Der alte Komödiant

[284] Der Vorhang rauscht und fliegt empor,

Ein alter Gaukler tritt hervor,

Mit Flitter sattsam ausstaffirt,

Sein ehrlich Antlitz roth beschmiert.


Du alter Mann mit dem weißen Haar,

Wie dauerst du mich im Herzen gar,

Der du vorm Grabe gaukelnd springst,

Damit du vom Pöbel ein Lächeln erzwingst!


Ein Lächeln über ein greises Haar

Und über die nahe Todtenbahr'!

Dieß eines Lebens höchster Preis!

Des deinen, armer, armer Greis!


Des Greises Hirn ist schwach und alt,

Der Liebsten selbst vergißt er bald;

Du aber zwängst mit Müh' und Pein

Noch eitlen Floskelkram hinein.


Des Greises Arm ist abgespannt,

Man sieht nur noch die müde Hand

Zum Segen für Kind und Enkel erhöht

Und fromm gefaltet zum Gebet.
[285]

Doch deine Hand schlägt fort und fort

Den tollen Takt zu wüstem Wort,

Und all' die Mühe, armer Mann,

Damit der Pöbel lachen kann.


Und schmerzt dich auch dein morsch Gebein,

Ei was, 's ist längst ja nimmer dein!

Du magst wohl weinen, alter Mann,

Wenn nur die Menge lachen kann!


Der Greis sich in den Lehnstuhl setzt,

Ei, wie das seine Glieder letzt!

»Der macht sich's auch bequem, fürwahr!«

So murmelt's spöttisch durch die Schaar.


Mit leisem abgebrochnen Ton

Beginnt er mühsam seinen Sermon.

»Der hält nun auch kein Schlagwort mehr!«

So zürnt es strafend ringsumher.


Der Greis lallt nur manch tonlos Wort,

Die Stimme bebt, es will nicht fort;

Noch ist sein Spruch nicht ganz heraus

Da schweigt er, als ging sein Athem aus.


Das Glöcklein schellt, der Vorhang sinkt,

Wer ahnt's, daß ein Todtenglöcklein klingt?

Die Menge trommelt und pfeift dabei,

Wer ahnt's daß ein Leichenlied dieß sei?


Der Alte lehnt im Stuhle todt,

Doch Leben heuchelt der Schminke Roth,

Die auf dem Antlitz blaß und kalt,

Wie eine große Lüge, prahlt.
[286]

Sie blieb auf des Alten Angesicht,

Wie eine Grabschrift, die da spricht,

Daß Alles Lug und Trug und Dunst,

Sein Leben, Treiben, seine Kunst!


Sein Wald, gemalt auf Leinwand grün,

Rauscht über sein Grab nicht klagend hin!

Es ist sein ölgetränkter Mond

Um Todte zu weinen nicht gewohnt.


Die Kunstgenossen umstehn den Greis,

Und Einer spricht zu seinem Preis:

»Heil ihm, denn, traun, ein Held ist der,

Der auf dem Schlachtfeld fiel, wie er!«


Ein Gauklerdirnlein als Muse gar

Legt dann dem Greis ins Silberhaar

Den grünpapiernen Lorbeerkranz,

Vom vielen Gebrauch zerknittert ganz.


Zwei Männer sind sein Leichenzug,

Die sind, den Sarg zu tragen, genug;

Und als sie ihn zu Grabe gebracht,

Hat Niemand geweint und Niemand gelacht.

Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke, Band 1–4, Band 1, Berlin 1907, S. 284-287.
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