Das Tugend-ersprießliche Unglück

[43] Der blaue Himmel gibt nicht fruchtbar-sanfften Regen.

Es treuffet keinen Thau der strahlende Mittag.

Der schöne Demant auch zu nehren nicht vermag.

man muß / will man zum Port / das Wasser ja bewegen.

Die Traid-bekleidten Berg / nit Gold und Silber hegen.

So kan die Tugend auch nit blühen sonder Plag.

in gutem Glück sie grob ohn' allen Glanz da lag /

in Müh und Arbeit wolt der Höchst den Segen legen.

im sauren Meer / und nicht im süssen wachs Palast /

die theuren Perlein seyn. Also / in vollen Freuden

wird keine Himmels Zier / kein Tugend / nicht gefasst:

Ihr Balsam-Geist riecht nur im Schmerz-geritzten Leiden.

Die Sonn müst / solt ein Land sie stets bescheinen / stehn.

wann keine Nohtnacht wär / würd kein Lust-Sonn aufgehn.

Quelle:
Catharina Regina von Greiffenberg: Geistliche Sonnette, Nürnberg 1662, S. 43-44.
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