3.

[137] Und wieder Ostern war's, vom Oelberg wieder

Sah Christus in das Thal zur Stadt hinab;

Das Kreuz, gestürzt ist's von den Zinnen nieder,

Nur eins steht schüchtern noch ob seinem Grab.


Hoch von Moscheenkuppeln, Minareten

Prangt goldnen Strahls der Halbmond übers Land;

Der Ruf des Muezins gebeut zu beten,

Wo stolz einst Salomonis Tempel stand.


Dem Stein gilt's gleich, welch Zeichen man ihm wählte,

Ob er als Tempel, Dom, Moschee euch dien';

Vom Menschen lernt' er's ab, daß gleich ihm's gelte,

Tritt Mönch, Levite oder Derwisch ihn.


Der Moslim riß herab aus Himmelsfernen

Den Mond, zu schmücken seinen Erdenraum;

Der Christ hob von der Erde zu den Sternen

Sein Kreuz, gezimmert nur aus ird'schem Baum.


Zerstäubt, vermodert längst des Kreuzes Fechter.

Kein Psalm, kein Glockenklang in weiter Luft!

Nur Mönche blieben, hütend noch als Wächter,

Wie treue Doggen, ihres Herren Gruft.
[138]

Dieß leere Grab, sie kauften es mit Golde,

Krambuden schlug der Heide drinnen auf;

Dem müden Pilger beut um schnöde Solde

Er Platz für seine beiden Knie' zu Kauf.


Der Ostern Fest ist's heut! Auf allen Bahnen

Ziehn fromme Christenpilger wohl heran,

Durch alle Lande reiche Karavanen

Und rüst'ge Schiff auf aller Meere Plan?


Nein! Oed' und leer sind noch des Domes Hallen,

Darin zerstreut nur einzle Beter knien!

Vielleicht daß draußen noch vor'm Thor sie wallen?

Blick' um dich, Auge, wo die Wandrer ziehn?


Kein Pilger hier! Nur Beduinen jagen

Auf flinken Rossen durch das Haideland;

Kein Pilger dort! Die Christenschiffe tragen

Des Kaufherrn Gold und Ballen nur zum Strand.


Sieh dort bemoost vier Trümmerwände ragen,

Längst eingebrochen ist Gewölb' und Dach;

Ein Kirchlein Gottes war's in alten Tagen,

Jetzt stürzt es mählich seinen Bauherrn nach.


Es sprießen grüne Terebinthen drinnen,

Sie stehn die letzten, treuen Beter hier,

Es wölbt ihr Laub zu Kuppeln sich und Zinnen,

Es ragen ihre Stämm' als Säulenzier.


In ihrem Schatten ruht ein müder Waller,

Olivenfarbe trägt sein Angesicht,

Wahrzeichen trägt auch er der Pilger aller:

Den Stab und Staub, – doch Christi Zeichen nicht!
[139]

Er ist ein Körnlein jener Handvoll Samen,

Die einst der Sturm von diesem Boden hob

Und in die Länder sä'te aller Namen

Und weit hinaus in alle Winde stob!


Ein Jude ist's, ein Ast vom Wunderstamme,

Gefällt, zerschmettert längst, doch nicht verdorrt!

Des Markes Kern versenkt von Blitzesflamme,

Des Wipfels Zweige grünend fort und fort!


Und wie ums Haupt beim Laubeswehn ihm schwanken

Bald Sonnenlichter, bald die Schatten dicht,

So gaukeln drin die Bilder und Gedanken,

Bald mitternächtig schwarz, bald sonnenlicht:


»Die Lerche steuert pilgernd in den Lüften

Dem Lenze nach und seiner Blüthenspur;

Der Hirte wandert von enthalmten Triften

Zu frischem Weideplatz auf reichrer Flur.


Nicht, gleich der Lerche, folg' ich Frühlingsspuren,

Und doch wie sie, so wandr' ich fort und fort!

Nicht, gleich dem Hirten, such' ich schönre Fluren,

Und doch wie er bin ich bald hier, bald dort!


Der Hirsch, den ihr mit Hunden ließet hetzen,

Der rennt durch Büsch' und Felder fort und fort;

Er rennt noch immer fort in scheuen Sätzen,

Wenn Treibers Hand und Ruthe längst verdorrt!


Ich säe nicht, ich pflüge keinen Boden,

Mich schreckt kein Hagel, denn ich ernte nicht.

Doch bent mir jedes Land von seinen Broden,

Und meinem Durste nie der Quell gebricht!
[140]

Des Nordens Eiche und des Südens Palme

Hat um das Haupt schon Schatten mir gestreut;

Der Wüste Sand, der Alpen duft'ge Halme,

Sie halten mir des Schlummers Bett bereit.


Ich wohn' in engen Gassen, dunklen Schlüften,

Wohin der Christ uns aus den Städten stieß;

Er ahnt es nicht, wie selbst in Drachenklüften

Des Weibes Kuß, des Kindes Lächeln süß!


Ich lerne keine von den Sprachen allen,

Nur meine trag' ich durch die ganze Welt;

Natur der Staare ist's, die Sprache lallen

Des Peinigers, der sie gefangen hält.


Mir blüht kein Vaterland! Die Brüder ringen

Durchs Leben sich, zerstreut, im Wandrerkleid!

Und doch sind wir ein Volk! In Eins verschlingen

Gemeinsam Elend uns, gemeinsam Leid!


