Neuntes Kapitel.

[139] Als sie in dem Thale längs dem Flüßlein einige Tage gezogen waren, kamen sie eines Morgens an einen felsigen Berg. Da hielt das Schlänglein mit einemmale vor einer Höhe, die war geschlossen mit einer goldenen Thür. Da[139] fiel Adelberten der goldene Schlüssel ein, den ihm sein Schwesterlein von dem Flügelroß damals heruntergeworfen in des Königs Garten. Und er zog den Schlüssel hervor, und schloß die Thür auf. Aber der Gang durch den Felsen war breit, und jenseits leuchtete schon wieder das Tageslicht herein. Und Adelbert ritt hinein, und ihm folgte Groß Ott und Leuthold. Hinter ihnen schlug aber die Thür wieder mit heftigem Schlage zu. Da fuhr mit einemmale ein ungeheurer Löwe gegen sie, und versperrte ihnen den Ausgang der Höhle. Aber Adelbert griff schnell in die Saiten und sang:


König Leu! König Leu!

Gutem Herrn nur sei getreu.

Laß vom falschen Zauberritter.

Will auch dich von Sklavenketten,

König Löwe dann erretten.

Folge, folge meiner Zither!

Diene jetzt nur; kehre frei

Dann in deine Wüstenei.


Aber er hatte noch nicht ausgesungen, da sprang das edle königliche Thier ihm entgegen, mit seinem Schweife wedelnd, und fröhlich an ihm hinauf springend, gleich einem treuen Hunde, der seinen heimkehrenden Herrn begrüßt.

Da rief aber Groß Ott halbzürnend: »Wenn Ihr so friedlich und gütlich Alles abthun wollt, so bin ich ja doch ganz unnütz. Haltet Wort, und laßt mir jetzt auch mein Theil zukommen, wie Ihr versprochen habt.« Aber indem sie[140] durch die Höhle vollends hinein ritten, antwortete Adelbert: »Ich denke, wir werden hier alle Dreie der Arbeit genug finden, gebt Euch nur zufrieden.«

Als sie aber aus dem Felsengange hinein ritten, fanden sie sich in einem weiten Kreise, der rings umschlossen von senkrecht stehenden Felsen, und mitten im Kreise standen ungeheure Felsmassen, in wunderliche Formen künstlich zusammengestellt. Und das war die Burg des Zauberritters. Aber der Zauberritter hatte auch gehört, wie die goldene Felsenthür zuschlug, und stand oben auf seiner Felsenburg. Da rief er etliche Worte in fremdlautenden Tönen, und ein kleines Stück des Felsen lösete sich vorn ab, und öffnete den Eingang. Und aus demselben hervor sprengten sechs schwarzgeharnischte Ritter auf schwarzen Rossen. Von ihren Helmen aber weheten feuerfarbene Helmbüsche, wie auf dem Helme des Zauberritters. Da schlug Adelbert wohl die Saiten seiner Zither, allein in ihren rasselnden Harnischen schienen die Ritter die Töne nicht zu vernehmen, und sprengten auf Groß Otten zu, den sie für den gefährlichsten Gegner ansahen. Da konnte Groß Otts kräftiger Speerstoß und die Gewalt seines breiten Schwertes sich hinlänglich erproben, und als tüchtig bewähren. Und das that sie auch. Fünf der Ritter, die ihn umringten, fielen von seinen Speerstößen und Schwertschlägen. Aber auch der sechste wäre wohl von seiner[141] Hand noch gefallen; doch der war mit eingelegter Lanze gegen Adelbert gesprengt, und würde diesen wohl durchbohrt haben, da er ohne Harnisch und Schild war. Da hatte aber der alte Leuthold die Worte wahr gemacht, die Adelbert, vor dem Auszuge ihm, da er im Schlafe lag vorgesungen:


»Dein Junkherr reitet ganz insgeheim,

Und ziehst du nicht mit ihm, er kehrt wohl nimmer mehr heim.«


Adelbert wäre wohl nimmer heimgekehrt. Da war aber der alte Leuthold vorgesprengt, und schlug mit seinem Schwerte des Gegners Lanze auf die Seite, und spornte seinen Schimmel, und drang auf den Feind ein, und sein scharfes Schwert hieb er ihm bis tief unter die Halsberge, daß das Blut hervorquoll, und der schwarze Reiter von seinem Rappen herab sank.

Da ergrimmte der Zauberritter, und stampfte mit dem Fuße auf seine Felsburg. Und ein anderes Thor sprang auf, und hervor stürzten zwei Leoparden in weiten Sätzen. Da sang Adelbert ihnen entgegen, und sie wandten sich von ihm und sahen ihn und seine Gefährten von der Seite lauernd an, als wollten sie den Augenblick erwarten, da er schwiege, um sie dann anzufallen mit ihren Tatzen. Da sang Adelbert, da er solches gewahrte, schnell den Ton wechselnd:
[142]

»König Leu! König Leu!

