Vierter Aufzug

[231] Waldige, dicht bewachsene Gegend. Links im Vorgrunde ein großer Baum mit einem natürlichen Moossitze. Auf derselben Seite im Hintergrunde dickes Gestrüpp und Steinmassen, höhlenartig ein Versteck bildend. Es ist Tag.

Leon und Atalus kommen.


LEON.

Hier ist der rechte Weg.

ATALUS.

Nein, dort!

LEON.

Nein, hier!

ATALUS.

Dort, hat das Mädchen selber mir gesagt.

LEON.

Euch sagte sies?

ATALUS.

Ja mir, und war besorgt,

Weil ich durchnäßt, und rührte meinen Arm.

LEON.

So lebt denn fort in eurer süßen Täuschung.

Doch läuft der Fußsteig hier.

ATALUS.

Ich geh nicht weiter.

Soll alles denn nach deinem Dünkel nur?

Auch bin ich müd.


Er setzt sich rechts auf einen Stein.


LEON.

Und holen sie uns ein?

ATALUS.

Wenn sie uns fangen, ei, dann gehts dir schlimm,

Mich kauft der Oheim etwa dennoch los.

LEON.

Er kauft euch los? Weil er nicht kann, nicht mag,

Drum eben kam ich her.

ATALUS.

Er mag nicht, sagst du?

Das ist recht schlecht von ihm.

LEON.

Schmäht ihr den Ohm?

Den frommen Mann, der fehllos bis auf eins,

Nicht daß er geizig, wie ich einst ihn hielt,

Nein, daß, beschäftigt wohl mit höhern Dingen,

Den Neffen er nicht besser sich erzog.

Weil er euch liebt, drum sandt er mich hieher.

Wärs nicht um ihn, ich ließ euch längst in Stich.

ATALUS.

Das wär mir eben recht! du bist mir widrig.

LEON.

Ihr säßt noch bei den Pferden ohne mich.

ATALUS.

Dort war mir wohl, auch hatt ich Essen satt.


Aufstehend.


Nun denn, weil du für gar so klug dich hältst,[232]

Weißt du hier Pfad und Steg und Ziel und Richtung?

Hast du bedacht, was sonst dem Menschen not?

Was nützt es uns, daß wir im Freien sind,

Wenn wir vor Mangel grausamlich verschmachten?

Der Wald dehnt sich wohl etwa tagelang,

Und eher findet sich ein reißend Tier,

Das uns verzehrt, als wir, wovon wir zehren.

LEON.

Vertraut auf Gott, der uns so weit geführt,

Er wird die Hungernden mit Nahrung trösten,

Wie den Gefangnen er die Freiheit gab.

Und nun –

EDRITAS STIMME hinter der Szene.

Leon!

LEON.

Man kommt. Nur schnell von hinnen.

ATALUS.

Hör erst.

EDRITA näher.

Leon!

ATALUS.

Das ist des Mädchens Stimme.

LEON.

Wes immer auch! Hier sind nur wir und Feinde.

Auch ist sie kaum allein.

ATALUS.

Sie ists. Ich sehs.

LEON.

Nun, so verplaudern wir die Zeit der Rettung.

ATALUS.

Sie hilft uns wohl mit einem neuen Fund.

Geh immer, wenn du willst, ich harr auf sie.

LEON.

Nun denn, so streck ich wehrlos meine Hände.

Wenns doch mißlingt, ich trage nicht die Schuld.


Edrita kommt.


EDRITA.

Hier seid ihr ja. Nun, das ist recht und gut.

ATALUS.

Sei mir gegrüßt.

EDRITA zu Leon.

Was wendest du dich ab?

Du fürchtest, ich verzögre eure Flucht?

Doch umgekehrt. Jetzt tut euch Zaudern not.

ATALUS.

Siehst du?

EDRITA.

Was soll er sehn?

ATAEUS.

Ich wollte weilen,

Er trieb zu gehn.

EDRITA.

Da hatt er recht, du nicht,

Da ihr nicht wußtet, was nur ich kann wissen.

Die Unsern gehn zu Roß die andre Straße.[233]

Insoweit ist es gut. Doch dieser Pfad,

Er trifft am Saum des Walds mit jener andern,

Und da ihr Pferde doch nicht überholt,

So wär euch schlimm, kommt ihr zu früh dahin.

Im Rücken ihrer aber geht ihr sicher.

LEON.

Nun aber noch um aller Himmel willen:

Wie kommst du her?

EDRITA.

Ich, meinst du? Ei, ja so!

Ihr habt es gut gemacht, bis nur auf eins.

ATALUS.

Ei, er macht alles klug.

EDRITA.

Ja, alles andre.

Ihr wart kaum fort, da wollten sie mich töten,

Der Vater hob den Spieß in seiner Hand.

Da lief ich fort, ein Endchen in den Wald.

Bei Tagesanbruch wollt ich wiederkehren.

Doch kam der Tag, da sah ich euern Fußtritt

Im weichen Boden kenntlich eingedrückt,

Das, dacht ich, das verrät sie; und am Saum

Des Rasens gehend, wo kein Fußtritt haftet,

Bestreut ich eure Spur mit Sand und Erde.

So kam ich weiter, weiter und bin hier.

Und nun ich da, kehr ich nicht mehr zurück.

LEON.

Was fällt dir ein?

ATALUS.

Ja, ja, bleib nur bei uns.

EDRITA.

Bedenk nur selbst. Kehrt nun mein Vater heim

Und fing euch nicht, was euer Gott verhüte!

So schlägt er mich und wirft mich in den Erker,

Wo ich schon einmal lag, wie einst die Mutter,

Und dann wird jener Galomir mein Mann.

Ich will ihn nicht. Ich sag euchs nun, ich will nicht.

Nehmt mich mit euch, ich bin euch wohl noch nütz.

Die Wege kenn ich hier und alle Schliche.

Ihr seid noch nicht so sicher, als ihr glaubt.

Sie führen Hunde mit, ich hört es wohl,

Die wittern euch und schlagen bellend an.

Mich aber kennen sie, und jeder schweigt,

Und streichl ich ihn, legt er sich auf die Pfoten.

Ich will zu deinem Herrn, zu seinem Ohm[234]

Und dort den frommen Lehren horchend lauschen,

Die er wohl weiß von Gott und Recht und Pflicht.

Will mich mein Vater, soll er auch nur kommen

Und lernen auch, ist er gleich grau und alt.

Das ist ihm nütz, sie sind auch gar zu wild.

LEON.

Ich aber duld es nicht!

EDRITA.

Wie nur, Leon?

LEON.

Ich habe meinem frommen Herrn versprochen:

Nichts Unerlaubtes, Greulichs soll geschehn

Bei diesem Schritt, den nur die Not entschuldigt.

Hab ich den Sklaven seinem Herrn entführt,

Will ich dem Vater nicht die Tochter rauben

Und mehren so den Fluch auf unserm Haupt.

EDRITA.

So hör doch nur!

LEON.

Es soll, es darf, es kann nicht.

ATALUS.

Er ist nicht klug.

EDRITA.

Ei, klüger als du glaubst.

Er ist der Mann des Rechts, des trocknen, dürren,

Das eben nur den Gegner nicht betrügt.

Allein durch ungekünstelt künstliches Benehmen

Vertraun erregen, Wünsche wecken, denen

Sein wahres Wort dann polternd widerspricht,

Das mag er wohl und führt es wacker aus.


Zu Atalus.


So nimm denn du mich mit.

ATALUS.

Ja doch, wie gerne.

LEON.

Ich duld es nicht.

EDRITA.

Wir fragen dich auch nicht.

Wir sind zu zwei, da gilt denn unsre Meinung.

LEON.

So trenn ich mich von diesem Augenblick.

EDRITA.

Auch das! Wir helfen ohne dich uns weiter.

Die Wege kenn ich alle bis zum Strom,

Von dort an weiß sie der.

ATALUS.

Ich weiß sie nicht.

EDRITA.

Nun denn, dann sind wir nahe deinem Land

Und jeder bringt uns auf die sichre Fährte.

LEON.

Viel Glück dazu!

ATALUS.

Siehst du, er streitet immer.[235]

EDRITA.

Dann treten wir vor deinen Oheim hin

Und sagen ihm: dein Knecht hat schlimm getan.

Wir aber halfen selbst uns, wie wir konnten.


Zu Leon.


Du bist ja trüb.

LEON.

Ich lieh dir meine Laune.

EDRITA.

Siehst du? Man muß nur artig sein und wollen,

Sonst kommt das Müssen und dann fehlt der Dank.


Der Ton eines Horns von weitem.


LEON.

Hör doch! Nun zitterst du und warst so kühn.

EDRITA.

Und wenn ich zittre, ists um euch.

ATALUS.

Nur fort!

LEON.

Ich bleibe.

EDRITA.

Keine Torheit, die nur quält.

Das ist kein Trupp; ein Einzelner, Verirrter,

Der die Genossen sucht mit Hornesruf.

Er wird vorüberziehen, weil er allein

Und zwei zu fangen mehr als einer nötig.

Dort rückwärts ist, ich weiß es, ein Versteck,

Wo dichte Sträuche sich zum Schirmdach wölben.

Dort warten wir, bis seine Schritte fern,

Vielleicht könnt ihr beschleichen ihn, bewältgen.

Wie immer, nur hinein, und zwar im Umkreis,

Daß ihm der Tritt nicht unsre Spur verrät.


Sie führt sie leise auf den Zehen bis an die Bäume rechts, dann rasch am innern Umkreise zurück und in die Höhle.

Kurze Pause, dann kommt Galomir von der linken Seite, einen Spieß auf der linken Schulter, das Schwert an der Seite, ein Horn um den Leib. Er sucht gebückt nach den Fußtritten am Boden.


GALOMIR.

Da, da! – Eh, eh! die Kleine! Oh! – Nach dort!


Die Spur mit dem Finger verfolgend.


Wart! Wart! – Verirrt. Kein Mann da! Wo? Ah weit. –

Uf! – heiß!


Seine Beine befühlend.


Und müd! – Da. – Ah! Dort Schatten! Baum.

Ruh aus, Mann ruh! dann weiter.


Er setzt sich.


Heiß die Haube!


[236] Er nimmt den Helm ab und legt ihn neben sich.


Noch einmal rufen


Er ruft durch die hohle Hand.


Hup!


Er horcht eine Weile, dann nach rückwärts gekehrt.


Ah! – Niemand hören.

Wozu das Horn? Blas an – Verwirrt, verwirrt.


Er lehnt den Spieß an den Baum und wickelt die verworrene Schnur des Hornes auseinander.


Ah, los! Nun an den Mund!


Er setzt das Horn an.

Edrita, die schon während des Letzten sichtbar geworden ist und Ruhe gebietend zurückgewinkt hatte, tritt jetzt vor.


EDRITA.

Stoß nicht ins Horn!

GALOMIR sie erblickend.

Ah. Ah.

EDRITA.

Ich bins! Was mehr?

GALOMIR.

Eh, fangen, fangen!


Er hascht nach ihr.


EDRITA.

Was brauchts zu fangen, die du ja schon hast.

Laß mir ein bißchen Raum, sitz ich zu dir.

GALOMIR hastig rückend.

Eh, eh!

EDRITA.

Du wirst mich doch nicht fürchten?

GALOMIR.

Du schuld an allem!

EDRITA.

Ich? Was fällt dir ein?

GALOMIR.

Der Vater!

EDRITA.

Nu, er wird wohl etwas zürnen,

Doch sprech ich ihn, setzt alles sich ins Gleis.

GALOMIR.

Nein, nein!

EDRITA.

Nun, dann bist du mein Bräutigam

Und ich die Braut, du mußt, du wirst mich schützen.

GALOMIR.

Ha, ha!

EDRITA.

Ei, das gefällt dir!

GALOMIR mit dem Finger drohend.

Du!

EDRITA.

Wie, nicht?

Je, weil ein wenig etwa ich gelacht,

Als du im Graben fielst. Das war ein Sprung.

GALOMIR den Arm reibend.

Ah.[237]

EDRITA.

Schmerzts noch etwa?

GALOMIR nach unten zeigend.

Uh!

EDRITA.

Und auch der Fuß.

Ein Ehmann muß an manches sich gewöhnen.

Nun ziehst du aus und willst die beiden fangen?

GALOMIR nach ihr greifend.

Du, du!

EDRITA.

Nur mich allein? Wo bleibt dein Mut!

Nein, nein! Du selber mußt die Flüchtgen haschen.

Sie sind nicht fern!

GALOMIR aufstehend.

Ah! Wo?

EDRITA.

Nicht grad vor dir,

Doch auch nicht weit. Sind zwei, doch du bewaffnet.

Hier lehnt dein Spieß.


Da Galomir darnach langen will.


Er liegt auch gut am Boden.

Und dann dein breites ritterliches Schwert.

GALOMIR ans Schwert schlagend.

Ah, oh!

EDRITA.

Ich weiß, dein Arm ist stark. Nur neulich

Schlugst du dem Stier das Haupt ab einen Streichs,

Doch war der Kampf nicht billig. Du bewaffnet,

Er blank und bar. Gib künftig auf den Vorteil.

Dann kämpft ihr gleich mit gleich. Allein auch so.

Ich will mich nur auf jene Seite setzen.


Sie setzt sich auf die andere Seite. Er macht ihr Platz.


Hier ist dein Schwert, das gut und stark. Doch schmucklos.

Was gibst du mir, so knüpf ich dir ein Bändchen,

Das, etwa blau, ich trug an meinem Hals,


Sie macht eine Schleife am Halse los.


Wie, schau nur, dies. Das knüpft ich an dein Schwert.

GALOMIR mit offner Hand ihr ins Gesicht greifend.

Eh!

EDRITA.

Nur gemach! – Das wär ganz artig, deucht mir.

Zieh aus dein Schwert und lehn es zwischen uns,

So machen sies bei der Vermählung auch.

Da liegt ein Schwert erst zwischen beiden Gatten.


Er hat das Schwert neben sie gelehnt.
[238]

EDRITA das Band um das Schwertheft windend.

So knüpf ich denn – dann so – und wieder so –


Sie hustet wiederholt.


GALOMIR.

Wie?

EDRITA.

Ei, ich bin doch allzu scharf gelaufen.

Nun steht es schön. Nicht wahr? Ei, ei wie artig.


Sie schlägt wie erfreut die Hände zusammen. Die Jünglinge, die schon früher leise vorgetreten, sind ganz nahe.


EDRITA das Schwert umstoßend.

O weh, es fällt.

GALOMIR.

Mein Schwert!

EDRITA.

Hebs auf vom Boden.


Sie tritt mit dem Fuße darauf. Galomir bückt sich.


EDRITA stehend, und auf Leon sprechend.

Nur hier! Da liegt sein Speer. Nimm ihn nur auf.


Zu Galomir herabsprechend.


Was zögerst du?

GALOMIR immer gebückt.

Der Fuß –

EDRITA Atalus nach der andern Seite winkend.

Du hier herüber.


Zu Galomir.


Ja so, mein Fuß, er steht auf deinem Schwert.

Der böse Fuß!


Zu den beiden.


Nur hier.

GALOMIR sich vom Boden aufrichtend.

So heb ihn.


Er erblickt Leon, der auf der linken Seite stehend den Spieß gerade gegen seine Brust hält.


Ah!


Er sinkt auf den Sitz zurück.

Atalus ist indessen von der andern Seite gekommen und hat das Schwert aufgenommen.


EDRITA steht auf und eilt auf Leons Seite.

Du reg dich nicht, sonst bringen sie dich um!

ATALUS.

Mich weht es an; hab ich doch nun ein Schwert.

EDRITA mit den Händen zusammenschlagend.

Ei, das ist gut, ei, das ist gut! Fürwahr!


Zu Atalus.


Du droh ihm auch![239]

ATALUS mit gehobenem Schwerte.

Hier bin ich.

LEON zu Galomir.

Mir tut leid,

Muß also ich an euch die Worte richten.

Es war nicht meine Wahl, doch ists geschehn,

Und da es ist, benütz ich es zur Rettung.

Bleibt sitzen, Herr, ihr seid in unsrer Macht.


Seinen Gürtel lösend.


Mit dieser Schnur bin ich genötigt, Herr,

Zu binden euch an dieses Baumes Stamm.

Es hält nicht lange gegen eure Kraft.

Doch sind wir fern, kehrt ruhig zu den Euern.

EDRITA.

Ich halte dir den Spieß, doch regt er sich,

Ist flugs er wieder dort in deiner Hand.


Galomir den Speer zeigend, den sie umgekehrt gefaßt hat.


Du sieh! – Ja so!


Sie kehrt ihn um. Zu Atalus.


Du droh ihm, droh ihm auch!


Während Galomir nach Atalus blickt, der einen Schritt näher getreten, zieht Leon rasch die Schnur zwischen Galomirs Leib und Arme, auf die er sich rückwärts stützt und bindet letztere am Baume fest.


GALOMIR.

Ah, Oh!

LEON.

Euch wird kein Leid, wenn ihr euch fügt.

EDRITA.

Du bind ihn fest, er hat wohl Kraft für viele.

LEON.

Es ist getan und wohl für jetzt genug.

Kommt Atalus, ihr seid mir anvertraut.


Atalus tritt zu ihm.


EDRITA.

Ich nicht? Da sorg ich denn nur selbst für mich.


Laut, wobei sie aber den Kopf verneinend schüttelt.


Wir gehn nun grade in den Wald hinein.


Galomir hat indessen heftige Bewegungen gemacht.


LEON.

Er macht sich los.

EDRITA zu Atalus.

Sorg du!


Atalus nähert sich ihm.


EDRITA leise zu Leon.

Wenn auch! Wenn auch!

Allein genügt er nicht, ihr seid bewaffnet.

Und zieht er unsre Leute zu sich her,

Wird frei der untre Weg, der nähre, beßre,[240]

Und so erreichen wir den Strom vor ihnen.

Leb wohl denn, Galomir, auflange, hoff ich.

LEON.

Und kehrt ihr zu dem Vater dieses Mädchens,

Sagt ihm, nicht ich –

EDRITA.

Ich selber, meinst du, nicht?

Ich selber nahm die Flucht? Nun, sei bedankt

Um all die Sorglichkeit für meinen Ruf.

Doch weiß ich ja, daß du die Wahrheit sprichst.

So laß uns schweigen, dann sind wir am wahrsten

Und brauchen um nichts minder unsern Fuß.

Komm Atalus.


Sie geht nach der rechten Seite ab.


LEON Atalus nach sich ziehend.

Ja, kommt!

ATALUS.

Er regt sich immer,

Ich dächt, ein ringer Streich –

LEON.

Was fällt euch ein!


Er zieht ihn fort. Beide Edriten nach, ab.


GALOMIR ihnen nachsehend, dann gegen seine Bande wütend.

Ah! – Schurken – Oh – Mord Donner! – Oh, das Band!


Er versucht mit den Zähnen sich der Schnur zu nähern.


Geht nicht. Und dort mein Horn. Blas an!


Das Haupt hinabgeneigt.


Geht auch nicht.


Rüttelnd.


Verdammte Schurken!


Er sinkt ermüdet auf den Sitz zurück. Plötzlich mit einem listigen Gesichte.


Ih!


Es ist ihm gelungen, den rechten Arm zum Teil aus dem Bande zu ziehen, er rüttelt aber gleich wieder von neuem.


Sei ruhig, Mann!


Laut rufend.


Uh! Uh! – Hört nicht! – Der Arm! Es geht! Der Arm.

Geht, Galomir, der Arm – Ah! Eh!


Er hat den rechten Arm aus dem Bande gezogen und greift sogleich nach dem Horne.


Er bläst.


Stößt ins Horn.

Horchend.
[241]

Horch! – Nein!


Macht sich mit dem andern Arme los, den Weg der Fortgegangenen am Boden verfolgend.


Da! Da! In Wald – Eh, Eh, kein Schwert.


Auf die leere Scheide schlagend.

Er bleibt am Ausgange rechts stehen und stößt von neuem ins Horn.

Ein entfernter Ruf antwortet.


Ah. Ha! Wo Männer, wo?


Neue Antwort, näher.


Ah dort. Heran.


Einer der Burgmänner kommt. Es ist der Schaffer. Nach und nach sammeln sich mehrere.


SCHAFFER.

Seid ihrs?

GALOMIR.

Ja, Ja!

SCHAFFER.

Saht ihr die Flüchtgen?

GALOMIR auf den Weg der Abgegangenen zeigend.

Ah!

SCHAFFER nach rückwärts zeigend.

Kommt dort hinüber. Dort ist unser Pfad.

GALOMIR auf den Weg rechts zeigend.

Da, da!

SCHAFFER.

Allein der Herr befahl –

GALOMIR.

Nein da.

SCHAFFER.

Doch sie entwischen uns, ich sags euch, Herr.

Nach dortaus treffen allseit sich die Pfade.

GALOMIR.

Ich selber sie gesehn. Gebunden. – Da.


Auf den Baum zeigend.


SCHAFFER.

Sie banden euch?

GALOMIR den Weg bezeichnend.

Nur da. Und mir ein Waffen.


Er nimmt einem der Knechte den Kolben, ihn schwingend.


Aha! – Nur da!

SCHAFFER.

Nun denn, wenn ihr befehlt.

Doch wasch ich nur in Unschuld meine Hände.


Sie gehen nach rechts ab.


Veränderung.


Offene Gegend am Strom, der im Hintergrunde sichtbar ist. Am Ufer die Hütte des Fährmanns.

Der Fährmann und sein Knecht.


FÄHRMANN.

Die ganze Herde, sagst du, trieb er fort?

KNECHT.

Der Kattwald, ja. Wir waren auf der Weide.[242]

's ist nun der zweite Tag. Und als er schied,

Befahl er grinsend mir, euch nur zu sagen,

So treib er Schulden ein sobald sie fällig.

FÄHRMANN.

Die ganze Herde für so kleine Schuld?

So sag ich mich denn auch für immer los.

Der Wilden Trutz ist nicht mehr zu ertragen.

Die Franken zahlen besser, sind auch besser.


Auf einen Baum zeigend, in den ein Bild eingefügt ist.


Sie schenkten dort mir jenes fromme Bild,

Und wenn die Frucht man kennet aus der Saat,

Gilt mehr ihr Gott als Wodan oder Theut.


Doch früher räch ich mich an jenen Argen.

Dem Kattwald fang ich nur ein Liebstes weg,

Ein Kind, ein Weib, den Nächsten seines Stamms

Und das soll bluten, zahlt er nicht mit Wucher,

Was ungerecht er meiner Habe stahl.


Nun rüste mir den Kahn, ich will hinüber,

Man sagt, die Franken brechen wieder los

Und wollen jenes Ufer sich gewinnen,

Das streitig ohnehin, bald des bald jenes,

Und spärlich nur bewohnt zwei Tag im Umkreis.

Sie zielen wohl auf Metz, wo jene Teufel

Ob ihrem Land die plumpe Wache halten.

Doch wirds wohl nicht so bald; drum noch Geduld.

Bis dahin heißts verbeißen seinen Ärger.

Nur jenem Kattwald tu ichs früher an.


Er geht in den Hintergrund, wo er sich am Flusse beschäftigt.


EDRITA tritt, von der linken Seite kommend, rasch auf.

Wir sind am Strom!


In die Szene sprechend.


Verbergt die Waffen nur,

Im Notfall nehmt ihr leicht sie wieder auf.


Die Jünglinge kommen.


Hab ich mein Wort gehalten oder nicht?


Leon eilt mit schnellen Schritten dem Ufer zu, von dort zurückkehrend erblickt er den Baum mit dem Heiligenbilde und kniet betend davor nieder.


EDRITA zu Atalus.

Wie unvorsichtig! Jetzt dorthin zu knien.[243]

ATALUS.

Da hat er recht. Man muß wohl also tun.


Er kniet auch hin.


EDRITA zum Fährmann, der, die beiden betrachtend, vom Ufer nach vorn gekommen.

Seid ihr der Fährmann?

FÄHRMANN.

Wohl, ich bins.

EDRITA.

Dem Grafen

Im Rheingau, ob nicht hörig, doch verpflichtet?

FÄHRMANN.

Dem guten Grafen Kattwald, ja.

EDRITA.

Nun denn!

Die beiden, die du siehst, sind Knechte Kattwalds,

Sie tragen seine Botschaft in das Land.

Drum rüste schnell ein Schiff, ein gutes, rasches,

Das sie hinüberführt und mich mit ihnen.

FÄHRMANN.

Des Grafen Kattwald?

EDRITA.

Wohl. Damit du glaubst,


Leiser.


Das Wort heißt: Arbogast.

FÄHRMANN.

Ja wohl, so heißts.

Das kommt mir recht gelegen, o fürwahr.


Seinen Knecht rufend.


He, Notger, hier! Die wackern Leute da,

Sie tun für Grafen Kattwald ihre Reise,

Des frommen Manns, der unsre Herden schützt.

Mach immer nur das Schiff bereit.


Die Kappe ziehend, zu Edrita.


Verzeiht,

Ich muß dem Knecht da Auftrag geben.


Leise zum Knecht.


Führ sie zum Schein in Strom. Dann suche Säumnis.

Indes versamml ich Freunde, Fischersleute –

LEON der aufgestanden ist.

Wo ist der Fährmann?

FÄHRMANN.

Hier.

LEON.

Wir wollen über.

FÄHRMANN.

Ich weiß, ich weiß, in hohem Auftrag, ja!

LEON.

Was spricht der Mann?

EDRITA.

Ich sagt ihm, was du weißt

Daß ihr, die beiden, mit Graf Kattwalds Botschaft –[244]

FÄHRMANN.

Und da gehorcht ein niedrer Mann gleich mir.

LEON.

Wenn ihrs nur deshalb tut und nicht für Lohn,

Um dessen Willen nicht, der prangt dort oben,


Auf das Heiligenbild zeigend.


So wißt: nicht in Graf Kattwalds Auftrag gehn wir

Und nicht mit seinem Wollen sind wir hier.

EDRITA.

Leon.

LEON.

Es ist so und ich kann nicht anders.

FÄHRMANN.

Gehört ihr nicht zu Kattwalds Freunden?

LEON.

Nein.

FÄHRMANN.

Ihr habt nur erst vor jenem Bild gekniet.

Seid ihr vielleicht von jenen fränkschen Geiseln –?

Es ward um einen kurz nur angefragt.

LEON.

Wer fragte?

FÄHRMANN.

Wie es hieß, von Seite dessen,

Der ihren Gläubgen vorsteht in Chalons.

ATALUS.

Leon!

FÄHRMANN.

Ihr seid erwartet drüben; doch

Liegt feindlich Land dazwischen, weit und breit.

LEON.

Nun, Gott wird helfen. Wer wir immer sei'n.

Willst du den Strom uns nicht hinüberbringen,

Versuchen wir denn anderwärts das Glück.

FÄHRMANN.

Halt noch! Und habt ihr Geld?

LEON Münzen vorweisend.

Wenn das genügt.

FÄHRMANN.

Nun denn, ich führe selber euch hinüber.

Nicht weil ihr Kattwalds, nein doch, weil ihrs nicht.

Denn wärt ihrs, lägt inmitten ihr des Stroms.

Er ist mein Feind und Rache lechzt die Brust.

LEON zu Edrita.

Siehst du, man ist nicht klug, wenn man nur klügelt.

EDRITA sich von ihm entfernend und auf Atalus zeigend.

Ich geh mit dem. Was soll es weiter nun?

FÄHRMANN zu dem sein Knecht gesprochen hat, der sogleich wieder abgeht.

Nun kommt, denn Reiter streifen durch die Gegend.

Seid ihr entflohn, verfolgen sie wohl euch.

Seht dort! – Folgt rasch! – Und dankt dem Droben,


Auf das Bild am Baume zeigend.


Der euern Fuß, der euer Wort gelenkt.


[245] Sie gehen.


EIN KRIEGER der im Vorgrund auftritt.

Halt da!

FÄHRMANN.

Halt selber du! Es liegt ein Wurfspieß

Und auch wohl zwei im Kahn. Willst sie versuchen?


Sie gehen ab.


KRIEGER zurückrufend.

Halloh!

ZWEITER KRIEGER der im Hintergrunde links aufgetreten.

Dort sind sie.


Er ist vorgeprellt, jetzt zurückweichend und sein Haupt schirmend.


Blitz! Sie haben Waffen.

KATTWALD auftretend.

Wo da! Wo da?

ZWEITER KRIEGER.

Sie sind schon, seht, im Strom.

KATTWALD.

Verfolgt sie.

ZWEITER KRIEGER.

Ja, da ist ringsum kein Kahn.

Doch an der Sandbank müssen sie vorüber

Dort rechts, da reichen wir mit unsern Pfeilen.

KATTWALD.

Schießt immer, schießt! Und, träft ihr auch mein Kind,

Weit lieber tot – verwundet wollt ich sagen –

Als daß entkommen sie, mein Kind mit ihnen.


Knechte haben sich rechts am Ufer aufgestellt.


KNECHT.

Es ist umsonst. Sie staun mit Macht den Strom

Und halten ihren Kahn scharf nach der Mitte.

KATTWALD wieder hineilend.

Nicht also sie! Nicht sie? Nicht Rache! Rache!

So werf ich mich denn selber in den Strom

Und kann ich sie nicht fassen, mag ich sterben.

KNECHT ihn zurückhaltend.

Laßt ab! Vielleicht erreicht sie Galomir.

Am Ende seines Wegs ist eine Furt.

Da kommen dann noch drüben sie zum Schaden.

KATTWALD an seinem ausgestreckten Arm die Stellen bezeichnend.

Die Hand, den Arm in ihrem Blute baden.


Der Vorhang fällt.


Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 2, München [1960–1965], S. 231-246.
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