|
[154] Am Kloster San Lorenzo
Ein Bauer leise schellt,
Der am verbrämten Zaume
Fest seinen Esel hält.
Das Thier wiegt auf dem Kopfe
Stolz seinen Federschwall,
Als wär's in seinem Volke
Schier Hof- und Feldmarschall.
Es trägt auf seinem Rücken
Den Korb von ries'gem Maß,
Dazu des Bauers Söhnlein
Und Hühnerstall und Faß.
Das Kind steckt in der Kutte
Just nach des Paters Schnitt,
Der aus der Klosterpforte
Gar feierlich jetzt tritt.
So stehn die Zwei beisammen,
Wie Löwenkatz' und Leu,
Wie Eidechslein und Kaiman,
Wie Goldfischlein und Hai.
[155]
»Nehmt, Vater, nehmt mein Söhnlein
Mild auf in Lehr' und Zucht.«
»Mein Sohn, sei uns willkommen!
Es findet, wer da sucht!«
»Mein Vater, und wer klopfet,
Dem wird ja aufgethan;
Gern legte sich zu Füßen
Euch dieser Puterhahn.«
»Mein Sohn, es ist die wahre,
Die fromme Furcht des Herrn,
Die in der Nacht des Lebens
Erglänzt als heller Stern.«
»Mein Vater, laßt euch munden
Den Trank aus diesem Faß;
Orvieto's Fluren quollen
Noch nie von süß'rem Naß!«
»Mein Sohn, 's ist Nächstenliebe,
Die schön das Dasein krönt,
Gleichwie die Rebguirlande
Dein Schollenfeld verschönt.«
»Mein Vater, Artischocken
Und Broccoli, wie die
In diesem Korb zu Schocken,
So schöne saht ihr nie!«
»Mein Sohn, es ist die Tugend
Der Samen, den wir sä'n;
O mag das Herz der Jugend
Voll ihrer Saaten stehn!«
[156]
Auf led'gem Esel trabte
Der Bauersmann davon,
Der Weisheit Lehre labte
Alsbald den zarten Sohn.
Fast hört' er den schon klagen:
»O arge, böse Zeit!
Die Tugend wird gesotten
In Kesseln, groß und weit!
Und, ach, die Nächstenliebe
Verblutet im Kellerverließ!
Die Furcht des Herrn, erdrosselt,
Brät an dem langen Spieß!«
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
|
Buchempfehlung
In Paris ergötzt sich am 14. Juli 1789 ein adeliges Publikum an einer primitiven Schaupielinszenierung, die ihm suggeriert, »unter dem gefährlichsten Gesindel von Paris zu sitzen«. Als der reale Aufruhr der Revolution die Straßen von Paris erfasst, verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit. Für Schnitzler ungewöhnlich montiert der Autor im »grünen Kakadu« die Ebenen von Illusion und Wiklichkeit vor einer historischen Kulisse.
38 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.
430 Seiten, 19.80 Euro