4.

[44] Als die Königstochter aber hinabging von dem Drachenberge nach der Stadt, noch voll Freude über ihre Erlösung vom Tode durch den schönen, fremden Jüngling und dabei voll Trauer, daß er nicht gleich mit ihr hatte gehen können, mußte sie eine Strecke durch den Wald, vorbei an der Wohnung eines Kohlenbrenners. Und als sie vorbei ging an den Meilern des Köhlers, stürzte er hervor mit einer Keule, die er hoch in der Luft schwang und drohte sie zu erschlagen, wenn sie nicht gleich ihm zuschwören würde mit dem heiligsten Eide, ihrem Vater, dem König, und Allen zu sagen, daß er, der Köhler, ihr Erretter vom Drachen sei. Und die Königstochter fiel weinend vor ihm auf die Kniee, und bat ihn, sie doch zu verschonen, und versprach ihm zuzuschwören, ihm Geld und Haus und Feld zu verschaffen, so viel er verlangte. Er bestand aber auf seiner Forderung, und drohete, sogleich den Schlag zu thun mit seiner schweren Keule, wenn sie nicht augenblicklich den Schwur ablege.[44]

Da schwur sie ihm zu mit einem heiligen Eide zu sagen, daß er ihr Erretter sei, und seine Gemahlin zu werden. Und als sie den Schwur abgelegt, ließ der Köhler sie ihre Straße ziehen. Er ging aber sogleich hinauf auf den Drachenstein, und schlug den Drachenköpfen die Schädel ein, und nahm sie also in einem Sacke mit sich in seine Wohnung, damit er doch ein Zeichen habe, womit er bewiese, daß er den Drachen erlegt.

Er war aber kaum bei seinen Meiler angekommen, so erschien schon ein prächtiger Wagen, der geschickt war, ihn abzuholen zum Könige. Und er setzte sich darein mit seiner rußigen Kleidung, und nahm die Drachenköpfe mit sich und die Keule.

Aber der König empfing ihn mit großen Ehren, und ließ ihm sogleich ein reiches Kleid anlegen und ihn waschen, und von seinem rußigen Gesichte reinigen. Und die Drachenköpfe ließ er ausbeinen, und stellte die Schädel in seine Schatzkammer, darum daß ihm sein kostbarster Schatz, sein liebes Töchterlein war erhalten worden durch den Tod des Drachen. Und dazu ließ er aufbewahren die Keule des Kohlenbrenners, denn er glaubte der Drache sei damit erschlagen worden. –

Als aber nun etliche Tage um waren, da machte der[45] König Anstalten zur Vermählung seiner Tochter mit dem Kohlenbrenner. Da fiel ihm aber die edle Jungfrau vor die Füße, und bat ihn um Aufschub auf drei Jahre. Da sprach aber der König: »Sieh, mein liebes Kind, ich wollte dir wohl dein Begehren erfüllen. Allein was geschehn muß, thut man leichter gleich frisch. Und du mußt nun einmal die Gemahlin des Kohlenbrenners werden, denn er ist dein Retter, und dem hab ich dich mit meinem königlichen Worte zugesagt, und hab einen heiligen Eid darauf geschworen, den ich nicht brechen darf, wenn es auch dein Retter selbst zufrieden wäre.«

Da zerfloß sie aber in Thränen, und bat nur um ein Jahr wenigstens Aufschub. Und der König ließ den Köhler rufen, und stellte ihm die Sache vor, und fragte ihn, ob er noch mit dem Vermählungsfeste warten wollte ein Jahr. Und der Kohlenbrenner gab noch Raum, bis es Jahr und Tag sei nach der Erlegung des Drachen. Darob erfreute sich die Jungfrau und hoffte mit Zuversicht früher auf die Rückkunft ihres freundlichen Erretters mit den sanften blauen Augen und mit den schönen blonden Locken. Aber es verging ein Tag um den andern, und es verging eine Woche um die andere, und es verging ein Monat um den andern, und es war der Morgen angebrochen des Tages da die Königstochter sollte vermählt werden mit dem Kohlenbrenner,[46] und sie hatte den sehnlich Erharrten noch nicht wieder gesehen.

Aber vor ihren Vater hatte sie sich nieder geworfen, als er wieder Anstalten machen ließ zum Feste, und hatte mit Thränen zu ihm gefleht um längern Aufschub. Aber sie wollte ihren Eid nicht brechen, und gestehn, warum sie darum bäte, und so hatte sie ihr Vater zornig von ihm gewiesen, und sie eine Thörin geheißen, weil sie nicht wüßte, warum sie es wollte. Und er ließ fortfahren in seinen Zurüstungen, und hieß sie ihm selbst ein Leibgericht bereiten in der Küche, wie sie wohl sonst an Festtagen gepflegt.

Da kam Brunnenhold aber zurück in die Stadt, und hörte überall Musik ertönen, und sah allenthalben rothe Freudenfahnen wehen, und sah alle Häuser geschmückt mit Blumenkränzen, und alle Leute in ihren Feierkleidern. Und er trat wieder bei seinem alten gesprächigen Wirthe ein, und ließ sich einen frischen Trunk geben. Da erkannte ihn der Wirth, denn er sah seine Thiere um ihn her auf dem Boden liegen, und rief ihm lachend zu: »Ei, ei! ich meine, ich hätte die Ehre schon einmal gehabt von dem Herrn. Ja, ja, nicht wahr, es war gerade vor Jahr und Tag. Ihr wolltet mir damals glauben machen, Ihr ginget gerade nach dem Drachenstein hinauf. Ich hab' Euch damals ernstlich abgerathen, denn ich glaubte, es sei Euch Ernst. Ei,[47] nun, ein Wirth muß sich schon in die Laune seiner Gäste zu finden wissen.«

Da ward Brunnenhold aufmerksam, und fragte ihn: »Ei, lebt der Drache denn noch?«

»Bewahre! bewahre nein! der ist todt. Es gibt gottlob! jetzt keinen Trauerzug mehr da hinauf!« antwortete der Wirth. Und als Brunnenhold weiter fragte, wie das komme, sagte er: »Seht, es haben's zwar schon Etliche versucht gehabt, den Drachen zu erlegen, aber noch Keiner war so klug, ihm seine Köpfe am Hals zu lassen, und ihm auf eine Art das Leben zu nehmen. Da kam der Kohlenbrenner auf den Gedanken, und schlug ihm an jedem Kopfe den Hirnkasten ein mit einer Keule, so konnte kein einziger Kopf mehr nachwachsen, geschweige zwei.«

Da lachte Brunnenhold, und sagte zum Wirth: »Ihr seid doch ein lustiger Kammerad. Warum stellt Ihr Euch denn so gar unwissend?«

Aber der Wirth sah ihn befremdet an, und wußte nicht, was er sagen sollte, und erstaunte noch mehr, als er merkte, daß Brunnenhold den Drachen erlegt haben wollte, und wußte nicht, ob er's glauben sollte, oder nicht. Und als Brunnenhold merkte, daß er zweifelte, sagte er ihm: »Seht, ich schicke meinen Löwen hinauf in des Königs Schloß, und der muß den Halsschmuck der Königstochter herunter bringen,[48] zum Beweise, daß sie mich noch kennt, und sich noch meiner erinnert, wenn sie den Löwen erblickt.«

Das wollte aber der Wirth nicht glauben, und wettete hundert Goldstücke gegen eines, daß dies nicht geschehen könne. Denn er meinte, die Wachen um's Schloß würden den Löwen gar nicht hineinkommen lassen zur Prinzessin. Aber Brunnenhold wettete mit ihm; denn er wußte, daß seine Thiere Klugheit besaßen, mehr als mancher Mensch, und gab dem Löwen sein Jagdmesser in das Maul, und sagte zu ihm: »Geh hin ins königliche Schloß, und bring mir den Halsschmuck der Prinzessin.« Da ging der Löwe hinaus, und der Wirth sah ihm nach, und erstaunte, als er sah, daß er den rechten Weg eingeschlagen zum Schloß.

Aber der Löwe ging schnell durch die Straßen den Weg zum Schlosse des Königs, und wo er ging wichen ihm die Leute aus, und es lief ein Schrecken durch die Stadt, ein ungebundener Löwe laufe umher. Als er aber an die Thorwache des Schlosses kam, ging er mitten durch, und die Soldaten getrauten sich nicht, ihm zu widerstehen, und flüchteten sich ins Wachthaus, denn der Löwe war um Vieles größer als ein gewöhnlicher Löwe. Und er ging so durch alle Wachen, die Treppe hinauf, die Gänge hindurch, die Thüren vorbei, ungehindert. Und als er kam an die Küche, wo die Bratenwender gingen, die Mörser klangen, die Flammen[49] knisterten, und Köche und Küchenmägde und Küchenjungen hin und her liefen, und in den Töpfen rührten, und da Salz und dort Gewürze einstreuten, und da Kohlen zuschütteten, dort Holz zulegten, da trat er hinein. Und die Küchenjungen, die ihn sahen, sprangen in die Speisekammer und verschlossen sich dort, und der Koch mit seinen Gehülfen sprang auf den Heerd und stieg von da auf den Schornstein.

Aber Helgrita, des Königs Tochter, stand da, und bereitete ihrem Vater ein Leibgericht. Als sie aber die Küchenjungen so laufen sah, blickte sie auf, und sah auch den Löwen hereintreten in die Küche. Und sogleich fiel ihr ein, ob es nicht Brunnenholds, ihres Erretters, Löwe sein möchte. Da trat sie näher hin, und sah das Jagdmesser und erkannte es. Denn Brunnenhold hatte die äußerste Spitze abgeschlagen, und hatte sie ihr gegeben, daß sie ihn daran erkennen sollte. Und Freudenthränen traten ihr in die Augen, denn sie hoffte jetzt, daß auch Brunnenhold in der Nähe sein müßte. Und in ihrer Freude umschlang sie den Hals des Löwen mit ihren Händen. Aber der Löwe blickte sie immer still an, und kehrte seine Augen nach ihrem Halsschmucke, und wenn er darauf sah, so glänzten ihm seine Augen freudiger. Das bemerkte Jungfrau Helgrita, und sprach zu ihm, indem sie ihm liebkosete: »Gelt, mein Halsschmuck gefällt dir, du liebes Thier?« Da nickte der Löwe[50] mit dem Kopfe. Aber der Küchenmeister guckte aus dem Schornstein herab, und verwunderte sich, daß der Löwe so zahm war, und sprach: »Ja, ja, das Halsband mag ihm gefallen, aber ich möcht's doch nicht anhaben; mir wäre bang um meinen Hals dabei. Hochedle Jungfrau, traut dem Thiere nicht, und speis't ihn mit dem besten Braten ab, wenn Ihr könnt, sonst gehts doch noch an Euch selbst.«

Jungfrau Helgrita hatte aber nicht bang, und wollte ihm nur ein gutes Futter geben, und bot ihm eine große Kalbskeule dar; aber der Löwe schüttelte mit dem Kopfe und blickte wieder mit hellglänzenden Augen auf den Halsschmuck der Prinzessin. Da zog Jungfrau Helgrita das kostbare Halsband ab, und ließ die edeln Steine spielen in dem Glanze des Heerdfeuers, daß es der Löwe sehen sollte. Der Löwe stellte sich aber mit seinen Vorderfüßen neben der Prinzessin auf die Heerdplatte und bot ihr seinen Hals dar. Und Jungfrau Helgrita sprach lächelnd: »Was ist? soll ich dir mein Halsband umhängen, närrisches Thier?« Da nickte der Löwe mit dem Kopfe, und Helgrita knüpfte ihm spielend das Band um. Aber kaum hatte er es am Halse, so lief er schnellen Schrittes zur Küche hinaus durch den Schloßhof, nach der Straße zu, woher er gekommen war.

Als aber der Löwe weg war, kamen die Küchenjungen wieder aus den Speisekammern, denn sie hatten's durch die[51] Ritzen gesehen, als er fortging. Und die Köche und der Küchenmeister stiegen wieder aus dem Schornstein herab, und wischten sich den Ruß von den Kleidern und den Rauch aus den Augen, und waren alle erstaunt über den Vorfall. Aber Helgrita lächelte sanft, und war gutes Muthes, denn sie hatte jetzt neue Hoffnung, daß ihr wahrer Erretter sich ihrem Vater darstellen würde.

Aber Brunnenhold hatte indessen bei seinem frischen Trunke gesessen, und der Wirth hatte hinaus gesehn nach der Straße, wo der Löwe herkommen mußte. Als er ihn aber von ferne kommen sah, und die blitzenden Steine sogleich an seinem Halse erkannte, da setzte er sich auf den nächsten Stuhl, sich von seinem Schrecken zu erholen, und schrie: »Ach, meine hundert Goldstücke! meine hundert Goldstücke!«

Aber Brunnenhold freuete sich, als ihm der Löwe das Halsband brachte, denn er erkannte daraus, daß Helgrita noch seiner gedenke. Und als der Wirth sogleich seufzend ging, und mit Thränen wieder kam, und im die hundert Goldstücke darzählte, sagte er lachend: »Nun, wie siehts? wollt Ihr noch einmal mit mir wetten, Herr Wirth?«

»Nein, nein« antworte der Wirth, »Ich hab' genug an dem einen Male!« und betrachtete sein Geld noch einmal, und seufzte: »Das schöne Gold!«[52]

Aber Brunnenhold that nicht, als ob er's merkte, und sprach: »Sonst hätte ich den Löwen noch einmal hinaufgeschickt, und er hätte die Prinzessin selbst herunter bringen müssen.«

»Und das hätte er hübsch bleiben lassen,« sagte der Wirth. »Nein, nein, so klug Eure Bestie auch sein mag, darauf hätte ich Lust mit Euch zu wetten, was Ihr wollt. Darauf wette ich mein Haus und Hof, und mein ganzes Vermögen gegen die hundert Goldstücke; das läßt Euer Löwe hübsch bleiben. Denn das ist einmal so herkömmlich bei uns! eine Prinzessin darf nicht allein, ohne Begleitung, sich aus dem Schlosse entfernen.«

»Wollt Ihr wetten, so schlagt ein!« sagte Brunnenhold, und hielt ihm die Hand dar, und der Wirth schlug ein, und sprach: »Ja, mein Haus und Hof und Alles, was ich vermag, setz' ich daran. Nackend sollt Ihr mich aus meinem eignen Hause hinaus jagen, wenn Eure Bestie die Königstochter hierher bringt.«

Da knöpfte Brunnenhold dem Löwen das Halsband ab, und gab's ihm an einem Ende ins Maul, und sprach: »Geh hin, und bringe die Königstochter mit dir hierher!«

Und der Löwe rannte wieder hinauf, durch alle Wachen hindurch, an allen Thüren vorbei, bis in die Küche.[53]

Da liefen wohl einige Küchenjungen von dannen, aber doch nicht alle, denn sie hatten ja gesehn, wie zahm der Löwe war. Und als der Löwe zu Helgrita kam, legte er ihr das Halsband in die Hand, und faßte ganz sacht ihre Schürze, die sie vorgebunden hatte, und führte sie davon, erst an die Küchenthüre; dann bot er ihr den Rücken dar, und blickte sie an, daß sie wohl verstand, sie sollte sich darauf setzen. Aber sie hatte es kaum gethan, so lief er so schnell er konnte, von dannen. Und wie sehr sie auch schrie, man sollte ihn anhalten, so getraute es sich doch Niemand. Denn Alle fürchteten die Größe und Stärke des Thieres. Und als es die letzte Wache vom Schloßthore wagte, sich ihm entgegen zu stellen, so riß sie der Löwe am Kleide um im Vorüberrennen, und rannte ferner unaufgehalten bis an das Haus, da Brunnenhold innen war. Aber wer den Löwen springen sah, und die schöne Jungfrau auf seinem Rücken erkannte, erstaunte darüber. Und die Kinder, so auf den Straßen spielten, liefen mit Geschrei hinterdrein und Gelächter, denn sie erfreute die schöne Löwenritterin.

Brunnenhold lief ihr aber sogleich entgegen, und hob sie herab, und sie sank ihm in die Arme, und vergoß Zähren der Freude, daß ihr Erretter noch gekommen war zu rechter Zeit, und erzählte ihm die Bosheit des Köhlers. Da begehrte Brunnenhold von ihr, daß sie ihm heute noch[54] vor der Trauung Audienz verschaffe vor ihrem Vater, dem Könige, und seinem ganzen versammelten Rathe, damit er den Betrug des Kohlenbrenners entdecke.

Darauf geleitete sie Brunnenhold bis zu dem Eingang des Schloßhofes, und ging wieder zurück, um bei seinem Wirthe zu harren, bis daß ihm Botschaft käme, daß ihm der König Gehör verstatte vor seinen versammelten Räthen. Und als er zurück kam, lag der erschrockene Wirth noch bewegungslos auf einem Stuhle, denn er fürchtete, Brunnenhold möchte jetzt sein ganzes Vermögen von ihm begehren, wie er ihm in der Wette versprochen, die er verloren.

Doch Brunnenhold tröstete ihn, und sprach: »Seid nur gutes Muthes, ich bedarf nicht Eures Goldes, und mit der Wette war es nur Scherz. Und auch die hundert Goldstücke nehmt nur wieder, und verwahrt sie in Eure Kisten, und hütet sie fleißig. Ich will Euch nicht nehmen, was Euch so sehr am Herzen liegt.« Da ward er wieder fröhlich und guter Dinge, und dankte ihm mit hundert demüthigen Bücklingen, und nannte ihn einmal ums andere einen edlen jungen Herrn, und wünschte ihm tausend Glück und Segen.

Da aber Jungfrau Helgrita in ihres Vaters Schloß kam, trat sie alsbald vor ihren Vater, und bat ihn fußfällig, er möge ihr doch noch eine Gnade erweisen vor ihrer Trauung. Der König ward aber fast unwillig, und wollte[55] sie von sich weisen. Denn er glaubte sie verlange noch einmal Aufschub der Trauung. Da zerraufte sie ihre Haare und jammerte also, daß der König sich ihrer erbarmte, und fragte: »Was verlangst du?« Und sie brachte ihr Anliegen vor, und begehrte von ihm, er möge doch einem Fremdling, der in der Stadt angekommen sei, noch am Morgen Audienz gewähren, vor seinem versammelten Rathe.

»Was kann das sein?« fragte der König, »daß du dich also eifrig für einen Fremdling verwendest.« Sie aber antwortete: »Er wird's schon sagen, mein geliebter Vater. Ich darf's nicht sagen, was mich schon Jahr und Tag drückt; denn mir bindet die Zunge ein schwerer Eid.«

Da ward der König neugierig, was das sein möchte, und versprach ihr zu willfahren, und befahl seinem Rathe, sich schnell zu versammeln. Und Helgrita schickte hinab, und ließ Brunnenhold rufen.

Und der König saß auf seinem Throne, und hielt seinen Königsstab in der Rechten, und zu seiner Rechten und Linken standen seine Räthe und die Großen seines Reiches. Da trat Brunnenhold herein mit seinen drei Thieren, die er hinter sich führte mit silbernen Ketten. Da fragte der König ernst: »Was ist dein Begehren, Fremdling? und wer bist du?«[56]

Und Brunnenhold ließ sich nieder auf ein Knie, und verehrte den König nach Landessitte. Darauf stand er auf, und sprach mit Bescheidenheit: »Verzeiht, großer König, daß ich Euch heute bemühe um eine Sache, die Euch eine Kleinigkeit bedünken mag. Ich bin ein junger Waidmann, wie Ihr an meiner Tracht wohl ersehen möget. Nun hörte ich in der Ferne von der That, die Euer künftiger Eidam verrichtet haben soll, und bin hier, Euch zu bitten, ihn dahin zu vermögen, daß er mir vor Euch und Euern Räthen auf einige Fragen freundlich Bescheid geben möge, in Betreff des greulichen Thieres, das er vor Jahr und Tag erleget. Schlaget mir meine Bitte nicht ab, und wundert Euch nicht, bevor Ihr mich ganz gehöret habt.«

Dem Könige gefiel aber der edle Anstand des jungen Waidmanns, und willfahrte ihm und ließ den Kohlenbrenner, seinen künftigen Eidam, zu sich entbieten. Und derselbige trat murrend herein. Aber der König gebot ihm, um seinetwillen möge er dem Fremdling Bescheid geben auf seine Fragen.

Da neigte sich Brunnenhold gegen ihn, und sprach: »Verzeihet meiner Wißbegier. Ich bin ein junger Waidmann, und möchte gern Kenntniß haben von allem Thierreich, was da kreucht und fleugt auf und über dem Erdboden. Darum seid so gut, und sagt mir doch, wie der Drache[57] gestaltet war, den Ihr erlegtet, und gebt mir Kunde von seiner Natur und seinem Wesen.«

Da schaute der Kohlenbrenner unwillig verlegen vor sich nieder, und ihm ahnte gleich nicht viel Gutes. Denn er hatte den Drachen gar nicht gesehen, sondern nur noch einzelne Stücke von seinem Leichnam gefunden. Der König redete ihm aber gutmeinend zu, und begehrte auch für sich eine Beschreibung des Drachen von seiner Gestalt und Natur. Und der Kohlenbrenner machte nun eine kurze Beschreibung davon, wie sie jeder zu machen vermag, der auch nie einen Drachen gesehen. Er konnte aber dabei seine Verlegenheit und seine Erröthung kaum bergen.

»Nun erlaubt mir die zweite Frage,« sprach Brunnenhold, »und sagt mir, wo Ihr das Gebein des Drachen begraben habt? Der König, in dessen Lande ich diene, wünscht so sehr eine Rippe des Drachen zu besitzen. Vielleicht würde mir vergönnet, eine der Rippen wieder auszugraben, und sie meinem König zu bringen.«

Darauf konnte der Köhler abermal nicht schnelle Antwort geben. Endlich sprach er ganz stotternd, er habe den Leichnam des Drachen am Drachensteine liegen lassen, und wüßte nun nicht wo er weiter hingekommen wäre.

Hierauf wandte sich Brunnenhold zum drittenmal an ihn, und sprach: »Erlaubt mir nur noch eine Frage: haben[58] die Drachen auch Zähne.« Da sagte der Kohlenbrenner ganz ungeduldig: »Ich weiß nicht, ob sie Zähne haben oder nicht. Ich habe den Drachen todt geschlagen, aber mich nicht viel um seine Natur und Wesen bekümmert. Dergleichen Kleinigkeiten überlaß ich Euresgleichen, die fertiger mit dem Maule sind, als ich, und über die Dinge plappern mögen, die andere thun. Ihr fragt mich ja, wie man die Schulkinder nach ihrer Lection fragt. Geht in die Schatzkammer, und seht die Köpfe selbst. Dort stehn sie mit oder ohne Zähne, wie ich sie hergebracht habe.«

Brunnenhold lachte aber, und sprach ganz ruhig: »Ihr müßt nicht ungeduldig werden, daß ich Euch so nach Allem Frage!« und wandte sich nun zu dem König und seinen Räthen und sprach: »Dürfte ich nun auch eine Frage an Euch wagen?« Und der König antwortete ihm: »Du bist ein sonderbarer Mensch; aber du gefällst mir, frage nur!«

Da sprach Brunnenhold: »So Einer eine Nuß fände, würde er die Schale behalten, und den Kern wegwerfen? Würde er den Kern behalten und die Schale wegwerfen?« »Ei,« sprach der König lachend, »er wird doch kein Thor sein, und den Kern wegwerfen, den er erst noch mit mühe herausklauben müßte. Lieber behielt er die ganze[59] Nuß. So ihm aber diese zu schwer oder zu groß wäre, würde er doch lieber den Kern behalten, als die Schale!«

»So aber einer,« sprach Brunnenhold ferner, »den Kern der Nuß besäße, und ein Andrer die Schale, welcher müßte die ganze Nuß wohl eher besessen haben? Der mit dem Kern, oder der mit der Schale?«

»Ei, der den Kern hat, doch gewiß, oder es müßte denn Einer grade ein Thor gewesen sein, daß er den Kern weggeworfen,« sagte da der König mit lachendem Munde.

»So mein' ich's auch, mein großer und weiser König!« sprach Brunnenhold. »Nun erweiset mir noch eine Gnade, und wollet mir die Drachenköpfe hierher bringen lassen.« Und der König ließ sie herbei bringen. Aber Brunnenhold setzte zur Verwundrung Aller, die gegenwärtig waren, und zum Schrecken des Kohlenbrenners, jedem der Drachenköpfe die Zähne ein, die er ihnen ausgenommen, und mit sich gebracht hatte. Und als sie alle eingesetzt waren, und einpaßten, wie eingegossen, fragte er: »Wer hat die Köpfe wohl eher gehabt? ich oder der Betrüger dort, den Ihr zu Euerm Eidam machen wollet? – Sehet, die Köpfe sind die Schalen, die mir zu schwer waren und zu groß, mit mir zu tragen, und die Zähne sind die Kerne.«

Darauf wandte er sich zu dem Kohlenbrenner, und sagte: »Gestehe nun selbst, was du gethan!« Und der König[60] wandte sich zu ihm, und sprach: »Gestehe, denn du bist des Betruges überwiesen. Nur so du aufrichtig gestehest, kann dir dein Leben geschenkt werden, das du durch deinen Betrug verwirkt hast.«

Da warf sich der Kohlenbrenner vor dem Könige nieder, und bat ihn im Staube, daß er ihn so hart nicht strafen möge in seinem Zorn, und gestand Alles, wie er die fromme Königstochter Helgrita zu einem Eide gezwungen habe, daß sie ihn für ihren Retter erkenne, wie er die Köpfe des Drachen oben auf dem Drachensteine gefunden.

Aber der König ergrimmte über ihn, und ließ ihn werfen in ein Gefängniß, und befahl, daß er darin bleiben solle die ganze Zeit seines Lebens. Und Brunnenhold schloß er fröhlich in seine Arme, und ließ zu sich rufen seine Tochter Helgrita, und verordnete, daß heute sein sollte der Tag ihrer Vermählung. Da wurde Brunnenhold gesetzt auf einen Thron von Sammt mit Gold durchwirkt, und Helgrita neben ihm, und wurden getragen von acht weißen Rossen mit schwarzen Hufen durch die ganze Stadt. Und vor ihnen her ritten zwölf Herolde in scharlachrothen Kleidern mit goldener Stickerei und hohen Schwungfedern auf ihren sammtenen Baretten, und riefen aus, daß Brunnenhold des Königs Eidam heute würde, und daß allem Volk ein Fest gegeben werde, das sich zusammen fände in dem Hofe[61] des Schlosses, darum, weil der König entdeckt habe, daß Brunnenhold Helgrita's Retter sei, und nicht der Kohlenbrenner. Hinter ihnen ließ sich der alte König tragen in einer Sänfte von Ebenholz und Elfenbein mit Gold verziert, und grüßte alles Volk freundlich, und war milder, als er je gepflegt, und warf der goldenen und silbernen Schaumünzen ganze Hände voll unter das Volk aus.

Als sie aber im Schlosse wieder angelangt waren, da war auch schon der Tempel geschmückt mit Blumen und Kränzen, und warteten hundert Mädchen, in Weiß gekleidet, und hundert Knaben, in Rosenfarbe gekleidet, die empfingen die Braut und den Bräutigam, und führten sie in den Tempel zu dem Altare, wo der Priester den Trausegen über sie sprach. Und die Mädchen streueten ihnen im Zuge Rosen auf den Weg, und die Knaben streueten Myrthenzweige darunter. Als aber der Trausegen gesprochen war, ging der Zug wieder zurück in den prachtvollen Speisesaal, dessen lasurblaue Decke getragen ward, abwechselnd, von vierundzwanzig weißen und vierundzwanzig schwarzen Marmorsäulen mit goldenem Laubwerk umrankt. Und alle Thore des Schlosses und des Saales waren geöffnet, daß man hinaus sähe auf den Platz des Schlosses, und sehe, wie das Volk sich vergnügte, dem Wein und Speise gereicht wurde in Ueberfluß. Aber durch das hinterste Thor, das in[62] den schattigen Garten des Schlosses führte, klang eine liebliche Hörnermusik herein, und vermehrte die Freuden des Mahles. Und sie saßen und schmauseten bis spät in die Nacht, und der Becher der Freude machte oft die Runde an der festlich erleuchteten Tafel. Und der alte König trank oft auf das Wohlsein des Brautpaars aus seinem goldenen Becher, denn ihm gefiel sein neuer Eidam über die Maßen, und rühmte sich oft als den glücklichsten Menschen unter dem weiten Himmel.

Quelle:
Albert Ludewig Grimm: Lina’s Mährchenbuch 1–2. Band 2, Grimma 21837, S. 44-63.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

Die Sängerin Marie Ladenbauer erblindet nach einer Krankheit. Ihr Freund Karl Breiteneder scheitert mit dem Versuch einer Wiederannäherung nach ihrem ersten öffentlichen Auftritt seit der Erblindung. »Das neue Lied« und vier weitere Erzählungen aus den Jahren 1905 bis 1911. »Geschichte eines Genies«, »Der Tod des Junggesellen«, »Der tote Gabriel«, und »Das Tagebuch der Redegonda«.

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon