Dritte Scene.

[80] (In Schiras Hofraum.)


Arzt, Sami, Guran, Lugar und viele andere Diener.


Arzt.


Seht, ich rief euch hier zusammen,

Aufs Gewissen euch zu fragen;

Ist denn Keiner unter Allen,

Der den Herrn liebt wie sein Leben?


Alle außer Sami.


Ich, Meister Arzt. Wir lassen alle unser Leben für ihn.


Einer.


Ich wollte gern mein Leben lassen, wenn ich nur wüßte, daß ich das Leben meines Herrn damit erkaufen könnte.


Zweiter.


Freilich, das geht in seinen jetzigen Umständen nicht. Die Krankheit sitzt in ihm, da können wir nichts helfen. Ja, wär er äußerlich in Lebensgefahr, so solltet Ihr schon Eure Freude an mir erleben, Meister, wie ich sein Leben mit meinem Blute erkaufen wollte.


Arzt.


Wollt' ihn Einer nun erstechen,[81]

Würdest du mit deinem Leibe

Deinem Herrn zum Schilde dienen,

Und den Stich für ihn empfangen,

Wenn du sonst nicht Waffen hättest,

Deinen Herrn damit zu schützen?


Zweiter.


Ja, Herr.


Dritter.


Wenn er im Walde von dreißig Räubern angefallen würde, und ich stünde allein an einem recht verborgenen, sichern Platz, so lief ich doch schnell darunter hinein, um ihn heraus zu hauen.


Arzt.


Das ist wahrlich schön und löblich.


Erster.


Nun, Sami, alter Haushofmeister! Du stehst allein still da? Sag doch auch, daß du deinen Herrn mehr liebst, als dein Leben.


Sami.


Ach, was hilft's wenn ich's auch sage!


Guran zu Lugar.


Ich möcht' aber doch wissen, warum der Meister uns das fragt. Zum Spaß hat er's doch wohl nicht gethan; er ist ja sonst ein ehrenfester Mann.


[82] Arzt.


Da ihr ihm so treu ergeben,

Wünscht ihr auch gesund ihn wieder?


Alle.


Ja, von ganzem Herzen, Meister.


Lugar.


Wir hofften dabei immer auf Euch, Herr. Aber es scheint, Ihr seid nicht gar zu wohl erfahren in Pflanzen und ihren Kräften, daß Ihr ihn nicht von seiner Krankheit heilen könnt.


Arzt.


Freund, hier fehlt's nicht an Erfahrung,

Nicht an Kunst und Wissenschaft

Von der Kräuter Werth und Kraft.

Hätten wir von einem Baume,

Den ich gar zu wohl nur kenne,

Nur den Thau, ihm wär geholfen.


Guran.


Ei, so sammelt von dem Baum den Thau, so habt Ihr ihn, oder steht der Baum zu weit von hier, so sagt's so kann's schon Einer für den Herrn thun, und ihn holen.


Zweiter.


Das ist wahr. Was fragt Ihr da so lang unter uns[83] herum, und sprecht von Leben auf's Spiel setzen, wo doch nur ein Gang zu thun ist.


Arzt.


Doch der Gang ist sehr gefährlich.

Da du aber, wie mir scheinet,

Selber Lust hast, diesen weiten

Gang zu machen, –


Zweiter ihm in's Wort fallend.


Ich? – Ei, behüte mich der Himmel! Ich kann gar nicht mit dem besten Willen. Es ist heute und morgen und die ganze Woche rein unmöglich; ich habe gar zu viel im Haus zu schaffen. Ich darf meinen Dienst nicht so vernachlässigen. Nein, von mir kann da gar nicht die Rede sein. Die Andern werden aber schon Zeit dazu haben. Ja, wenn's ein kurzer Gang von ein Paar Stunden wäre, so wollt ich's noch gerne thun, und wenn's auch noch so gefährlich wäre. Ihr sprecht aber von einem weiten Gange.


Alle außer Sami.


Ja, wir haben auch unsere Geschäfte. Zum Müßiggang hat uns der Herr nicht gedungen.


Arzt.


Einen Diener stell ich gerne

Von den meinen an desselben[84]

Stelle, der zu Mordis Garten

Gehn will, –


Viele durcheinander.


Was? – Zu Mordi's Garten? – Ja, prosit da wird nichts draus.


Erster.


Das wär mir gelegen, mich in jungen Jahren von einem Unthier fressen zu lassen bei lebendigem Leibe. Daß ich ein Narr wäre!


Dritter.


Das wär mir so! Ich bin meines Lebens noch nicht so satt, daß ich dem in den Rachen laufen möchte.


Zweiter.


Hört, Meister, wenn Ihr nichts Besseres wißt, als das, so hättet Ihr uns nicht zu rufen brauchen. Das könnt Ihr Euch denken, daß wir keine solchen Thoren sind. (Zu den Knechten:) Kommt laßt den Narren stehn. Wie kann man sich denn in aller Welt einbilden, daß es einen Menschen gibt, der so unsinnig sein wird, mit seinem eigenen Leben, das Leben eines andern zu erkaufen. Das Leben hat man nur einmal, und mit dem, was ich nur einmal habe, helf ich meinem Bruder nicht aus, und wenn's noch so gering wäre, denn wenn ich's weggebe, so[85] hab ich's gar nicht mehr – und auf jeden Fall bin ich, mir selbst der Nächste.


Guran.


Ei, so gebt nur selber Euer Leben hin, um den Herrn damit zu retten. Warum fragt Ihr da noch lang herum? Gelt, wir wären Euch gut genug, die Kastanien aus den Kohlen zu holen, und die Finger daran zu verbrennen, damit Ihr dann in Ruh die gebratenen Kastanien schälen und essen könntet! Ja? prosit! 's wird nichts gereicht.


Arzt.


Schlechtes Volk! Geht, packt euch! packt euch!

Mit dem Maule seid ihr fertig,

Mit dem Maule seid ihr Diener,

Daß man sie nicht besser wünschte,

Aber kommt es erst zum Handeln,

Zeigt ihr euch so niederträchtig,

Daß man euch nicht schlechter fände,

Wenn man euch aus allen Enden

Dieser Welt zusammen suchte.


Zweiter.


Seid still, und laßt das Schelten, sonst schlagen wir Euch noch am Ende die Knochen im Leibe zu Brei.


[86] Sami zu dem Knechte.


Gehst du schnell an deine Arbeit? – All an euer Geschäft, ihr groben Menschen!


Die Diener gehen murrend ab.


Sami zum Arzt.


Herr, sagt, wie sieht der Baum des Lebens aus!


Arzt.


Sami, wie? du wolltest gehen?

Und du sprachst vorhin kein Wörtchen.


Sami.


Ach, das sind lauter Maulmacher, die reden viel und thun nichts, und zu solchen mag ich auch scheinsweise nicht gerechnet werden. Darum schwieg ich ganz; denn ich wußte wohl, daß an mich noch die Reihe kommen würde, wenn es Ernst gilt mit der Sache.


Arzt.


Du, alter Mann, du wolltest?


Sami.


Nun, wundert Euch nur nicht. Eben weil ich alt bin, ist gar nichts Verwunderliches dabei. Noch ein Paar Jahre, so muß ich doch fort, – vielleicht! – wer weiß schon morgen. Sollt' ich da die Paar ungewissen Tage nicht mit Freuden hingeben, um meinem Herrn ein Paar gewisse Jahre dafür zu erkaufen?


[87] Arzt.


Nun gelobet sei der Himmel!

Ja, es gibt noch eine Treue,

Und die ist ein köstlich Kleinod.

Ja, auch unter Dienern gibt es

Hier und da noch treue Seelen.


Roselinde mit einer Dienerin und Diener, welche Koffer und allerlei Gepäcke hereintragen. Vorige.


Sami stürzt ihr entgegen auf die Kniee, und küßt weinend den Saum ihres Kleides.


Ach, du Himmel! ach, du Himmel.

Seid Ihr's wirklich! oder träum ich?

Ja, Ihr seid es, Roselinde.


Roselinde.


Ja, ich bin es lieber Sami,

Grüß dich herzlich, treuer Diener.


(Sie drückt ihm die Hand; er küßt ihr aufstehend die ihrige:)


Roselindens Diener zu Sami.


Sagt, wohin kommt das Gepäcke?


Sami in Freudenthränen.


Kommt nur mit, ich will euch zeigen,

Wo ihr alles niederstellet.


(ab mit Roselindens Dienern.)


[88] Roselindens Dienerin.


Herrin, diese kleine Flasche

Fand ich in der Kutschentasche.


Roselinde.


Gib sie. Das ist für den Vater.


(zum Arzt:)


Wißt Ihr, Meister, wo er sitzet?


Arzt.


Ja, ich weiß es, holde Jungfrau.

Seid Ihr aber Roselinde,

Dürft Ihr so unvorbereitet

Wahrlich! jetzt nicht vor ihn kommen.

Allzu unverhoffte Freude

Könnte leicht ihm schädlich werden.

– Auch vor Freude kann man sterben.


Schira kommt.


Ist es wahr, was Sami sagte?


(Er sieht seine Tochter, fängt an zu weinen und sinkt ihr in die Arme:)


Meine Tochter! meine Tochter!


Arzt.


Um des Himmels willen, Schira!

Mäßigt, mäßigt Eure Freude.


Roselinde.


Meister, helft! er sinkt in Ohnmacht.


[89] Arzt hilft ihn auf einen Sitz bringen.


Habt Ihr gar nichts schnell zu Handen,

Ihm die Schläfe einzureiben?


Roselinde.


Nichts als diese Balsamflasche,

Die Herr Mordi mir gegeben,

Aber dieser Balsam heilet

Nur bei innerem Gebrauche.


Arzt nimmt sie.


Ach, das ist er! Dank dem Himmel.


(Er öffnet die Flasche und netzt Schira die Lippen mit dem Balsam.)


Ich benetz' ihm nur die Lippen,

Und alsbald wird er erwachen.


Schira seufzt aus tiefer Brust.


Roselinde.


Ja er kommt schon wieder zu sich.

Dank dem Himmel! Dank, Herr Mordi!


Arzt.


Ja, das ist der Lebensbalsam,

Der vom Lebensbaume quillet,

Der nur einmal wächst auf Erden,

Fern von hier, in Mordi's Garten.


[90] Schira, die Augen aufschlagend.


Wie? wo bin ich? – Meine Tochter!

Meine fromme Roselinde!


Arzt.


Nun, wie ist Euch?


Schira.


So erträglich,

Aber immer etwas schwächlich.


Arzt reicht ihm von dem Balsam in einer Schaale.


Trinkt einmal das zur Erquickung.


Schira, indem er die Schaale abnimmt, Roselinden die Hand reichend.


Lebst du noch, lieb' Roselinde?


(Er setzt die Schaale an, und trinkt:)


Ach, was ist das? Süß und bitter.

Wie es mir die Brust durchströmet!

Ha, in allen Adern! Wahrlich,

Ja, das ist mein Trank, mein blauer!


(Er trinkt die Schaale leer:)


Ha, durch alle meine Glieder,

In das Mark der Knochen dringt es

Mir, wie neue Kraft des Lebens.


Roselinde, ihn selig küssend.


Wie die Wangen dir sich röthen!

Wie dein Auge fröhlich blicket!


[91] Schira, aufstehend.


Ja, ich fühl' es – alle Krankheit

Hat der Trank in mir geheilet,

Bin gesund jetzt und vergnüget.

Kommt, o kommt mit mir geschwinde,

Kommt hinauf in meine Zimmer,

Daß ich meine Diener finde,

Daß sie mir ein Fest bereiten,

Daß man noch in späten Zeiten

Stets davon erzählen soll.

Denn mein Herz schlägt freudevoll,

Meine Krankheit ist verschwunden,

Und ich bin wie neu geboren.

Und mein Kind, das mir verloren,

Wieder hab ich's ja gefunden.


(Sie gehen alle ab.)


Quelle:
Albert Ludewig Grimm: Lina’s Mährchenbuch 1–2. Band 1, Grimma 21837, S. 80-92.
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