12.

[63] Am Zellenfenster lehnt im Mondenlichte

Der strenge Abt mit düstrem Angesichte;

Es steht ein Priesterjüngling vor dem Manne,

Ein grüner Sproß bei alter, dunkler Tanne.


Es müht der Mondstrahl sich umsonst, dem Alten

Zu streichen aus der Stirn die finstern Falten,

Die in so grellern Schattenfurchen brechen,

Nun er zu Jenem so begann zu sprechen:


»Dieß Kleid, das, Jüngling, heute dich umfangen,

Die Welt sah's einst als schwarzen Purpur prangen,

Des Haupts Tonsur als Kron', als eine echte!

Als Fürst der Fürsten herrscht' der Knecht der Knechte!


Voll Kön'ge ist die Welt, das Land voll Heere,

Das Feld voll Pflüge, segelvoll die Meere:

Er winkt, und Segel, Pflüge, Heere wallen!

Er winkt, und auf ihr Knie die Kön'ge fallen!


Kühn fühlte über Sterne sich gerissen

Des Priesters Stolz, die Welt zu seinen Füßen,

Die Welt, die, Puppen gleich im Puppenspiele,

An seinem Draht er spielend lenkt zum Ziele!


Das Puppenspiel beginnt, die Kerzen flammen;

Ihr Bänke brecht der Menge nicht zusammen!

Den Priester decken des Theaters Wände:

Ein Puppenspieler berge gut die Hände.
[64]

Des Chaos Nacht, des Paradieses Zweige,

Die Schlang' und das berühmte Blatt der Feige,

Der Fels von Löschpapier, des Meeres Wogen,

Sie kommen All' an seinem Draht gezogen.


Der Engel, dem vom Weingeist brennt der Säbel,

Der liebe Herrgott selbst im Wolkennebel,

Der ölgetränkte Mond, sammt Sonn' und Sternen,

An seinem Drahte mußten gehn sie lernen.


Ein Guß von Streusand wird als Sündfluth taugen!

Streut so viel Sand dem Volk nicht in die Augen!

Der transparente Regenbogen nahte

Dem wasserscheuen Noah jetzt am Drahte.


Ein Engel packt dort Habakuk beim Schopfe!

Sieh Judith mit des Holofernes Kopfe!

Horch, Josua schießt mit Posaunen Bresche!

Elias reist in brennender Kalesche.


Die Krone Sauls, des Maccabäus Degen,

Die Harfe Davids weiß sein Draht zu regen,

Den Hohenpriester mit Papierscheer', Brillen,

Bereit, des Herrn Beschneidung zu erfüllen.


Schon soll der Draht gen Himmel Christum tragen,

Wohl hungert längst des Puppenspielers Magen;

Da wandelt Satan in Gestalt des Schenken

Mit Wein und Würsten zwischen Bühn' und Bänken.


Die Hand ließ Christum aus den Wolken fallen,

Rasch in die Schüssel griffen ihre Krallen!

Das Auferstehungsfest des Himmelsfürsten,

Ach, wurde so zur Himmelfahrt von Würsten!
[65]

Das Volk stürzt pfeifend, lachend aus dem Saale,

Zum Nachtisch hagelt's Aepfel noch zum Mahle;

Das war des Puppenspieles tragisch Ende:

Ein Puppenspieler berge gut die Hände.


Ob wir aufs Neu' auch Sonn' und Mond polirten,

Neu Evens Baum mit goldner Frucht staffirten,

Aus bleibt das Volk, leer stehn des Saales Wände:

Ein Puppenspieler zeige nicht die Hände!«


So sprach der finstre Mann zu dem Gesellen

Im Angesicht des Monds, des glänzend hellen,

Indeß die Nachtigall im nächsten Flieder

Die Jungen lehrte ihre ew'gen Lieder.

Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke,Band 1–4, Band 3, Berlin 1907, S. 63-66.
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