Vom Manne, der nicht sterben kann, die Sage

Lallt manch ein Christenkind, vom Ahasver.

Es wallt vorbei der Völker Sarkophage

Mein Volk, unsterblich, thränenlos, wie er!


Nicht weiß ich's, dämmern uns des Fluchs Gerichte,

Strahlt Segen uns aus der Geschicke Buch?

Auf unsrer Töchter schönem Angesichte

Les' ich sogar den leisen Hauch von Fluch!


Pflanzt in den Süd ein Reis von Nordens Tannen,

Wenn's nicht verdorrt, sprießt's doppelt grün und groß;

Wollt in den Nord ihr Südens Lorber bannen,

Erfriert er nicht, verkrüppelt doch sein Sproß.
[141]

In allen Zonen doch, Gepräg' aus Steine,

In Farb' und Bildung bleibt mein Antlitz gleich;

So heiß ist Südens Brand nicht, daß er's bräune,

So kalt kein Norden, daß er's tünche bleich!


Die Christen sahn's, da mocht' es ihnen dünken,

Es sei wohl eisenfest auch unser Leib,

Daß unser Blut ihr Schwert sie ließen trinken,

Uns niederdolchten Greis und Kind und Weib!


Die Christen sahn's, und unsres Leibes Glieder

Hielt da wohl auch für feuerfest ihr Wahn,

Daß sie uns Haus und Hütten brannten nieder

Und unter uns den Holzstoß schürten an!


Was zürnen sie? Weil einst, was noch sie üben,

Gerichtet einen Sünder wir nach Fug!

Wenn das er lehrte, was sie thun und trieben,

Traun, war's kein Unrecht, was ans Kreuz ihn schlug!


Ihr schmäht, daß wir den Blick zum Mammon wenden;

Wie wir ihn suchen, suchet ihn auch ihr.

Nur tappt ihr plump nach ihm mit schweren Händen,

Mit leichter Wünschelruthe winken wir.


Verachtet mich, doch will Triumph ich stimmen!

Zertritt mich, Christ, wie einen Wurm der Flur!

Muß ich mich unter deinen Sohlen krümmen,

Ist's doch vor Schmerz nicht, nein, vor Wollust nur!


Voll Lust ja denk' ich's unter deinen Füßen,

Wie deines Priesters halb du bist, halb mein;

Wie wir uns Beid' in dich zu theilen wissen,

Sein soll das Jenseits, mein das Diesseits sein!
[142]

Ich denk's, daß meines Volks ein Mann darf winken,

Und Demant und Juwel, entfärbend sich,

Aus deines Königs stolzer Krone sinken,

Der dich auch treten kann, so wie du mich.


Braus't hoch zu Roß dahin, im Goldesschimmer,

In Purpur wallend, schwingend das Panier!

Ich lieg' im Koth und weiß, ihr seid nicht immer

So stolz und bückt euch noch herab zu mir.


Entfalt', o Christensaat, dein Prunkgefieder

Und schlag' dein schimmernd Farbenrad als Pfau!

Des Regenbogens Leuchten spiegle wider,

Des Sternenhimmels Funkeln gib zur Schau!


Gern mag der Pfau im Sonnenglanz sich blähen,

Doch schämt er seines eklen Fußes sich.

Ich bin der Fuß, magst ihn mit Scham besehen,

Doch trägt nur er dein Prunkgebäud' und dich!


Und beugt der Unsern Einer auch dem Quelle

Sein Haupt zur Weih' in Eures Glaubens Bund,

Meint ihr, ihn lockt des Paktol's reinre Welle?

Ich mein', er ahnt das Körnlein Gold's am Grund!


Ha, jauchze nur, o Petrus, wenn gelungen

Solch Fischzug oft dem Netz in deiner Hand!

Denk' an das Krokodil und seine Jungen,

Die heimisch auch zu Wasser und zu Land!


Und gönnst du, Christ, uns einst auch deine Fluren,

Gibst du uns Freiheit, Recht, Gesetz zurück,

Ein Krieg, den die Jahrtausende sich schwuren,

Den endigt nicht ein Friedensaugenblick!
[143]

Hier ist mir wohl! Hier sind wir gleich, wir Beiden,

Verschmäht, getreten gleich, in diesem Land!

Doch unter'm Tritte selbst des schnöden Heiden

Reich' ich dir nicht zum Frieden meine Hand!


Genug der Rast! Wie labt des Schlummers Bronnen!

Laßt sehn, wie die Geschäft' am Grab dort stehn.

Kauft Goldmonstranzen, Rosenkranz, Madonnen!

Kauft Kreuze, schmucke Kreuze, blank und schön!«

Quelle:
Anastasius Grün: Gesammelte Werke,Band 1–4, Band 3, Berlin 1907, S. 137-144.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Schutt
Sämtliche Werke 6: Schutt. Hg. von Anton Schlossar [Reprint der Originalausgabe von 1906]
Schutt (German Edition)

Buchempfehlung

Anonym

Tai I Gin Hua Dsung Dschi. Das Geheimnis der Goldenen Blüte

Tai I Gin Hua Dsung Dschi. Das Geheimnis der Goldenen Blüte

Das chinesische Lebensbuch über das Geheimnis der Goldenen Blüte wird seit dem achten Jahrhundert mündlich überliefert. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Richard Wilhelm.

50 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon