[486] Kirchhof bei Rom, mit der Bildsäule des Gouverneurs. Anbrechender Abend.
Don Juan und Leporello.
DON JUAN.
He! Leporello!
LEPORELLO.
Herr, noch bin ich nicht bei Sinnen.
DON JUAN.
Ein Gaukler ist der Faust, doch für die Reise,
Die er uns durch die Luft hieher ließ machen,
Dank ich ihm lebenslang! Wie flatterten
Die heitren Seen, der Ströme Silberbänder,
Wie stäubten Berg' und Tal, bebaute Aun,
Belebte Städte uns vorbei. Eh' Überlegung
Die eine Aussicht uns verdarb, war schon
Die andre da! Ein Rausch, wie er den Aar
Durchzucken mag, wenn er die weißen Firnen
Stolz überflügelt, hält mich noch befangen!
– Wo sind wir?
LEPORELLO.
In der Teufelsküche –
Ich müßt 'ne schlechte Nase haben, oder
Hier riechts nach Teufelsbraten, wenn nicht gar
Nach Leichen.
DON JUAN.
Die Gegend wär mir unbekannt?
Die Höhn im Westen, schön vom Abendrot,
Dem Blut der Sonne, übergossen, kenn ich. –
– Ho, Leporello! Knecht! Erblickst du dort
Den Doppelhimmel? Die Sankt Peters Kuppel, und
Das Firmament? Wir sind vor Rom!
LEPORELLO.
O säßen wir doch lieber im Vesuv!
DON JUAN.
Warum? Auf Trümmern sproßt das zartste Grün,[486]
Auf Trümmern singt am hellsten die Zikade,
In der Zerstörung Mitte schallt am kühnsten
Der Ruf der Freude, auf den Gräbern der
Scipionen schmeckt der Wein am köstlichsten!
LEPORELLO.
Der Mord des Octavios, des Gouverneurs –
Die Polizei?
DON JUAN.
Was Mord! Was Polizei!
Heut nacht speis ich in Rom, und morgen such
Ich Donna Anna auf von neuem. Mag
Die Polizei nur kommen, wenn nicht Grobheit,
So sollen Konnexionen sie vom Leib
Mir halten, – alle span'schen Kardinäle
Sind mir befreundet.
LEPORELLO.
Konnexion! Ja
Wenn das ist!Konnexion ist viel,
Verstand, Verbrechen, Recht sind gar nichts.
Lieber
Verstand verlieren als die Konnexion.
Ich hatt 'nen Onkel, der hatt einen Vetter,
Der Vetter eine Tante, diese hatt
'Ne Nichte, die Nichte war Mätresse
Bei einem Bischof.
DON JUAN.
Still von deiner Freundschaft.
– Was für Gestalten schimmern da so weiß
Und stumm?
LEPORELLO.
Der Faust! der Faust! Was er versprochen,
Hat er gehalten. Wir sind auf dem Kirchhofe,
Und jener Reiter, marmorn, in der Hand
Den Stab, – es ist das Denkmal auf dem Grabe
Des Gouverneurs.
DON JUAN.
Schon richteten sie ihm
Ein Denkmal auf? Wahrhaftig, das war nötig!
Sie hätten ihn sonst allzuleicht vergessen!
LEPORELLO.
Ich fleh Euch, spottet hier nicht, wo die Toten
Zu unsren Füßen ruhn.
DON JUAN.
Du fürchtest dich
Vor Wurmfraß? Und das sind die Toten.
LEPORELLO.
Hätten
Die Würmer ein bißchen nur Vernunft –
Sie wagten sich an Leichen nicht.[487]
DON JUAN.
Vernunft
Mache also feig und Unvernunft mache Mut?
LEPORELLO.
Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. So denkt
Der Ochse, wenn er vor dem Kopf ein Brett hat.
DON JUAN.
Der Stier läuft fort, wenn ihm das Brett genommen.
– Ich aber sag: auch was ich weiß, macht mich
Nicht heiß!
Die Inschrift an dem Fußgestell
Des Denkmals lies mir.
LEPORELLO.
Wenn ich lesen könnte
DON JUAN.
Soll ichs dich lehren, Schurke?
