hacken und Aexten bewaffnet hierher gehen und, wenn es möglich wäre, die Thüre zerstören. Da erhob sich eine furchtbare Stimme von der Spitze des Felsens und sprach: »Versucht es nicht, Ihr werdet die Pforte nicht öffnen, bis sie sich nicht über ein Jahr von selbst wieder aufthut. Solltet Ihr es aber dennoch wagen, so werdet Ihr Eueren Leib und Euere Seele verderben.« Da schrie das Weib in Verzweiflung laut auf und lief schnell davon, der Sack aber, den sie aus der Höhle herausgebracht und am Eingange niedergelegt hatte, war auch verschwunden.

Entsetzt von dem, was er gesehen hatte, machte sich nun der Ritter wieder auf den Weg nach Goldberg zurück, allein er nahm sich vor, das nächste Jahr zu derselben Zeit wieder zurückzukehren und sein Glück noch einmal zu versuchen, und ehe noch dasselbe vergangen war, da war er auch schon wieder in Goldberg. Fest entschlossen, diesmal, es möge kosten, was es wolle, in die Felsen zu gehen, begab er sich begleitet von seinem Knappen, der eine Axt und einen Spaten trug, am Weihnachtsabend in das Spukthal. Er fand alles so, wie im verflossenen Jahr, allerhand Spukgestalten schwirrten umher und schienen ihn in seinem Vorhaben hindern zu wollen. Noch war es nicht Mitternacht und die beiden Abenteurer hatten vollauf Zeit, sich zu sammeln und auf das bevorstehende Werk vorzubereiten. Urplötzlich rauschte es durch die Bäume herab ins Thal, Feuerflämmchen hüpften auf und nieder und schlossen endlich einen engen Kreis um den Ritter, phantastische Gestalten flatterten auf ihn zu und blieben an den Rabendocken sitzen. Sein Begleiter sank auf die Kniee und betete, dem Ritter selbst aber ward nicht wohl zu Muthe und er bereute es bereits, das Unternehmen überhaupt angefangen zu haben. Da schlug die Glocke Zwölf, ein hohler Donner rollte näher und näher und verstärkte sich zuletzt so, daß es schien, als ob die Felsen in dem Schoße der Erde begraben werden sollten. Da sprang die Thüre krachend auf und der muthige Ritter schritt hinein. Wie er es im vorigen Jahre nur durch einen Blick gesehen hatte, so fand er es auch diesmal, nur, was ihn in das höchste Erstaunen setzte, ein Kind saß lächelnd auf dem Tische und spielte mit einigen Goldstücken. Er nahm es schnell herab und reichte es seinem Knappen zur Höhle heraus, der es in seinen Mantel wickelte, um es vor der Kälte zu schützen. Der Ritter aber, das Schwert in der Rechten, die Axt in der Linken, ging auf die steinernen Menschengestalten zu und fand, daß sie ganz von Felsen waren, und doch kam es ihm vor, als wenn er Athem aus dem kalten Stein vernehme. Er sah ihnen also fest in das starre Angesicht um zu vernehmen, ob wirklich Leben und Kraft zu reden in ihnen sei und sprach: »Seid Ihr die Ritter Kuno und Veit, von deren Schandthaten so viel erzählt wird?« Da antworteten zwei hohle Stimmen: »Wir sind's.« Also verdient Ihr eigentlich kein Erbarmen, allein ich will gleichwohl versuchen Euch zu erlösen, darum sagt: »Ist dies möglich?« »Ja«, antworteten die Felsenbilder. »Aber wie? Seid Ihr wirklich blos in diese steinernen Hüllen seit Jahrhunderten eingeschlossen und könnt Ihr, wenn ich sie zertrümmere, zur Ruhe eingehen?« »Ja, aber eile«, war die Antwort. Da sprach der Ritter: »Im Namen Gottes«, legte das Schwert auf den Tisch und schlug dreimal mit der Axt[300] an die Felsengebilde, daß das Gewölbe krachte, beim dritten Schlage aber sprangen ihre Hüllen auseinander und zwei nebelhafte Wesen standen vor ihm. Sie sprachen: »Habe Dank für das, was Du an uns gethan hast, wir haben durch Dich die Ruhe gefunden, nach der wir uns so lange Jahre vergeblich gesehnt hatten. Nimm eilig, denn bald ist die Viertelstunde verflossen, soviel Du von unsern Schätzen fortbringen kannst, aber lebe fromm und thue mit ihnen den Armen wohl, damit durch Dich das Andenken an die Räubereien, durch welche sie einst unser Eigenthum wurden, vernichtet werde!« Damit verschwanden sie. Da sprangen die Truhen auf und Gold und Silber und Edelsteine in großer Zahl glänzten dem Ritter entgegen. Er raffte in größter Eile, so viel er konnte, zusammen und reichte es dem draußen harrenden Knappen hinaus, doch ehe noch das Viertel von dem, was hier aufgespeichert war, fortgetragen war, da schlug es ein Viertel, hurtig sprang der Ritter zur Thüre hinaus und krachend schloß sie sich hinter ihm. Das erste aber, was sie thaten, war, daß sie zu der armen Frau gingen und ihr das durch Gottes Gnade am Leben erhaltene Kind wieder zutrugen. Dann aber kehrten sie in ihre Heimath zurück und der Ritter ließ von den Schätzen, die er gefunden und redlich mit seinem Knappen getheilt, Armenhäuser bauen und vertheilte den Rest unter Arme und Hilfsbedürftige. Weil aber dieselben nicht alle durch ihn fortgenommen worden sind, so steht das steinerne Pförtchen noch alle Jahre zur bestimmten Viertelstunde offen und das Glück, auf diese Weise reich zu werden, blüht noch heute Jedem, der es wagt, den Rest zu holen.57

57

Dieselbe Sage, d.h. von der Frau mit dem Kinde, ist oben von dem Hummelschloß erzählt worden. Man versetzt sie auch in die Burg Karpenstein bei Landeck und nach Kaldenstein im Fürstenthum Neisse.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 296-301.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Sagenbuch des Preußischen Staats
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Rameaus Neffe

Rameaus Neffe

In einem belebten Café plaudert der Neffe des bekannten Komponisten Rameau mit dem Erzähler über die unauflösliche Widersprüchlichkeit von Individuum und Gesellschaft, von Kunst und Moral. Der Text erschien zuerst 1805 in der deutschen Übersetzung von Goethe, das französische Original galt lange als verschollen, bis es 1891 - 130 Jahre nach seiner Entstehung - durch Zufall in einem Pariser Antiquariat entdeckt wurde.

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon