Erste Szene

[170] Das Lager von Gothlands schwedisch-finnischer Armee. Gothlands Zelt.

Es ist tiefe Mitternacht. Erik sitzt an einem Tische, auf welchem ein Wachslicht brennt. Arboga tritt ein.


ARBOGA.

Was schlug die Glocke?

ERIK steht auf.

Mitternacht

Ist bald vorüber.

ARBOGA.

Ist der König wieder Zurück?

ERIK.

Kaum ein'ge Stunden ist er aus

Gewesen.

ARBOGA.

Wo find ich ihn?

ERIK.

Still!

Er sitzt dort hinterm Vorhange!

ARBOGA.

Wie?

ERIK.

Glaubt mir, etwas Außerordentliches

Muß ihm begegnet sein! Ich schrak zusammen,

Als er so unvermutet wiederkam!

Mit schnellem Schritt, ein Tuch ums Haupt gehüllt,

Ging er an mir vorüber und verbarg

Sich dort im Dunkeln! Noch kein Wort

Hat er gesprochen!

ARBOGA.

Er bewegt sich!

ERIK.

Wahrscheinlich nimmt er sich das Tuch

Vom Haupte. – Ha, er tritt hervor!

GOTHLAND tritt hinter dem Vorhange weg, mit entblößtem Kopfe; sein Äußeres ist furchtbar verändert: das dunkelbraune Haar ist weiß geworden und das Antlitz ist völlig gealtert. – Arboga und Erik weichen befremdet auf die Seite.


ARBOGA.

Das ist ja

Der König nicht; das ist ein fremder Greis.[170]

ERIK.

Wer bist du, unbekannter Greis?

Wie kamest du hieher?

GOTHLAND.

Ja ja,

Ich glaube dirs recht gerne, daß du mich

Nicht gleich erkennst; – wir haben uns

Seit langen Jahren nicht gesehen!

ERIK.

Gott! welche wohlbekannte Stimme!

Das ist –


Indem er ihn erkennt, aufschreiend.


Weh! Weh! das ist

Kein fremder Greis, das ist der König selbst!

O wie entsetzlich hat er in

Zwei Stunden sich verwandelt!

GOTHLAND.

Lebt

Der Fürst Arboga noch?

ERIK.

Dort steht er

GOTHLAND zu Arboga.

Ei,

Sehr wenig hat das Alter dich

Verändert!

ARBOGA.

Das Alter?

GOTHLAND.

Was macht der Neger, welchen wir

Vor sechsundsiebzig Jahren in

Den Kerker warfen? – Doch, er ist

Wohl schon seit längst vermodert in

Des Kerkers Nacht! –

ARBOGA.

Ein sonderbarer Irrtum

Befängt Euch; nicht vor sechsundsiebzig Jahren,

Erst vor drei Stunden warfen wir

Den Neger in den Kerker.

GOTHLAND.

Nur drei Stunden?

Mir schienens sechsundsiebzig Jahre! – –

– Wie lange bin ich denn hier aus

Dem Lager fort gewesen?

ERIK.

Kaum

Zwei Stunden lang; das Wachslicht, welches Euch

Bei Eurem Weggehn leuchtete, ist noch

Nicht abgebrannt!

GOTHLAND.

Mich faßt ein Grauen –

Ich bin zum Greis geworden – – und das Wachslicht

Ist noch nicht abgebrannt!

ERIK.

Nun hat er[171]

Das weiße Haar, um welches er vor kurzem

Den Grafen von Skiold so zu

Beneiden schien!

GOTHLAND.

Was sprichst du da?

ERIK.

Ich meinte,

Euch müsse unterwegs etwas

Begegnet sein.

GOTHLAND.

Ruf mir den Rossan!


Erik geht ab; Gothland tritt zu Arboga.


Fürst! denket Euch! ich war in einer Hütte,

Wo man mich schlachten –

Ja, da wurde

Mein Haar so bleich wie meine Wangen,

Da wurden die Minuten Jahre, und

Die Stunden wuchsen

Zu ganzen Menschenleben an!

ROSSAN kommt; wie er Gothland erblickt, tritt er verwundert zurück.

Ich staune!

GOTHLAND.

Das Staunen laß beiseit. –

Was ist

Dein liebster Wunsch?

ROSSAN.

Den Neger möcht ich töten!

GOTHLAND.

So geh und hole mir sein Haupt!

ROSSAN.

Ich laufe!

Dank, Dank für diesen Auftrag! Hähähä!

Wie soll es ihm vom Rumpfe fliegen!

Hähä! hähä!


Eilt ab.


GOTHLAND zu Arboga.

Ich hatte Euch

Befohlen, mit dem Schwedenheere stets

Ein abgesondert Lager zu

Beziehen und es von der finnischen

Armee getrennt zu halten. Nicht umsonst

Ward das so angeordnet –

Ich weiß, daß mich die Finnen hassen,

Ich fürchte stündlich Rebellion, und fast

An funfzigtausend Mann stark stehn sie dort

In ihren Zelten; – es ist jetzt

Noch finstre Nacht, – sie schlafen

Und denken an nichts Arges, –

Ein leichtes müßte es Euch sein, sie mit

Der Hülfe Eurer tapfren Scharen[172]

Niederzumachen! – Wollt Ihrs tun?

ARBOGA.

Warum nicht?

GOTHLAND.

Nun denn, so wecket Eure Schweden auf

Und überfallt die Finnen wie

Ein Wetterstrom, und haut sie Mann vor Mann

Zusammen!

ARBOGA.

Morgen sind sie tot.

GOTHLAND.

Um den Tumult zu mehren,

Laßt Feur in ihre Zelte werfen! – Wenn

Es geht, so schonet Rossans, geht es nicht,

So wirds mich auch nicht weiter grämen!

– Wär ich nicht so erschöpft, so würde ich

Persönlich dabei gegenwärtig sein,

Doch so muß ich mich schon begnügen,

Von ferne es mit anzuschaun!

ARBOGA.

Ich hoffe, daß ich Euch

Befriedgen werde.


Er geht ab.


GOTHLAND.

Wie gleichgültig eilt

Dieser Arboga an das scheußliche

Geschäft des Mords! Er scheint mir das zu sein,

Was ich noch werden muß!

– Wer kommt da?


Gustav tritt auf.


Ha!

Es ist mein Junge; – wie er trotzig tut! –

Ich hab ihn peitschen lassen, – er will mich

Doch nicht zur Rede stellen?

Was begehrst du?

GUSTAV.

Ich gratuliere dir zum weißen Haare!

GOTHLAND für sich.

Verdammt, daß ich heut nacht so schwach mich fühle!

Der Knabe ist mir übern Kopf

Gewachsen!


Laut.


Erik! Erik!

ERIK tritt ein.

Was

Verlangt Ihr?

GOTHLAND.

Bleib hier in

Dem Zimmer.

ERIK beiseit.

Ah, er fürchtet sich

Vor seinem eignen Sohn, und scheut mit ihm

Allein zu sein![173]

GUSTAV zu Gothland.

Du hast mich peitschen lassen –


Heftiger, indem er drohend auf ihn zugeht.


Weshalb hast du mich peitschen lassen?

GOTHLAND etwas zurücktretend.

Du willst dich doch an deinem Vater nicht

Vergreifen?

GUSTAV.

Wer soll mich daran verhindern?

Etwa die Kindespflicht? Du selber hast

Sie frech gebrochen! Der Respekt vor dir?

Wie kann ich einen Mörder respektieren!

Dein Widerstand? Du hast ja deine Kraft

Verloren! Oder


Auf Erik deutend.


dieser Alte? Den

Erdroßle ich, so wie er sich zu rühren wagt!

GOTHLAND für sich.

Vergeltung! ja, so heißt das finstre Wort!

ERIK.

– Ist das derselbe Gustav, welcher einst

So hold und sanft war? –

GUSTAV zu Gothland.

Dennoch will

Ich dir verzeihen, wenn du mich

Um Selma werben läßt!

GOTHLAND.

So nimm sie dir

Zum Weibe, wenn du sie bekommen kannst.

GUSTAV.

Bekommen?


Sich in die Brust werfend.


Das laß meine Sorge sein!


Er will fortgehen.


GOTHLAND.

Halt!

Wo gehst du hin?

GUSTAV.

Ins Finnenlager,

Zu Irnak.

GOTHLAND.

Schrecklich hast du mich

Beleidigt, – aber dennoch bleibst du stets

Mein Sohn, – geh nicht ins Finnenlager!

GUSTAV.

Warum nicht?

GOTHLAND.

Weil es – – Weil

Es eine ungesunde Lage hat!

GUSTAV für sich.

Ha,

Ich merke was! – Wart, wart, Herr Vater, nun

Will ich mich für die Rutenstreiche rächen![174]

GOTHLAND.

Was schweigst du? Gehst du doch ins Finnenlager?

GUSTAV mit zweideutigem Lächeln.

Ja! ich gehe in das Finnenlager!

GOTHLAND für sich.

Nun, so geh

In deinen Tod, du Naseweis!


Gustav entfernt sich.


GOTHLAND.

Vergeltung! Vergeltung!


Er geht ab. Erik folgt ihm.


Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 1, Emsdetten 1960–1970, S. 170-175.
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