Ein Schloß in Böhmen

[338] In Böhmens Bergen hocheinsam liegt

In Trümmern eine Veste,

Dran Epheu sich statt des Mörtels schmiegt,

Drin Geier die schmausenden Gäste.

Der Feind zerbrach einst Wall und Thurm,

Gebälk und Getäfel fraß der Wurm,

Die Zeit zerrieb die Reste.


»O Wunderblick ins Thal hinein

Und über die Berg' und Lande!

Raff' auf die Knochen, dein morsch Gestein,

Steig auf im alten Gewande,

Du Leiche jetzt, o Väterschloß,

Ersteh' zum Leben neu und groß,

Ein Schmuck und Stolz dem Lande!«


Der junge Ritter sprach's und gebot;

Die Felsen im Bruch zerknallen,

Im Flammengewölk der Kalkstein loht,

Die Riesen des Forstes fallen,

Und stämmige Stiere keuchen bergan

Mit Sparren und Quadern, mit Sims und Altan,

Mit Balken und Säulen der Hallen.
[339]

Hei, an den Bau griff Hand an Hand,

Ein Tagwerk gab's aufs Beste:

Der neue Bau zwier mannshoch stand

Schon über dem Trümmerreste.

Doch weh, was der Tag zu Werk gebracht,

Zerfallen ist's wieder über Nacht,

In Schutt liegt Morgens die Veste.


»O schlechter Mörtel, schlechtre Hand!

Gebt Kraft ihm mit starkem Weine

Und zwingt mit eiserner Klammern Band

Die ungehorsamen Steine!«

Und so geschah's, doch über Nacht

Zerfiel, was der Tag zu Werk gebracht;

Nur Trümmer im Morgenscheine!


Zum Ritter tritt ein Werkmann alt:

»Sieh hin und uns nicht fluche:

Das Rüstholz liegt, wo sie's fällten, im Wald,

Die Quadern unten im Bruche!

In solcher Art kein Bau zerfällt,

Den hat ein gewaltiger Feind zerschellt!

Laß Wächter stehn dem Besuche.«


Die Wächter lehnen bei Nacht am Wall.

Da fächeln so lau die Weste,

Der Mond bestreut ihr Aug' mit Metall,

In Träumen flüstern die Aeste;

Da schlummern sie leise, leise ein.

Man fand sie am Morgen unterm Gestein,

In Trümmern lag die Veste.
[340]

Der Ritter sprach: »Nur Muth bewahrt!

Ans Werk, und laßt das Trauern!«

Das geht nicht zu in rechter Art,

Denkt er bei sich mit Schauern.

Gen Kloster Kukus trabt er dann:

»Herr Abt, o schließt des Segens Bann,

Ihr könnt's, um meine Mauern!«


Zu Nacht umwallten des Tages Bau

Der Abt und seine Genossen,

Der Weihrauch wirbelt' ins nächt'ge Blau,

Vom Glanz der Fackeln umflossen.

Sie trugen ihm Kreuz und Weihbronn vor,

Der Mönche Lieder in ernstem Chor

Sich durch die Nacht ergossen.


Seht dort, behelmt, langbärtig am Wall

Von riesigem Leib drei Recken,

Seht sie im Harnisch von dunklem Metall

Drei Aexte hochauf strecken!

»Im Namen des Herrn, der dem All gebeut

Ihr Söhne der Nacht, steht Rede heut!«

Der Abt rief's fast mit Schrecken.


Drauf aber erhoben die Drei das Wort,

Kein irdisch Singen noch Sprechen!

Ein Brausen war's des Walds, der verdorrt,

Ein Rauschen von wallenden Bächen,

Ein Todesjubeln der Glock' im Thurm,

Ein Herbstfrohlocken, das der Sturm

Ausjauchzt über Stoppelflächen:
[341]

»Ihm Ruhm und Lob! Ihm Preis und Ehr'.

Wir fliehn nicht vor seinem Namen.

Hier ist kein Haus für Lebend'ge mehr,

Hier reift des Todes Samen.

Der Herr sprach: Tödtet nicht, was da lebt,

Doch auch ins Leben zu wecken bebt,

Was dem Tode verfallen! Amen.


Nie grünt der Baum, den gefällt dein Beil,

Nie glimmt der Stern, der verlodert,

Nie gras't der Hirsch, den erlegt dein Pfeil;

Was des Todes, nicht heim mehr fodert!

Nie mehr wird blond dein Schneehaupt, Greis,

Nie weckt den todten Leib dein Geheiß,

Noch minder den Geist, der modert!«


So sprachen sie; abschütteln dabei

Ihr dürres Laub die Aeste!

Die blanken Aexte schwingen die Drei,

Da bekreuzen sich fromm die Gäste;

Ein mächtiger Schlag, ein donnernder Knall,

Ein Staubgewölk, ein dröhnender Fall!

In Trümmern liegt die Veste.

Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke, Band 1–4, Band 1, Berlin 1907, S. 338-342.
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