LEPORELLO.
Ach ich kenne
Nicht einen Buchstaben –
Für sich.
Wär ich von hier fort!
Dem Toten nah' ich nimmer!
DON JUAN.
Hund! ich schlage
Zu Stücken dich, wenn du drei Atemzüge
Noch zögerst. Fürchte du die Lebenden
Und nicht die Toten!
LEPORELLO.
Muß ich also lesen!
Nun, sei's versucht – die Not bricht Eisen –
DON JUAN.
Recht,
Wenn man so feig ist, mit dem Eisen nicht
Die Not zu brechen.
Nun, wirds bald?
LEPORELLO.
Die Angst! die Angst!
DON JUAN.
Du!
LEPORELLO.
Ja, bei Gott, kurios
Wird mir zu Sinne, – ich lerne schon, ich lerne –
Es dämmert Wissenschaft in mir empor –
Buchstaben, die ich nie gekannt, gesehn,
Ich lese sie, und wären sie chinesisch –
– Es heißt:
Die Inschrift am Fußgestell der Bildsäule des Gouverneurs lesend.
»Hier ruht der Gouverneur Don Gusman« –
DON JUAN.
Er ruht und fault. – Wie gehts im Texte weiter?[488]
LEPORELLO.
O! – »Und die Rach erwartet seinen Mörder!«
DON JUAN.
Ein Eselskopf, der diese Inschrift machte,
Nicht christlich ist sie und nicht heidnisch!
Zu der Bildsäule.
Ah,
Herr Gouverneur, Ihr ruht als Christ, und drohe
Mir Rache? Ist das fromm? Liebe ich nicht bis
Ins zweite Glied Euch, bis zu Eurer Tochter?
Daß ich Euch totschlug und den lispelnden
Octavio, geschah das nicht aus Liebe? Konnt
Ich meine Liebe kräftger dartun, als
Wenn ich den Mord des künftgen Schwiegervaters,
Des frühren Bräutigams nicht scheute?
LEPORELLO.
Don,
O Don! o Christus! Schaut, die Bildsäul wackelt!
DON JUAN.
Der Mond geht auf. Ergreife dich Mondsucht?
LEPORELLO.
Nein,
Sie wackelt!
DON JUAN.
Nun, so hat man sie nachlässig
Aufs Postament gesetzt.
LEPORELLO.
Nein, Leben steckt
Darin, sie hats Gesicht verzogen. Ihr
Empörtet sie mit Euren Worten.
DON JUAN.
Treibt
Der Doktor Faust allein nicht Hokuspokus?
Tuns auch Verstorbene? Und fangen
Die Steine an zu rasen? Dann ja wär
Es rechte Schande, blieben wir zurück!
– Auf Leporello, richte diesen Abend
In unsrer alten Wohnung einen Schmaus
Mir an, so auserlesen, daß der Duft
Schon schwindeln mache – Dazu schaff Wein, in welchem
Die Glut von hundert Sommern lodere, – Mädchen,
Mit Purpurlippen, die wie Feuerfunken,
Den Kuß verzehren, kaum da er gegeben,
Mit Lippen, ewig brennend, nie erlöschend, nie
Gesättigt, – weiß und fest, gefrorner Schnee
Die Busen, und doch flammend, lad dazu![489]
– Da wolln wir sehn, wer mächtger ist, der Geist
Der Gräber oder der des Weins, ob Schatten
Mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sich
Ins Licht der Lust zu drängen wagen!
– Drum, Diener, lad mir auch sofort den steinern
Herrn Gouverneur zu diesem Gastmahl!
LEPORELLO.
Erbarmen! Gnade! Steine einzuladen
Zum Schmause? Essen Steine? Trinken sie?
DON JUAN.
Verziehn
Sie das Gesicht , so mögen sie vielleicht auch essen!
LEPORELLO.
Ich bitte –
DON JUAN.
Ich befehle! – Red ihn an!
LEPORELLO.
Ein Kreuz
Laßt mich erst schlagen!
DON JUAN.
Kreuz und Elend trifft
Dich –
LEPORELLO.
Schont mich! hört! schon red ich! hört!
– Geehrtster, selger Gouverneur von Marmor –
O Don, mir lähmen Zunge sich und Kniee –
Mein Herr dort, (Ich nicht) fragt Eur Gnaden
Mit aller schuldgen Achtung, mit Respekt –
DON JUAN.
Laß den Respekt weg!
LEPORELLO.
– Ob Ihr heut zu Nacht
Bei ihm wollt speisen?
DON JUAN.
Flüstre nicht! Sprich lauter!
Steinbilder hören schwer!
LEPORELLO.
O Gottes Engel!
Wir sind verloren! Er nickt mit dem Kopfe!
DON JUAN.
Ist er betrunken?
LEPORELLO.
Gute Geister loben Gott
Den Herrn!
DON JUAN.
Ist Trug hier oder ist es Wahrheit?
Er geht sichern und stolzen Schrittes, es untersuchend, um das Denkmal. Dann spricht er.
Nein, ein Betrüger liegt hier nicht verborgen –
– So muß ichs selbst versuchen, selbst recht deutlich
Anfragen! – Mein Herr Gouverneur – ein Schurk
Und eine Memme, die mir nicht antwortet –
In gutem Spanisch, frei die Stirne, frag
Ich dich:
Mit gewaltiger Stimme.
Willst du mein Gast sein diese Nacht?[490]
DIE BILDSÄULE DES GOUVERNEURS mit einer bejahenden Kopfbewegung.
Ja!
Donner und Blitz.
LEPORELLO.
Das war kurz und hell und deutlich!
DON JUAN.
– Seltsam! – –
Wieder zur Bildsäule.
So komm! mit Jubel werd ich dich empfangen!
Zu Leporello.
Richt für ihn gleichfalls zu!
LEPORELLO.
Ach sollt er kommen,
Zurichten wird er sich von selbst aus uns
Zwei Schüsseln.
DON JUAN.
Was verwirrt mich? – Ja! Er hat
Geantwortet. Natürlich ist es, denn
Natürlich ist, was da geschehen. Mag
Er kommen, ich erwart ihn ohne Zittern! Fort!
LEPORELLO.
Sehr gern!
Beide gehen; als sie an der äußersten Szene sind, nimmt Leporello einen Stein auf.
Es zuckt, Herr, dieser Kiesel, den
Ich eben finde, in der Hand mir – darf
Ich an den Kopf dem Gouverneur ihn schmeißen?
DON JUAN.
Und jetzt hast du Courage?
LEPORELLO.
Sechzig Fuß
Weit hab ich stets Courage. Nur die Nähe
Mag ich nicht leiden. Ich kann die Gefahr
Vertragen, doch nicht sehn mag ich sie.
DON JUAN.
Wirf!
LEPORELLO wirft.
Horcht! horcht! er traf! Die Nase muß ihm ab sein!
– O laßt uns laufen!
DON JUAN.
Lauf und sorg fürs Essen.
– Nicht Höll nicht Tod soll mir den Appetit
Verderben! –
Auf die Bildsäule deutend.
Der will kommen! – Lustig! – Seltsam! –
Beide ab.
[491]
Buchempfehlung
Der junge Chevalier des Grieux schlägt die vom Vater eingefädelte Karriere als Malteserritter aus und flüchtet mit Manon Lescaut, deren Eltern sie in ein Kloster verbannt hatten, kurzerhand nach Paris. Das junge Paar lebt von Luft und Liebe bis Manon Gefallen an einem anderen findet. Grieux kehrt reumütig in die Obhut seiner Eltern zurück und nimmt das Studium der Theologie auf. Bis er Manon wiedertrifft, ihr verzeiht, und erneut mit ihr durchbrennt. Geldsorgen und Manons Lebenswandel lassen Grieux zum Falschspieler werden, er wird verhaftet, Manon wieder untreu. Schließlich landen beide in Amerika und bauen sich ein neues Leben auf. Bis Manon... »Liebe! Liebe! wirst du es denn nie lernen, mit der Vernunft zusammenzugehen?« schüttelt der Polizist den Kopf, als er Grieux festnimmt und beschreibt damit das zentrale Motiv des berühmten Romans von Antoine François Prévost d'Exiles.
142 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro