Bildhauer

[295] Habt mich mit Speis' und Trank gelabt,

Gern dankt' ich's durch die That, Herr Abt,

Will drum zum Abschied nicht verschweigen,

Welch Schatz Euch unbewußt zu eigen.

Der Stein, den ich im Hof dort schaue,

Ein Rest wohl noch vom Klosterbaue,

Der Marmorblock ist's, den ich meine;

Es steckt, weiß Gott, in diesem Steine

Ein prächt'ger Christus fix und fertig,

Des tücht'gen Armes nur gewärtig.

Laßt, wenn ich rückkehr, mich verdienen

Nebst Eurem Lob ein paar Zechinen,

Und bei des Klosterkellers Tropfen

Will ich ihn gern heraus Euch klopfen.«

Ein Künstler sprach's im Sammetrock,

Sah scheidend noch zum mächt'gen Block,

Voll Lebenswärme ward die Quader,

Voll edlen Bluts die blaue Ader.


Das »Klopfen« und die »Tropfen« klangen

Im Ohr des Abts und blieben hangen.

Er denkt: Ei, die Zechinen kann

Ersparen schier ein kluger Mann![296]

Er winkt dem Kellermeister leise

Und wählt dann aus der Brüder Kreise

Der stämmigsten Gesellen vier:

»Wohlauf! Ihr seht den Steinblock hier,

Drin steckt, des tücht'gen Arms gewärtig,

Ein prächt'ger Christus fix und fertig;

Den sollt Ihr jetzt heraus mir klopfen,

Gestärkt von diesen goldnen Tropfen!«


Hei, an ein Hau'n und Hämmern ging's!

Die Stücke flogen rechts und links,

Das dröhnt und hallt wie ein Gewitter,

Dem Abbas sprang ins Aug' ein Splitter,

Den Mönchen dampft das Haupt von Schweiß,

Vom Staub sind schon die Kutten weiß,

Der Block wird kleiner, immer kleiner,

Den prächt'gen Christ doch sieht noch Keiner!

Nur frisch drauf los! Von ihrem Klopfen

Verschwinden Stein und goldne Tropfen,

Zum Bröcklein schmilzt die Quader ein,

Kein Christus doch entstieg dem Stein!

In Splittern liegt die Marmormasse

Verstreut als Bauschutt auf der Straße;

Der Abt verwünscht die Künstlerblouse,

Er selbst ein Steinbild der Meduse.


Und als der Mann im Sammetrock

Rückkehrt und späht nach seinem Block

Ach, er erkennt vom Lieblingssteine

Ringsum die bleichenden Gebeine,

Und edlen Zorns und Unmuts schwer

Den frommen Predigern predigt er:[297]

»Mein Heiland, seh ich, ist erstanden,

Hat selber sich befreit aus Banden,

Dabei doch Hals und Bein gebrochen,

Und Ihr zerschlugt ihm Haupt und Knochen!

Weh über Euch! Doch merkt Euch das:

Weß Aug' nicht klar, gleichwie durch Glas,

Sein Werk schon fertig sieht im Stein,

Der lasse nur das Bilden sein!

Weß Hand nicht, fest und zart zugleich,

Sich weiß mit wucht'gem Hammerstreich

Um geist'gen Umriß weich zu schmiegen,

Der laß' den Schöpfermeißel liegen!

Zerfallen mußt' in plumper Hand

Selbst Euer Christ zu Straßensand;

Statt Bildner war't zum Hohn der Lacher

Ihr leidlich gute Wegemacher.

Nur Geist zeugt Geist! Die Höhn umkreist,

Zur Tiefe taucht der Sehergeist,

Und weckt auf kaum betretnen Bahnen

Zur schönen That ein träumend Ahnen;

Wer sein entbehrt, der sitz' am Raine

Und klopf' im Tagwerk ihm die Steine.«

Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke, Band 1–4, Band 2, Berlin 1907, S. 295-298.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
In der Veranda
Sämtliche Werke 3: In der Veranda. Hg. von Anton Schlossar [Reprint der Originalausgabe von 1906]
In der Veranda
In Der Veranda: Eine Dichterische Nachlese (German Edition)

Buchempfehlung

Prévost d'Exiles, Antoine-François

Manon Lescaut

Manon Lescaut

Der junge Chevalier des Grieux schlägt die vom Vater eingefädelte Karriere als Malteserritter aus und flüchtet mit Manon Lescaut, deren Eltern sie in ein Kloster verbannt hatten, kurzerhand nach Paris. Das junge Paar lebt von Luft und Liebe bis Manon Gefallen an einem anderen findet. Grieux kehrt reumütig in die Obhut seiner Eltern zurück und nimmt das Studium der Theologie auf. Bis er Manon wiedertrifft, ihr verzeiht, und erneut mit ihr durchbrennt. Geldsorgen und Manons Lebenswandel lassen Grieux zum Falschspieler werden, er wird verhaftet, Manon wieder untreu. Schließlich landen beide in Amerika und bauen sich ein neues Leben auf. Bis Manon... »Liebe! Liebe! wirst du es denn nie lernen, mit der Vernunft zusammenzugehen?« schüttelt der Polizist den Kopf, als er Grieux festnimmt und beschreibt damit das zentrale Motiv des berühmten Romans von Antoine François Prévost d'Exiles.

142 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon