Die Musik

[81] Sei mir gegrüßt, o Königin!

Mit der strahlenden Herrscherstirn,

Mit dem lieblich tönenden Munde

Und dem Wahnsinn sprühenden Blick,[81]

Schwingend das zarte Plektron,

Ein mächtiger Szepter in deiner Hand.


Sei mir gegrüßet, Herrlichste

Unter den herrlichen Schwestern!


Lieblich sind sie, die Huldinnen alle,

Die am Throne des Lichts gezeugt,

Von unsterblichen Müttern geboren,

Gerne nieder zur Erde steigen;

Boten einer vergangenen,

Verkünder einer künftigen Welt.


Lieblich sind sie, die Huldinnen alle,

Wenn sie, der Sterblichkeit Nebelkleid

Um die leuchtenden Schultern geworfen,

Wie Apollon unter den Hirten

In dem Kreise der Menschen weilen;

Und in der Fremde rauhen Boden

Palmenreiser der Heimat pflanzen;

Menschen ähnlich und dennoch Götter,

Beide Welten liebend verbinden,

Hernieder zur Erde den Himmel ziehn

Und den Menschen zu Göttern erhöhn.


Lieblich sind sie, die Huldinnen alle,

Doch wie die Rose unter den Blumen

Strahlst du hervor aus dem Chore der Schwestern.


Als das Recht von der Erde verschwunden,

Und die Unschuld gen Himmel geflohn,

Dienen lernte die freie Gebärde,

Lügen das Aug, des Himmels Bild,

Und das Wort, das heilige, wahre,

Sich in schändende Fesseln schlug:

Da wardst du von den Göttern gesendet,

Als Vertraute für bessere Seelen,

Deine Sprach ihrem Munde zu leihn.

Freudig eilten sie dir entgegen,

Sanken vertrauend in deinen Arm,[82]

Und Lieb und Hoffnung, und Scham und Reue

Flüsterten leis in deinen Busen,

Was sie erreicht und was sie verloren,

Was sie geträumt und wie sie gefühlt.


Seitdem stehst du dem Menschen zur Seite,

Eine helfende Trösterin!

Wo er weilt und wo er wandelt,

An des Unglücks gähnendem Absturz,

Auf der Freude Blumenhöhn,

Überall tönt deine Stimm ihm entgegen,

Wie ein Ruf aus besseren Welten,

Klagend, tröstend, freundlich erhebend,

Von der Wiege bis ins Grab.


Sanft stehst du an der Wiege des Knaben,

Der kaum dem Schoß sich der Mutter entwand,

Dem noch in einer trüben Welle

Taumelnd sein Ich und die Außenwelt schwimmt,

Dem kaum der Schmerz noch ahndend gelehret,

Daß er zum Leben – voll Schmerzen! – erwacht.

Wie er so daliegt und jammert und klaget,

Da tönt ein Laut in seine Ohren –

Der erste Strahl in der irdischen Nacht –

Aus der Wärterin einfachem Liede

Spricht dein Mund dem Klagenden zu:

»Dulde! Lerne beizeiten dulden,

Ist doch Leiden des Lebens Name,

Wenige Stunden, und es ist vollbracht!«

Und du legst in des Kleinen Wiege

Einen treuen, liebenden Bruder,

Der durch das Leben ihn begleitet,

Hülfreich und treu ihm zur Seite steht.

Jeden Kummer halb ihm abnimmt,

Jede Freude vertausendfacht,

Und am Ziele der Lebensbahn

Ihn in die offenen Arme nimmt,

Legst den Schlummer ihm an die Seite,

Und der Knabe lächelt und – schläft.
[83]

In der Trompete mutigen Tönen

Rufst du den Jüngling ins Schlachtgewühl,

Leitest die Stärke, ermutigst das Zagen,

Jubelst ob dem geschlagenen Feind,

Verkündest die Siegesbotschaft dem Lande,

Weinst dem Gefallenen nach ins Grab.


Aus der Zither melodischen Saiten

Klagst du dem Mädchen des Liebenden Glut,

Wo die Sprache das Wort verweigert,

Borgest du hülfreich den lieblichen Klang.

Und das Mädchen höret die Klage,

Von Ahndung und Scham den Busen bestürmt,

Zögernd folgt sie dem süßen Zuge,

Gleich den Saiten bebet ihr Herz,

Und auf der Töne goldenen Schwingen

Ziehet die Liebe als Sieger ein.


An des Altars geschmückten Stufen

Empfängst du jauchzend die schamhafte Braut,

Scheuchst von der Stirn ihr das zagende Bangen,

Zeigst ihr die nahende Seligkeit.


So durch alle Gewinde des Lebens

Geleitest du liebreich den Erdensohn,

Hilfst ihm erklimmen die steilen Stufen,

Und streuest auf jede mit mildem Sinn

Deine Rosen oder Zypressen,

Freuden- oder Mitleidstränen,

Und wenn endlich das Leben verklungen,

Der letzte Seufzer der Brust entflohn,

Zum Staub gekehrt der Staubgeborne,

Wankst du stöhnend hinter der Bahre,

Hinüberzeigend in lichte Fernen,

Glaub und Hoffnung an leitender Hand. –


Wo ist eine Macht, die deiner gleichet,

Eine Gewalt, die deiner sich naht,

Wenn du auf Sturmesflügeln einherbraust,

Wenn du mit Zephyrslispeln säuselst;[84]

Wenn du des Mutes glimmenden Funken

In die zagende Seele schleuderst

Und den Funken zur Tat entflammst,

Wenn du im duftenden Myrtenhain

Mit süßer Ahndung das Herz beschleichst.

Wo ist eine Macht, die deiner gleicht!

Bewehrt mit deinem flammenden Schwert,

Schlug Tyrtäus der Feinde Gewalt,

Felsen gehorchten deinem Worte,

Als du aus Amphions Leier gebotst,

Aus der Unterwelt heulenden Klüften

Zog die Geliebte des Orpheus Gesang.


Wie bildsamer Ton, wie weiches Wachs

Ist des Menschen Herz in deiner Hand,

Timotheus' Leier tönt,

Und Persepolis flammt,

Händel greift in die Saiten

Und Persepolis flammt noch einmal

Vor den Sinnen der trunknen Hörer!


Wer vermag deinen Zauber zu schildern,

Liebliche, milde, freundlich holde,

Fühlende Freundin fühlender Seelen:

Herrlichste unter den herrlichen Schwestern!

Was der Mime nur schwankend stammelt,

Was der Dichter zu laut verrät,

Lispelt vernehmlich dein Saitenspiel.

Sei die Dichtkunst noch so gepriesen,

Sie spricht doch nur der Menschen Sprache,

Du sprichst, wie man im Himmel spricht!


Darum sei mir dreimal gesegnet,

Hohe, strahlende Königin!

Ewig soll meine Lippe dich preisen,

Und in den Klang meiner Weihgesänge

Mische sich jauchzend der Jubel der Welt!

Quelle:
Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 1, München [1960–1965], S. 81-85.
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