Achtes Kapitel.

[133] Der alte Leuthold war am Morgen schon einigemal um den großen viereckigen Bau herumgewandelt, und freute sich nicht wenig, als sein edler Junkherr aus der Mauer heraustrat. Denn er meinte doch, es müsse ein unheimliches Schlafen sein in solchem ungeheuren Bau, von dem man[133] wohl sehe, daß er zu Nutz der Lebenden nicht gemacht sei; sonst, glaubte er, hätte man den lieben Tageslichte doch auch einen Eingang darein gestattet.

»Wenn gleich das Tageslicht nicht darin leuchtet, lieber Leuthold,« sprach dagegen Adelbert, »so ist mir doch ein recht erwünschtes Licht in diesem Dunkel aufgegangen, und wo sich Einem das leibliche Auge vor der Dunkelheit schließt, da thut sich das geistige oft desto heller auf.«

»Wie meint Ihr das, mein edler Junkherr?« fragte Leuthold, und Groß Ott sprach: »Ich versteh Euch selbst nicht, mein trauter Genosse.«

Da erzählte ihnen Adelbert, was ihm diese Nacht begegnet, und daß er nun sicher wisse, wohin er sich zu wenden habe, um den Zauberritter zu finden, und zeigte ihnen sein Stäblein. Da zogen sie fröhlich hinab in das Thal und längs dem Strome hinauf. Die Sonne drückte aber heiß, und Adelbert, noch müde von der gestrigen Fahrt, mehr aber von seiner nächtlichen Wanderung, sank nahe an dem schilfigten Ufer des Nil ermattet nieder in den Schatten einiger Palmen. Groß Ott und Leuthold ruheten bei ihm. Da rauschte es plötzlich durch das Schilf, und hervor schoß eine ungeheuer große Eidechse, die faßte Adelberts Zither am Goldbande, und schleifte sie an demselben fort. Das ersah noch Herr Groß Ott, und schnell hatte er seine Lanze[134] zur Hand, und stieß sie der Eidechse zwischen den spitzigen Zähnen durch den Rachen bis tief in den Schlund, daß sie zuckend und sterbend auf der Erde lag.

Als darauf Adelbert erwachte und das erlegte Ungeheuer näher besah, sprach er: »Nun, fast möcht' ich solch ein Thier auch einen kleinen Lindwurm nennen, und ich dank' Euch herzlich, daß Ihr es erlegt habt. Nicht zu gedenken, daß es mich wohl zu verschlingen vermöchte, so ist mir noch mehr, als an meinem Leben, an meinem Saitenspiel gelegen, und um das wär' ich, ohne Euern Schutz, doch sicher jetzt im Schlafe gekommen.«

»Ei,« antwortete Groß Ott mit herzlicher Freude: »Die Kraft des Arms ist doch eine gute Gottesgabe, edler Junkherr, wenn sie nicht schon das Höchste im Menschen ist. Und es ist mir lieb, daß solch ein Abenteuer uns aufstieß. Denn bisher war ich an allem meinen Werthe verzweifelt, weil ich sah, wie Ihr Alles mit Euerm Saitenspiele ausrichtet, und viel vollkommener, als ich mirs auszurichten getraute. Ich glaubte endlich ganz, ich sei ein unnützer Gesell, und zieh' Euch mehr zur Last nach auf Euern Wegen, als zu Nutz und treuer Genossenschaft.«

»Nein, nein, antwortete Adelbert, da seid nur ruhig, mein trauter Genosse, ich werde Eures Armes wohl noch mehr bedürfen, wenn wir einmal zur Stelle sind.«[135]

»Das soll mir lieb sein,« entgegnete Groß Ott, »denn ich möchte ja gern recht viel dazu thun, die blasse Jungfrau dem argen Zauberritter abzugewinnen.«

Aber sie zogen ferner an der zerfallenen Herrlichkeit manches Palastes, an der untergesunkenen Pracht manches Tempels, mancher vergessenen Stadt vorbei, den Nilstrom hinauf ohne besondern Vorfall. Sie sahen wohl häufig die Krokodile aus dem Schilfe des Stromes hervorschießen, aber Groß Ott erlegte sie jedesmal mit vieler Gewandtheit. Oder wenn auch ein häßliches Nilpferd gegen sie herzu kam, so zog es bald, gezähmt durch Adelberts Saitenspiel, eine Strecke mit ihnen stromaufwärts, oder Groß Otts Lanze bewies auch an ihm seine Kraft.

Da kamen sie endlich an die Stelle, wo der Nil in großer Breite sich eine steile Höhe herabstürzt, daß man in stundenweiter Entfernung schon den Donner der stürzenden Wasser vernimmt. Und als sie den Sturz des mächtigen Stromes lange bewundernd angestaunt hatten, und sich jetzt wieder wegwandten, da warf Adelbert sein weißes Stäblein, das ihm der braune Mann in der Pyramide gegeben, vor sich hin in den Sand. Aber kaum lag das Stäblein auf der Erde, da rührte es sich, und wand sich, und ward zu einer weißen Schlange, die schoß vor ihnen hin, nach der Abendgegend hinüber, und sie folgten ihr. Und die Schlange[136] führte sie einige Tage durch Sand und Steppen, wo sie oft kaum fanden, was sie zu ihrem nothdürftigen Lebensunterhalte brauchten.

Da langten sie endlich aber eines Tages mit ihren Rossen, ermattet und an ihrer letzten Kraft erschöpft, durch Sand und menschenleere Einöden an dem Fuße eines Gebirges an, das sie schon den ganzen Tag vor Augen gehabt und heiß ersehnt hatten, weil sie da frisches Quellwasser zu finden hofften. Allein da zog kein Bach durch frischen Wiesengrund, da plätscherte keine Quelle über die ausgespülten Felsen herunter, wie sie es geträumt hatten, als sie noch fern nur schwach an dem weißglühenden Horizonte die Umrisse des Gebirges vor sich sahen. Denn die Berge waren nicht hoch und unfruchtbarer Sand.

Da warfen sich die Reisenden mißmuthig nieder, wie ihre Rosse, die verschmachtend sich in den heißen Sand gestreckt hatten. Die Schlange ringelte sich aber vor ihnen recht frisch und lebenslustig. Und mit neidischen Augen sah Groß Ott auf sie, und sprach: »Ist es nicht in Wahrheit recht zum Aergern, wenn man selbst der vollen Kraft entbehrt, und verschmachtend am Boden liegt, und sieht ein ander Geschöpflein sich noch lustig regen, und einem zum Hohn ordentlich die überflüssige Kraft spielend verschwenden.«

»Solches kann mich nur erfreuen,« antwortete Adelbert,[137] und schaute dem Spiele des Schlängleins aufmerksam zu: »Singt noch einmal ein Lied,« sagte da Leuthold. »Soll ich denn auch noch mit meinem Gesang meine Kraft verschwenden?« fragte Adelbert. »Gut angewendet ist nicht verschwendet!« antwortete Leuthold. Und Adelbert faßte seine Zither, und sang:


Du dürres Land!

Hat dich erschaffen Gottes Hand,

So laß uns nicht verderben,

So laß uns nicht hier sterben,

Verschmachtend in dem heißen Sand.


Aber er legte die Zither gleich wieder weg, und sprach: »Die Zunge klebt mir am Gaumen, ich kann nicht singen.«

Da sagte Groß Ott mit schwacher Stimme: »Seht nur das Schlänglein.« Das Schlänglein hatte sich bei dem Gesange aufgebäumt, und mit klugen Augen zugehört; und nun schoß es pfeilschnell den Sandhügel hinauf. »Es möchte uns vielleicht recht wohl führen,« antwortete Adelbert. »Wenn wir's nur vermöchten, ihm zu folgen.« Aber kaum hatten sie sich noch drein ergeben zu bleiben, so kam auch die Schlange schon wieder herabgeschossen, und brachte, in ihren Zähnen haltend, eine frische saftige Dattelfrucht, und schoß wieder fort. Da theilte Adelbert die Dattelfrucht, und gab einen Theil davon Groß Ott, und einen Theil seinem alten Leuthold. Der wollte die Labung aber nicht annehmen vor[138] seinem Junkherrn. Indem brachte aber die Schlange wieder eine Dattelfrucht, und schoß abermal fort, und trieb dies so lange, bis sie sich alle gelabt hatten, und wieder aufzustehen vermochten. Da sprach Adelbert zu Herrn Groß Ott: »Nun? ist die lebendige Rührigkeit des Geschöpfleins dir noch zum Aerger?«

»O, schweigt! o schweigt!« antwortete Groß Ott. »Ich weiß wohl, daß ich ein Thor war.«

Nun schritten sie aber ihrem Schlänglein nach, den Hügel hinauf, und als sie oben waren, jauchzten sie freudig, denn unten war ein grünes lachendes Thal mit Dattelbäumen und einem Flüßlein. Und sie eilten hinab, und Groß Ott schöpfte aus dem Flüßlein Wasser in seinen Helm, und trugs wieder hinüber, und erquickte auch ihre Rosse. Dann führten sie die Thiere mit sich, und ließen sie unten weiden, und bald hatten auch sie ihre vorige Freudigkeit wieder erlangt.

Quelle:
Albert Ludewig Grimm: Lina’s Mährchenbuch 1–2. Band 2, Grimma 21837, S. 133-139.
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