Vierte Szene

[187] Ein schwedisches Gefängniszelt.

Tocke liegt schwergefesselt auf einem Strohlager. Berdoa, Irnak und die finnischen Hauptleute treten mit Gothland ein.


BERDOA zu Gothland.

Dort liegt der Schwestermörder Tocke,

In welchem du dich selbst verurteilt hast;[187]

Der Königsmantel, der dich von ihm unterschied,

Ist abgefallen, und du bist

Jetzt weiter nichts, als das was Er ist: ein Schurke!

Damit du diese Gleichheit recht

Empfindest, sollst du eine Viertelstunde lang

Auf Einer Streue mit ihm liegen

Und dann mit ihm auf Einem Karrn

Zum Richtplatze gezogen werden!


Zu Tocke.


He! schläfst du?

TOCKE.

Was? ist es schon Morgen? Ruft

Der Scharfrichter? Hol ihn der Teufel!

BERDOA.

Ich bringe dir 'nen Kameraden!

TOCKE.

So?

Wer ists?

BERDOA.

Der König Gothland, welcher dich

Verurteilt hat!

TOCKE.

Hä, und nun selbst

Verurteilt ist? – Führt ihn doch näher, ich will ihm

'Nen Nasenstüber geben!

BERDOA.

Er

Soll mit dir auf der Streue liegen!

TOCKE.

Nur zu! Es ist noch Platz!

BERDOA.

Ich fürchte, daß

Er sich nicht gut mit dir vertragen wird!

TOCKE.

Ho,

Er sollt's sich unterstehen –

Ich habe ein paar tüchtge Fäuste!

BERDOA zu Gothland.

Leg

Dich auf das Stroh!

GOTHLAND zu Berdoa, mit einem tiefbedeutenden, bittenden Blicke.

Berdoa?!

BERDOA.

Nein!

GOTHLAND.

So laß mich niederschmeißen, denn von selbst

Erniedre ich mich nicht!

BERDOA zu den Hauptleuten.

Tut wie er sagt

Und kettet ihn zugleich am Boden fest!


Gothland wird neben Tocke auf die Streue geworfen und an den Boden gekettet.
[188]

TOCKE.

Na, Bruder Gothland, wie gefällt dirs

Bei mir?

GOTHLAND.

Laß mich zufrieden!

EIN FINNE tritt eilig ein und wendet sich zu Berdoa.

Herr,

Mich sendet Usbek, – er weiß nicht mehr Rat!

Arbogas Truppen fechten wie

Beseßne, unser Lager steht in vollen Flammen –

Die ganze Gegend ist davon erhellt;

Die Hälfte unsrer Leute liegt –

BERDOA.

Still! deine Botschaft könnte


Auf Gothland zeigend.


ihm den Tod

Versüßen! Komm hinaus! Ich will

Von jenem nahgelegnen Hügel

Das Schlachtfeld überschaun und dich

Mit Aufträgen zurück zum Usbek schicken!

Nachher, wenn das geschehn ist,

So richte ich die zwei Gefangnen da

Mir zur Erholung hin!

Wie einen Leckerbissen, welchen man

Bis nach vollbrachter Arbeit aufhebt, will

Ich sie aufsparen!


Zu den Hauptleuten.


Ihr werdet sie

Derweile scharf bewachen, – stellt

Euch rings ums Zelt

Und lasset auch nicht eine Maus entschlüpfen!

Ihr bürgt dafür mit eurem Leben!

IRNAK.

Seid ohne Sorgen!

BERDOA.

In wenig Augenblicken bin

Ich wieder da!


Zu Gothland.


Dich überlasse ich

Bis dahin deinen philosophischen

Betrachtungen; es sind die letzten und

Die traurigsten, die du auf Erden machst!


Mit dem Finnen ab.


IRNAK zu den Hauptleuten.

Postiert euch um das Zelt!


Sie gehen alle hinaus.


TOCKE zu Gothland.

Wir wollen

So lange als die Kerle draußen sind,[189]

Ein wenig miteinander diskutieren!

– Wie geht es deiner Frau? Sie

Sah gar nicht schlecht aus!

GOTHLAND.

Frecher Bube! ist sie deine

Gevatterin gewesen, daß du so

Vertraulich von ihr sprichst?

TOCKE.

Ho, Freund, tu nicht

Hochmütig, sonst! –

Antworte mir:

Wie geht es deiner Frau?

Du schweigst? Wart',

Das soll dir leid tun! – ich liege nicht ganz weich, –

Gib mir von deinem Strohe!


Er reißt ihm das Stroh unter dem Kopfe weg.


GOTHLAND.

O mein Kopf!

– Nimm mir das Stroh nicht weg!


Tocke reißt ihm noch mehr Stroh unter dem Kopfe weg.


Mein Kopf! Mein Kopf!

Lieber Tocke! sei menschenfreundlich!

Die Finnen haben mir das Haupt

Zerschlagen, – sei nicht grausam! reiß

Nicht alles Stroh darunter weg!

