1324. Die Möven in Schleswig.

[1066] (S. Müllenhoff S. 137.)


König Abels Leute, die ihm bei der Ermordung seines Bruders Erich halfen, sind alle eines elenden Todes gestorben; der eine ward beim Spiel erstochen, ein anderer gerädert, der dritte von seinen eigenen Leuten erschlagen etc. Sie und alle die zwanzig Ritter, die mit dem Könige den Reinigungseid thaten, sind nach ihrem Tode für immer an den Ort ihrer Schandthat gebannt worden.

Nahe an Schleswig, der Stelle, wo Abels Schloß stand, gegenüber, in der Schlei erhebt sich eine kleine Insel, der Mövenberg; alljährlich kommen am Gregoriustage die Möven dahin und nisten ungestört; die Stadt bestellt ihnen einen Fischer zum Hüter, der der Mövenkönig heißt. Wenn sie nun zweimal Junge gebrütet haben und die dritten aus dem Ei gekrochen sind, dann stürmt es an einem Sonnabend Mittag, sowie die Uhr zwölf schlägt, von allen Seiten auf den Berg. Knaben greifen die nackten Jungen; die andern erreichen die Schützen, die ganze Schlei ist mit Böten bedeckt und Schüsse knallen ringsherum. Bis zum Sonntag Mittag um zwölf Uhr dauert der Mövenpreis. Die noch lebenden Möven sind dann traurig davon gezogen, aber in jedem Jahre müssen sie wiederkommen und brüten. Denn die Möven sollen Abels Leute sein und sie können nicht von dem Orte loskommen. Nur wenn einmal ihr Mövenkönig sie nicht beschützt und sie in der Zeit vor dem Mövenpreise keine Ruhe haben, brauchen sie in sieben Jahren nicht wieder zu kommen. Das ist noch im Anfange dieses Jahrhunderts geschehen, wo sie in einem bösen Kriegsjahre gestört wurden. Aber erst wenn dreimal nach einander ihnen das Gleiche geschieht, man also binnen einundzwanzig Jahren gegen die alte Sitte verfährt, werden sie erst vom Fluche frei.

Andere sagen, daß auf der Möveninsel in einem Schlosse vor alten Zeiten ein mächtiger Herr gewohnt hat, der mit seinen Dienern und Knechten die Leute der Umgegend hart bedrückte. Das Schloß ist darnach versunken und er mit seinen Dienern in Möven verwandelt worden, die seit der Zeit die Insel allein bewohnen.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 1066.
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