b) Der Burggeist im rothen Mantel.

[358] Ungefähr seit dem Jahre 1159 war die Veste Gröditzberg der Sitz eines argen Raubritters, Namens Rüdiger von Busewey. Derselbe hatte von seiner frühverstorbenen Gattin eine einzige Tochter, welche mitten unter den Bösewichtern und den feilen Dirnen, welche die Burg in sich faßte, gehütet von einer rechtschaffenen Zofe ihrer Mutter zu einer schönen Jungfrau heranwuchs. Während ihr Vater mit seinen Raubgesellen die Zeit, welche er nicht auf seinen Streifzügen gegen Reisende und Kaufleute verbrachte, unter üppigen Gelagen verschwendete, war ihre einzige Zerstreuung, in der Nachbarschaft Kranke und Arme zu besuchen und so einigermaßen wenigstens das viele Böse, welches ihr Vater that, wieder gut zu machen. Auf diesen Wanderungen hatte sie nun aber die Bekanntschaft des Ritters Zedlitz auf Alzenau gemacht, derselbe gewann bald ihre Liebe, allein die Liebenden hatten keine Aussicht ein Paar zu werden, denn der Vater der Jungfrau war der bitterste Feind der Zedlitze, weil diese längst schon mit andern Rittern der Umgegend sich berathen hatten, auf welche Weise dem Treiben des Besitzers der Gröditzburg ein Ende gemacht werden könne, und der Ritter also von ihnen das Schlimmste zu fürchten hatte.

Nun ließ sich aber damals auf der Gröditzburg eine Art Burggeist sehen, ein hoher Mann in einem rothen Mantel. Derselbe nahm sich namentlich der unglücklichen Jungfrauen an, welche von den Raubgesellen häufig gefangen ins Schloß gebracht wurden, um dort das Spiel ihrer Lüste zu werden, sehr vielen verhalf er zur Flucht. Derselbe trat mehrere Male vergebens dem bösen Rüdiger als Warner in den Weg, allein immer vergebens, endlich aber erschien er ihm einst, als derselbe nach einem Zechgelage im Rittersaale eingeschlafen war, in seiner wahren Gestalt, ganz so wie er auf einem alten Porträt im Ahnensaale dargestellt war, und sagte ihm, er sei einst gerade so gottvergessen gewesen wie er, so habe er einst dem Ritter Henschel von Zedlitz seine junge Gemahlin, eine Tochter des Ritters von Stiebitz auf Warthau geraubt, allein da dieselbe seinen Anträgen tapfer widerstand, so ließ er sie in das Burgverließ werfen und dort verhungern. Zur Strafe rührte ihn am Zechtische der Schlag und er ward[358] verdammt, so lange ruhelos auf Erden herumzuwandeln, bis abermals einer seiner Nachkommen an Schandthaten ihm gleich eine Tochter haben werde, die einen von Zedlitz auf Alzenau wahrhaft liebe und sich ihm in voller Unschuld vermählen werde. Werde aber dieser letzte Nachkomme sein ruchloses Leben nicht verlassen, so solle dieser ebenfalls nach seinem Tode als böser Geist zum Schrecken aller Bösewichter so lange umherirren, bis er als guter Geist ihn unschädlich gemacht und seine Ruhe bewirkt habe. Es sei also jetzt die höchste Zeit für ihn, das bisher geführte ruchlose Leben zu verlassen und ein treuer Hausvater zu werden, seine Tochter aber dem jungen Eberhard von Zedlitz zur Hausfrau zu geben und so zwei tugendhafte Liebende glücklich zu machen. Damit verschwand er. Alles fruchtete jedoch nichts, im Gegentheil, Rüdiger ward von Tage zu Tage noch wüster und grausamer, in kurzer Zeit ermordete er mehrere edle Jungfrauen, da sie sich nicht zum Spielball seiner Wollust hergeben wollten und natürlich vermaß er sich seiner Tochter gegenüber hoch und theuer, daß sie nie die Gemahlin des Herrn von Zedlitz werden solle. Da erhob sich eines Tages, gerade als der Ritter mit seinen Genossen und Buhlerinnen beim üppigen Mahle saß, ein furchtbarer Gewittersturm, unter Donner und Blitz trat der Burggeist unter die Frevler und rief ihnen mit furchtbarer Stimme zu, ihre Stunde sei gekommen, und gleichzeitig erhob sich wildes Kriegsgeschrei auf dem Schloßhofe, die benachbarten Ritter hatten ein kleines Heer gesammelt und während auf der Gröditzburg Alles sich der Schwelgerei hingab, die Mauern erstiegen. Die Reisigen Busewey's leisteten nur geringen Widerstand, er selbst ward gefangen und nur auf Bitten des Ritters von Zedlitz, der einer seiner Gegner war, mit dem Tode verschont, dafür aber in seinem eigenen Schlosse in den tiefsten Kerker geworfen. Hier endlich in tiefer Einsamkeit rührte ihn das Gewissen, er ließ vor seinem Geiste alle die Bilder seiner schändlichen Vergangenheit vorüberziehen, und betete zu Gott, ihm zu verzeihen und ihm die Möglichkeit an die Hand zu geben, seine Verbrechen wenigstens einigermaßen zu sühnen. Da erschien ihm der Rothmantel zum letzten Male und verhieß ihm die göttliche Gnade, wenn er die Hände der beiden Liebenden in einander legen, sein Besitzthum zu wohlthätigen Zwecken verwenden und selbst dem Herrn Zeit seines Lebens dienen wolle. Dies that er auch getreulich, übergab Eberhard von Zedlitz seine Tochter und die Gröditzburg, ging dann erst in das Franziskanerkloster zu Goldberg, nach einem halben Jahre aber in eine Einsiedelei, die er sich auf dem sogenannten blauen Berge hatte bauen lassen und hier starb er nach langen Jahren, von allen dorthin Pilgernden als ein frommer Mann hochverehrt. Er wurde nach seinem Tode auf seinen Wunsch dort begraben und von dieser Zeit an nannte man diesen Berg der Mönchsberg.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 358-359.
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