518. Der gottlose Wucherer zu Thorn.

[535] (S. Hennenberger S. 454.)


Im Jahre 1343 hat der Hochmeister Ludolphus König den König von Polen Casimir II. nach Thorn geladen und in derselben Zeit ist eines Tages ein reicher Wucherer vor die Stadt hinausgegangen. Unter den Weinbergen ist es ihm angekommen seine Nothdurft zu verrichten, er legte den Gürtel ab, sammt einem Beutel, in welchem hundert Goldgülden waren, und[535] vergaß ihn. Bald darauf kommt ein Masur, der in der Stadt um Tagelohn arbeitete, findet ihn, geht in die Stadt und fragt überall, ob Jemand einen Beutel mit Geld verloren habe. Es finden sich Viele, Niemand konnte ihm aber die Zeichen sagen, endlich aber kommt auch der Wucherer. Dieser konnte es und bekam seinen Beutel. Da er nun aber dem Masuren etwas zum Vertrinken geben sollte, so ließ er ihn festnehmen, indem er vorgab, derselbe habe ihm einen Theil des Geldes gestohlen. Dies verdroß etliche Bürger, welche den Masuren kannten und wußten, daß er ein frommer Mann war, sie gingen also zum Hauskomthur und zeigten ihm die Sache an und dieser wiederum dem Hochmeister. Dieser forderte sie Beide vor sich mit dem Beutel und Gelde. Er fragte nun den Masuren, ob dies der Beutel sei, den er gefunden habe. Derselbe sagte: ja, er wüßte aber nicht, was darin gewesen sei. Er fragte auch den Wucherer, ob es denn auch der Beutel sei, welchen er verloren habe? Dieser sagt auch: ja! Da fragt er, wie viel er darin gehabt? Er antwortete: hundert Gulden. Der Hochmeister zählt das Geld und findet es richtig, fragt ihn also, weil er sein Geld richtig befunden, warum er da den Masuren habe setzen lassen? Der sagt: »Weil die Masuren gern stehlen, habe ich gedacht, es müsse mehr darin gewesen sein und er etwas entfremdet haben.« Weil der Wucherer bekannte, daß er es nicht eigentlich wußte, schüttete der Hochmeister das Geld aus, gab ihm den leeren Beutel und sprach: »Aus Deinen eigenen Worten befinde ich, daß der Beutel Dein ist, aber das Geld nicht, denn es ist nicht so viel als Du meinst!« und damit gab er dem Masuren zehn Gulden und sagte, hätte er seiner Natur genug thun wollen, so hätte er Alles behalten. Das andere theilte er zur Ehre Gottes aus.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 535-536.
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