TOCKE indem er ihm das letzte Stroh wegreißt.

Was kümmert mich dein Haupt!


Sich auf die Streu hinstreckend.


Und nun will ich die kurze Zeit benutzen

Und noch ein Weilchen schlafen! Hüte dich

Mich durch dein Lamentieren aufzuwecken!


Er schläft ein. Pause.


GOTHLAND richtet sich, soweit es seine Ketten verstatten, empor.

Du hasts erreicht, Berdoa! Tief wie ich

Ist keiner noch gesunken! – Hülflos,

Verhöhnt, gefesselt, neben einem elenden

Verbrecher auf der Streue, und von ihm

Gemißhandelt –

Erde, schling mich ein! –

– Und

Des Negers tückisches Gelächter zu

Vernehmen, sein dicklippiges

Vor Stolz und Spott verzerrtes Maul[190]

Zu sehen, seine Fußtritte

Zu fühlen –

O ich zittere vor Scham und Ingrimm!

– Die Meere, dacht ich, hätten zornentbrannt

Aufkochen, Schwedens Felsen hätten sich

Entwurzeln müssen, wenn

Der große Gothland fiele, aber auch

Nicht eine Ameise bewegte sich –

So unbedeutend ist der Mensch! – –

Und niemand, der

Mir beisteht, der mich rächt, der sich um mich

Bekümmert – Niemand! Niemand! – Alle, die

Mich liebten sind dahin, – sind – sind von mir

Ermordet! – Brüder – Gattin – Freunde –

alles tot!

Ich bin verlassen und verloren! Wenn der Lump hier

Jetzt aufwacht und mich schlägt, – ich muß es dulden, muß

Es ruhig dul –

Ha! was

Ergreift mich? Meine Wimpern zucken

Und meine Wangen schmerzen, –

Vergebens suche ich zu widerstreben – Heiß

Und unaufhaltsam wie geschmolznes Blei

Rinnts über meine Wangen, – ich

Muß weinen wie ein Kind!

– Jede Missetat,

Die ich vollbracht, und jeder Schmerz, den ich erlitten,

Mein ganzes unglückseliges Geschick

Drängt sich vor mein Gedächtnis, – o,

Ich weine mich nicht satt! –

Jetzt, Neger, stell

Dich vor mich hin, sieh mir hohnlachend in

Die nassen Augen

Und triumphiere, daß es bis

Zur Himmelswölbung schallt!

Ja, jetzt

Ists Zeit mich auf den Armensünderkarrn

Zu werfen, mir die Armensünderjacke an-

Zuziehen, der Gewalt der Schinderknechte mich

Zu überge –[191]

Nein! nein! nein! So

Kann ich nicht untergehen! Dazu bin ich doch

Zu herrlich und zu königlich gewesen!

So schändlich lasse ich nicht mit

Mir spielen!

Und meine Hände sind

Gefesselt!

Könnt

Ich mich nur noch ein einzigmal erheben

Und wärs auch nur um, meine Tränen rächend, aus

Der Welt zu scheiden!

O daß meine Hände

Gefesselt sind!


Mit tiefem Seufzer.


Gefesselt Gothlands Hände! –

Doch

Sind Fesseln nicht zerreißbar?

Und was zerrisse nicht die Wut?

Ha!

Schon fühl ich meine Stärke, von

Verzweiflung aufgeschüttelt, sich erneuen, und

Unbändig klopfen meine Pulse!

Zerriss – zerriss –


Indem er die Ketten mit der gewaltigsten Anstrengung zerreißt und hoch emporspringt.


Zerrissen sind die Ketten

Und nichts, Berdoa, kann dich retten!

TOCKE erwachend.

He, welch Geschrei? Was soll das Lärmen?

GOTHLAND erwürgt ihn.

Weh dir, daß

Du fragst! Der Löwe hat

Von seinen Banden sich befreit und brüllt

Nach Rache lechzend durch die Wälder!

IRNAK UND DIE ANDREN FINNISCHEN HAUPTLEUTE stürzen herein.

Holla! was gibt es hier?

GOTHLAND.

'Ne Lanze her,

Den Mohren damit zu verfolgen!


Er reißt dem einen die Lanze aus der Hand, stößt ihn nieder, und jagt die übrigen in die Flucht.


Sie fliehn! Nun hält mich niemand mehr zurück

Den Neger selber anzugreifen![192]

Tod und Verderben allen, die

Mich hemmen wollen! –

Auf! durchkreuzt

Die bangen Lüfte und erhellt die Nacht,

Ihr Feuermeteore! Brennt und leuchtet mir

Als Fackeln, Städte! Sonne, steig empor!

Der ganze Erdkreis sehe, was

Für Rache ich mir nehme! –

Tief-

Gesunken, flehend, Hände ringend, lag

Ich vor Berdoa auf den Knieen;

Da stieß er ohne Schonung mich mit Füßen –

Ho! dafür muß sein Herzblut fließen!


Mit geschwungener Lanze ab.


Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 1, Emsdetten 1960–1970, S. 187-193.
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