Diene treu! diene treu.

Packe mir die Riesenkatzen,

Tödte sie mit deinen Tatzen.«


Und der Löwe stürzte hervor, und fiel mit schneller Wuth die Leoparden an. Aber die beiden packten den Löwen, und wären wohl seiner Meister geworden. Doch Groß Ott ritt näher, und spießte den einen derselben; den andern besiegte der Löwe, und zerriß ihn mit seinen Tatzen.

Solches ersehend ergrimmte der Zauberritter noch mehr, und raufte sich von seinen Haaren aus, und warf sie hinab. Und die Haare wurden zu giftigen Schlangen, und die Schlangen ringelten sich, und stellten sich in die Höhe, und sprangen dann plötzlich, wie empor geschnellt, an ihnen hinauf. Da scheuten wohl die Rosse Groß Otts und Leutholds, aber sie selbst hatten ihre Visire herabgezogen, und waren so in ihren Helmen und Harnischen sicher gegen den Biß des giftigen Schlangengewürmes. Aber Adelbert war ihm Preis gegeben. Doch er spielte auf seinem Saitenspiel, und die Schlangen, die ihn berührten, fielen getödtet zu Boden. Und von Leutholds und Groß Otts Klinge getroffen, fiel manche in Stücken wieder herab. Da sah der Zauberritter, daß solche Mittel vergebens wären, und versuchte das letzte, indem er herüber rief: »Ich weiß wohl, was Ihr wollt. Ihr wollt Rosablanka haben, die blasse Jungfrau? Ich[143] will Euch aber den Zugang zu meiner Felsburg schon sperren, daß Euer Keiner es wagen soll, ihr zu nahen. Wozu soll ich länger gegen Euch kämpfen lassen, da ich mich sonst wohl schützen kann.« Und damit lief er schnell in einem Kreise umher, und hielt einen Stab hinaus, und beschrieb so mit dem Stabe ebenfalls einen weitern Kreis, und riß seine feuerfarbenen Helmfedern herab und streute sie umher. Da schlugen die Flammen um die Burg auf, und bildeten rings einen Flammenhag.

»Ho, ho!« rief aber Adelbert, »ist das ein Hag, wie der, den Siegfried durchritt? Nun das kann man ja auch einmal versuchen, wie das thut, wenn man schon nicht hörnern ist, wie er war. Muß mir etwas Anderes denn helfen.« Dann wandte er sich zu Groß Otten, und rief: »Bleib, Geselle mein! Ich hole dir jetzt, wie Siegfried, die Braut.« Und damit rührte er die Saiten, und gab seinem Weißrößlein die Sporen, und indem er hinsprengte, sang er:


»Ho, stackert, ihr Flammen!

Schlagt rauschend zusammen!

Ho, glühe die Gluth!

Euch höhnet mein Muth.

Ich reite hinein,

Es seufzt ja da drinnen

Mein Schwesterlein;

Das will ich gewinnen

Aus Zaubers Reich.

Komm, Jungfrau bleich,[144]

Die Wangen sollen bald wärmer glühen,

Weiß Rößlein soll bald roth erblühen.

Sollst nicht mehr reiten im Mondenschein,

Ho, flackert, ihr Flammen,

Schlagt um mich zusammen,

Ich reite doch mitten durch euch hinein.«


Sein Rößlein scheuete sich nicht vor den Flammen, er trieb es mitten hinein, und drinnen hörte man ihn noch die letzten Worte des Liedes singen.

Groß Ott und Leuthold wollten ihm nachreiten, aber ihre Rosse bäumten sich vor dem Flammenhage; und gaben sie ihnen gleichwohl die Sporen, sie scheueten sich doch immer, und warfen die Häupter mit gesträubten Mähnen in die Höhe und bäumten sich zurück.

Da war aber Adelbert ganz durch den Flammenhag gedrungen, und der Zauber war damit auf einmal gelöst.

Die Flammen erloschen alle auf einen Schlag; der Zauberer flog als eine geflügelte Schlange scheu durch die Luft in die unermeßliche Sandwüste Sahara hinüber; die Felsburg zersprang, und Rosablanka saß da unter dem Schatten einer Dattelpalme, bei ihr stand verschüchtert das Flügelpferd. Und Rosablanka stand auf, und ging ihren Rettern entgegegen, und begrüßte ihren Bruder mit Freudenthränen, und begrüßte auch dankend Groß Otten und Leuthold, den alten Diener. Der wußte aber seiner Freuden kein Maaß, und weinte bald und lachte bald laut durch einander.

Quelle:
Albert Ludewig Grimm: Lina’s Mährchenbuch 1–2. Band 2, Grimma 21837, S. 139-145.
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