46. Auf Gottes Wunder-Beglückung

[366] 1.

Schöne Sonn / noch schöners Glück /

allerschönste Gottes Gnade /

ich spür' eure holden Blick /

und verhoffe das Gestade

und den Hafen meiner Gier /

nach verlangen zu erlangen.

Ach wie wird mein Herze prangen /

wann es schwebt in solcher Zier.


2.

Bauen sich schon Wolken auf:

ey es pflegt doch nicht zu regnen.

wie verwirrt der Erden Lauff /

läst er doch nit ab zu segnen

seine Freund mit Schutz und Sieg:

müssen in dem Kirchen-Kasten

in der Flut-Entbärung rasten /

haben Fried' und Ruh' im Krieg.


3.

Es ist ja / die Rohte Flut

seiner Wunder / Spiegel-Eise

ach er meynt es allzeit gut![367]

auch in höchster Prüfungs-Weise.

Wann er wegert / scherzt er nur /

pflegt die Hülffe zu bereiten.

In den Welt-Begebenheiten /

spürt man seiner Warheit Spur.


4.

Ach du weiser Wunderbar?

wer wolt dir nicht alls befehlen?

wer wolt dich nicht ganz und gar

zum Schatz / Schutz / Schild / Held erwehlen?

deine Weißheit weiß die Zeit /

und dein Allmacht schickt die Sachen /

deine Gnad kan alles machen /

dir zu Lob und uns zur Freud.


5.

Wie der Perlen- Fischer muß

an dem Grund die Muscheln fassen /

und versenkter in den Fluß

ihm die Augen binden lassen:

also will in Gottes Macht

ganz und gar ich mich versenken;

seine Weißheit wird mir schenken

einen Sieges-Perlen-Pracht.
[368]

6.

Ich ich will / Vernunfft-geblendt /

mich in Gottes Güte wagen /

und verhoffend beede Händ

voller Wunder Frücht her tragen:

will auf meinen Stern / auf Gott /

Nadel / Herz / und Augen richten /

ihn zu Hülff und Trost verpflichten.

Noht / hat glaubend keine Noht.


7.

Torheit wär es / solche Werk

Menschlich ohne Glauben glauben.

Dieser Gott-beherrschungs-Stärk'

ist erlaubt das Wunder-rauben:

kan erlangen / was sie will /

ja Gott selbst ins Herze greiffen.

Biß die Glaubens-Früchte reiffen /

bin ich frölich hoffend-still.

Quelle:
Catharina Regina von Greiffenberg: Geistliche Sonnette, Nürnberg 1662, S. 366-369.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Geistliche Sonnette, Lieder und Gedichte
Geistliche Sonnette, Lieder und Gedichte

Buchempfehlung

Reuter, Christian

L'Honnête Femme oder Die Ehrliche Frau zu Plißine

L'Honnête Femme oder Die Ehrliche Frau zu Plißine

Nachdem Christian Reuter 1694 von seiner Vermieterin auf die Straße gesetzt wird weil er die Miete nicht bezahlt hat, schreibt er eine Karikatur über den kleinbürgerlichen Lebensstil der Wirtin vom »Göldenen Maulaffen«, die einen Studenten vor die Tür setzt, der seine Miete nicht bezahlt.

40 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon