Campo Vaccino

[114] Seid gegrüßt, ihr heilgen Trümmer,

Auch als Trümmer mir gegrüßt,

Obgleich nur noch Mondenschimmer

Einer Sonn, die nicht mehr ist.

Nennt euch mir, ich will euch kennen,

Ich will wissen, was ihr wart,

Was ihr seid, brauchts nicht zu nennen,

Da die Schmach euch gleich gepaart.


Eintrachtstempel, du der erste,

Der sich meinem Blick enthüllt;

Deine letzte Säule berste!

Schlecht hast du dein Amt erfüllt!

Solltest deine Brüder hüten,

Wardst als Wächter hingesetzt,

Und du ließest Zwietracht wüten,

Die sie fällt und dich zuletzt.


Jupiter, aus deinem Tempel,

Stator, der zu stehn gebeut,[114]

Brich des Schweigens Sklaven-Stempel,

Heiß sie stehn die neue Zeit!

Doch umsonst ist hier dein Walten,

Du stehst selber nur mit Müh,

Unaufhaltsam gehn die Alten

Und das Neue über sie.


Warum in dies Feld der Leichen

Ist, Septimius Sever,

Eingang dies dein Siegeszeichen?

Ausgang dünkt es mich vielmehr.

Als dem letzten, ders zu fassen,

Wenn auch nicht zu tun verstand,

Sei ein Plätzchen dir gelassen,

Doch nicht hier, am äußern Rand.


Titus, nicht dem Ruhm, dem Frieden

Bautest du dein Heiligtum:

Doch dir ward, was du vermieden,

Jeder Stein spricht deinen Ruhm.

Auch den Frieden in dem Munde

Ging ein andrer drauf ins Haus,

Doch der Frieden zog zur Stunde

Aus dem Friedenstempel aus.


Curia, die aus ihren Toren

Krieg der Welt und Frieden ließ,

Harrst du deiner Senatoren?

Einer doch ist dir gewiß.

Sieh ihn stehn dort an den Stufen,

Bei dem Mann im Priesterkleid,

Sieh, er kommt, wird er gerufen,

Und er geht, wenn man gebeut;


Sieh des Purpurs reiche Falten!

Majestätisch steht er da!

Ja, du suchst nach deinen Alten?

Schließ die Pforten, Curia!

Unten such, die unten wohnen,[115]

Wir sind oben leicht und froh;

Rom hat nur noch Ciceronen,

Aber keinen Cicero.


Hat der Bruder dich erstochen,

Remus, mit dem weichen Sinn?

Sieh vom Schicksal dich gerochen,

Er, sein Reich, gleich dir, dahin.

Sieh! in seines Tempels Hallen,

Wie in deinem, Mönchezug;

Horch! des Küsters Glöcklein schallen!

Dünkt die Rache dir genug?


Roma, Venus – Schönheit, Stärke,

Pulse ihr der alten Welt,

Hier inmitten eurer Werke,

Euer Tempel aufgestellt.

In Ruinen Schönheitprangen?

Kraft in Trümmern wank und schwach?

Was ihr zeugtet, ist vergangen,

Folget euren Kindern nach.


Dort der Bogen, klein und enge,

Schwach gestützt und schwer verletzt;

Wem von all der Heldenmenge

Ward so ärmlich Mal gesetzt?

Titus. O, so laßt es fallen!

Denn obs auch zusammenbricht,

Solang Menschenherzen wallen,

Brauchst du, Titus, Steine nicht.


Hoch vor allen sei verkläret,

Constantin, dein Siegesdom!

Mancher hat manch Reich zerstöret,

Aber du das größte – Rom.

Über Romas Heldentrümmern

Hobst du deiner Kirche Thron,

In der Kirche magst du schimmern,

Die Geschichte spricht dir Hohn.
[116]

Mit dem Raub von Trajans Ehren

Hast du plump dein Werk behängt;

Trajan kann des Schmucks entbehren,

Er lebt ewig, unverdrängt:

Aber eine Zeit wird kommen,

Da zerstäubt geraubte Zier,

Da erborgter Schein verglommen,

Was spricht, Heuchler, dann von dir?


Kolosseum, Riesenschatten

Von der Vorwelt Machtkoloß,

Liegst du da in Todsermatten,

Selber noch im Sterben groß?

Und damit, verhöhnt, zerschlagen,

Du den Martertod erwarbst,

Mußtest du das Kreuz noch tragen,

An dem, Herrlicher, du starbst!


Nehmt es weg, dies heilge Zeichen!

Alle Welt gehört ja dir;

Übrall, nur bei diesen Leichen,

Übrall stehe, nur nicht hier!

Wenn ein Stamm sich losgerissen

Und den Vater mir erschlug,

Soll ich wohl das Werkzeug küssen,

Wenns auch Gottes Zeichen trug?


Kolosseum, die dich bauten,

Die sich freuten um dich her,

Sprachen in bekannten Lauten,

Dich verstanden, sind nicht mehr.

Deine Größe ist zerfallen

Und die Großen sinds mit ihr,

Eingestürzt sind deine Hallen,

Eingebrochen deine Zier;


O, so stürze ganz zusammen

Und ihr andern stürzet nach,

Decket, Erde, Fluten, Flammen,

Ihre Größe, ihre Schmach.[117]

Hauch ihn aus, den letzten Oden,

Riesige Vergangenheit!

Flach dahin auf flachem Boden

Geh die neue, flache Zeit!

Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 114-118.
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