c) Die schwarze Ahnfrau mit dem silbernen Kreuz.

[359] Auf der Gröditzburg ließ sich im 13. Jhdt. eine Ahnfrau sehen, sie trug ein schwarzes Gewand und ein großes silbernes Kreuz auf der Brust, und lange schwarze Haare wallten über ihren weißen Nacken herab. Sie beschützte tugendhafte Bewohner der Burg und that vielem Unrecht Einhalt. Sie konnte aber durch das Kreuz selbst sofort unterscheiden, mit wem sie es zu thun hatte, stand sie vor einem frommen und tugendhaften Menschen, so[359] blieb das Kreuz rein und blank, bei gottlosen aber lief es an und verwandelte sich bis zum dunkelsten Schwarz.

Einst hatte nun aber ein Burggraf von Gröditzburg seine einzige Tochter an den wüsten Ritter Bodo von Sturmbach auf der Geiersburg verlobt, obwohl dieselbe einen andern liebte. Schon nahte der Tag der verhaßten Trauung heran, da stand plötzlich die Ahnfrau mit dem silbernen Kreuz vor der in Thränen gebadeten unglücklichen Braut, befahl ihr zu folgen und führte sie allen unsichtbar durch einen geheimen Gang bis an die Mauer des Kirchhofes, befahl ihr dieselbe zu übersteigen und brachte sie mit Hilfe eines weiten Mantels, der sich beim Hinabspringen wie ein Fallschirm ausbreitete, glücklich und unversehrt auf die andere Seite hinab – die Stelle heißt bis heute noch der Jungfernsprung – von wo sie dann auf den Gockenberg entrann. Leider aber ward sie von den Verfolgern hier bald entdeckt, zurückgebracht und zur Strafe in das tiefste Burgverließ geworfen, allein auch von hier entführte sie die Ahnfrau wieder, da sich vor ihr alle Thüren und Schlösser öffneten, und brachte sie zu einem alten Einsiedler in den Hanwald bei Goldberg, wo sie so lange versteckt blieb, bis es ihrem Geliebten gelang mit Hilfe seiner Freunde die Geiersburg zu erobern und die Umgegend von dieser Landplage zu befreien, den Raubritter Bodo selbst aber vermochten sie nicht zu fangen, ihn hatte während des Kampfes der Höllenfürst, dem er sich verschrieben, in eigener Person geholt.

Das Burgfräulein aber wurde mit ihrem Geliebten vermählt, denn ihr Vater war denn doch zur Erkenntniß gekommen, weß Geistes Kind sein erst so gern gesehener Schwiegersohn sei. Am Hochzeitstage erschien der Neuvermählten die Ahnfrau und schenkte ihr das silberne Kreuz mit dem Bedeuten, daß es auch in ihrem Besitz seine frühern Eigenschaften behalten werde. Es ist in der Familie derer von Pechwinkel, denn so hieß der von der Jungfrau erwählte Bräutigam, bis zum 30jährigen Kriege aufbewahrt worden und hat stets seinen Besitzerinnen Ehre und Glück gebracht, bis es um diese Zeit im Kriegsgetümmel verloren gegangen ist.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 359-360.
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