23. Auf die in den Sonneten gedachte zuruck gegangene Pfingst-Reise

[312] 1.

Helle Flammina / mein Herzens- begehren!

muß ich dich gänzlich- verhoffet entbähren?

müssen so löbliche Lebens-Gedanken

von dem erheblichen Tugend-Zweck wanken?


2.

Solt nicht solch löblichs verlangen siegprangen?

solt ich / mit Abschlag-beschämeten Wangen /

lassen solch alte gewaltige Sitten?

ist mir die Hoffnungs-Schnur gänzlich zerschnitten?


3.

Dreifache Schnüre sonst selten zerreissen:

aber mein Vnglück will alles zerschmeissen.

Eine zu kurz ist / die andre zerschnitten /

selber zerreiß' ich die dritt' in der mitten.


4.

Leider! des leidigen Vngelücks Tücke /

meine Lust / meinen Trost / treiben zu rücke /

daß ich muß niessen die Feuer-Corallen /

welche von meiner Flammina stäts fallen:


5.

Muß den Herzbrechenden Kummer verschweigen /

darff keinen Vnlust noch Traurigkeit zeigen;

muß den Herzbrennend-und quälenden Schmerzen

heimlich verbergen zu innerst im Herzen.
[313]

6.

Diese Sach ligt mir unendlich in Sinnen /

all meine Anschläg sich enden hierinnen.

hab in dem Traume manch lieblich Gesichte /

welches doch wachend wird wider zu nichte.


7.

Meine Flammina läst sich in den Auen /

gleichfalls als in den Pallästen / beschauen.

Ihre Allgegenwart füllet die Erden /

kan mir / mein Leben / auch überall werden.


8.

Ihre Bestrahlung vor alles ich wähle /

weil ihre Göttlichkeit ewig zur Stelle.

Raubet man mir schon die sichtbaren Blicke:

helle Vnsichtbarkeit mich nur erquicke!


9.

Diese ungläublich-geglaubete Sachen /

kan mir kein Menschen-Macht ruckstellig machen.

Ob sie mit Hindernuß mich schon betrüben:

niemand kan wehren das innerlich lieben.


10.

Helle Flammina! du liebest die deinen /

Ob sie die Feinde zu stürzen vermeinen;

wann die Erdkräfften all stürmen zusammen /

lästu mich sehen Geist-Strahlen und Flammen.


11.

Glücklich O glücklich dieselbige Stunde /

da du befeurest Herz / Zungen und Munde!

laß mich die quickenden Lippen geniessen /

daß sie mich süssest berühren und küssen!

Quelle:
Catharina Regina von Greiffenberg: Geistliche Sonnette, Nürnberg 1662, S. 312-314.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Geistliche Sonnette, Lieder und Gedichte
Geistliche Sonnette, Lieder und Gedichte

Buchempfehlung

Anonym

Schau-Platz der Betrieger. Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln

Schau-Platz der Betrieger. Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln

Ohnerachtet Schande und Laster an ihnen selber verächtlich / findet man doch sehr viel Menschen von so gar ungebundener Unarth / daß sie denenselben offenbar obliegen / und sich deren als einer sonderbahre Tugend rühmen: Wer seinem Nächsten durch List etwas abzwacken kan / den preisen sie / als einen listig-klugen Menschen / und dahero ist der unverschämte Diebstahl / überlistige und lose Räncke / ja gar Meuchelmord und andere grobe Laster im solchem Uberfluß eingerissen / daß man nicht Gefängnüsse genug vor solche Leute haben mag.

310 Seiten, 17.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon