Das X. Kapitel.

Springinsfelds Herkunft, und wie er anfangs in Krieg kommen.

[153] »Nun, das sei dann genug von den Weibern geredet,« sagte Simplicius, »seitemal ich sehe, daß ich dich doch nicht anders oder eine zu heiraten persuadiern können; hingegen aber möchte[153] ich wohl von dir vernehmen, wo du gebürtig, wie du in Krieg kommen und wie es dir bishero darinnen ergangen, bis du aus einem so tapfern Soldaten zu einem solchen elenden Stelzer worden seiest.« Springinsfeld antwortet: »So du dich nit gescheuet hast, deinen eignen Lebenslauf aller Welt durch den offenen Druck vor Augen zu legen, so werde ich mich auch nit schämen, den meinigen hier im Finstern zu erzählen; vornehmblich weil bereits offenbar sein soll, was zwischen mir und der Courasche vorgangen, die gleichwohl uns beide, wie ich vernehme, miteinander verschwägert. Jetzt höre dann deines Schwagers Ankunft.

Meine Mutter ist eine Griechin aus Peloponneso von hohem altem Geschlecht und großen Reichtumben, mein rechter Vatter aber ein albanesischer Gaukler und Seiltanzer und darneben von schlechter Ankunft und geringen Mittlen gewesen. Als dieser mit einem zahmen Löwen und einem Dromedari in der Gegend, darin meiner Mutter Eltern gewohnet, herumbzohe und beides, diese Tier und seine Kunst, um Geld sehen ließe, gefiele besagter meiner Mutter, die damal ein junges Ding von 17 Jahren war, dessen Leibsproportion und Geradigkeit so wohl, daß sie sich gleich in ihn vernarrete, also daß sie mit Hülf ihrer Ammen einen Anschlag machte, ihren Eltern ein Stück Geld auszufischen und mit besagtem meinem Vatter wider ihrer Eltern Wissen und Willen darvonzuziehen. Und solches hat ihr auch zu ihrem Unglück geglückt, unangesehen sie einander aufrecht geehlicht. Also wurde meine Mutter aus einer seßhaften vornehmen Damen eine umschweifende Komödiantin, mein Vatter ein halber Junker und ich selbst die erste und letzte Frucht dieser ersten Ehe, sintemal mein Vatter, da ich kaum geboren worden, von einem Seil herunderstürzet und den Hals zerbrach, durch welchen leidigen Fall meine Mutter also zeitlich zu einer Wittib wurde.

Zu ihren erzürnten Eltern hatte sie das Herz nit wieder heimzukehren, ohne dah sie sich damaln auch über die hundert Meilen von denselbigen in Dalmatia bei einer Compagniä Komödianten befande. Hingegen war sie schön, jung und reich und hatte dannenhero under meines Vatters hinderlassenen Kameraten viel Werber. Von dem sie sich freien ließe, der war ein geborner Sclavonier, und der Allerfertigste in derjen'gen Profession, die mein Vatter geübt hatte. Dieser zohe mich auf, bis ich das eilfte Jahr erreichte, und lehrete mich alle Principia seiner Kunst, als Trompeten, Trommelschlagen, Geigen, Pfeifen, beides, auf der Schalmei und Sackpfeifen, aus der Taschen[154] spielen, durch den Reif springen und andere seltsame Aufzüg und andere närrische Affenposturen machen, also daß ein jeder leichtlich sehen konnte, daß mir das eine und das ander mehr angeborn als angeflogen oder durch fleißige Instruktion angewöhnet worden. Dabei lernete ich lesen und schreiben, Griechisch reden von meiner Mutter und Sclavonisch von meinem Vatter. So begriffe ich auch mithin in Steier, Kärnten und andern angrenzenden teutschen Provinzen um etwas die teutsche Sprach und wurde in Summa Summarum in Bälde ein solcher feiner kurzweiliger Gauklerknab, daß mich gedachter mein Vatter, bei seinem Handwerk zu missen, umb keine 1000 Dukaten verkauft hätte, wanngleich alle Tag Jahrmark gewesen wäre.

In solcher meiner blühenden Jugend vagierten wir mehrenteils in Dalmatia, Sclavonia, Macedonia, Servia, Wossen, Walasai, Siebenbürgen, Reußen, Polen, Littau, Mähren, Böhmen, Ungarn, Steir und Kärnten herumber; und da wir in diesen Ländern viel Gelds aufgehoben hatten und mein Stiefvatter willens war, seines Weibs Eltern auch zu besuchen (als vor denen zu erscheinen er sich nicht scheuete, weil er sich gar einen reichen Kerle zu sein bedunkte und wie ein Graf aufziehen konnte) siehe, so namb er seinen Weg aus Histria in Croatiam und Sclavoniam; von dannen führt ers durch Dalmatia und Albania per Gräciam in Moream zu gehen, allwo dann meiner Mutter Eltern sich befanden.

Als wir nun durch Dalmatiam passierten, wollte mein Vatter seine Kunst auch in der berühmten Stadt Ragusa sehen lassen oder vielmehr dieselbige auch um einen guten Zehrpfenning schätzen, als welche damal in völligem Flor und Reichtum stunde. Wir kehrten daselbst zu solchem Ende ein, und zwar nicht in der Kirchen, sonder unserer Gewohnheit nach in dem allerbesten Wirtshause; und als wir blößlich eine Nacht ausgeruhet, gieng mein Stiefvatter hin, um Konsens anzuhalten, daß er beides, seine bei sich habende fremde Tier und seine Kunst, um die Gebühr dem Volk möchte weisen. Es wurde erlaubt; und ehe solche Erlaubnus kaum erbetten ward, wurde ich samt meinem Stiefbruder, der mir weder in Dexterität unserer Kunst noch in andern Stücken bei weitem nicht zu vergleichen, mit einem Reif, einer Gaukeltaschen und andern Instrumenten geschickt, zu sehen, ob ich nicht auf den Schiffen, die damals im Hafen lagen, ein Stuck Geld verdienen könnte. Ich gehorsamte gern, der Meinung, dem Schiff- und Wasservolk durch meine krumme und seltsame Luftsprüng Freud und Lust zu machen. Aber ach! ich gelangte an ein Ort, das alles meines Jammers, Elends und[155] eignen Unlusts ein Anfang war. Dann nachdem etliche Schiffe außer dem Hafen segelfertig auf der Reide lagen, die nur auf guten Wind warteten, etliche neugeworbene Völker, darunter zwo Kompagnien albanesische Speerreuter waren, nach Hispanien zu führen, siehe, da gerieten wir unversehens auf dieselbe Schiffe, weil wir durch einen der ihrigen Nachen überredet worden waren, es würde daselbst ein trefflich Trinkgeld setzen, maßen uns auch derselbe Nache mit überführte. Wir hatten unsere Exerzitia kaum angefangen, als sich aus Mitternacht ein Wind erhub, der bequem war, aus dem Adriatischen Meer in das Sicilianische zu laufen. Demselben vertrauten sie die Segel, nachdem die Anker gelupft waren, und lehreten mich und meinen Bruder das Schiffen wider unsern Willen erdulden. Jener tät, als wollte er verzweifeln; ich aber ließe mich noch trösten, nicht allein darum, weil ich von Natur alles gern auf die leichte Achsel nehme, sonder auch weil mir der eine Rittmeister, der sich ganz in meine Gestuosität verliebt, gleichsamb güldene Berge versprach, wann ich bei ihm bleiben und sein Page abgeben würde. Was sollte ich tun? Ich konnte wohl gedenken, daß kein Schiff unserthalben wieder zurückfahren noch die Raguser zweier entführten Gauklerbuben wegen, wann sie nicht geliefert wurden, diesen Schiffen nachjagen und mit ihnen eine Seeschlacht angehen oder einen Krieg anfahen würden. Derowegen gab ich mich nur desto gedultiger drein, genosse es auch besser als mein Bruder, welcher sich dergestalt kränkte, daß er starb, ehe wir wieder von Sicilia abfuhren, allwo wir noch einige Fußvölker einnahmen.

Von dannen gelangten wir in das Mailändische und so fort zu Land durch Saphoiam, Burgund, Lotharingen, ins Land von Lützenburg, und also in die Spanische Niederlande, allwo wir neben andern Völkern mehr under dem berühmten Ambrosio Spinola wider des Königs Feinde agierten. Um dieselbige Zeit befande ich mich noch ziemlich wohlkontent: ich war noch jung, mein Herr liebte mich und ließe mir allen Mutwillen zu; ich wurde weder durch strenges Marschieren noch andere Kriegsarbeiten abgemattet; so wußte ich auch noch nichts vom verdrüßlichen Schmalhansen, als welcher damals bei weiten noch nicht so bekannt bei unser Soldateska war, als er sich nachgehends im teutschen Krieg gemacht hat, in welchem ihn auch Obriste und Generalspersonen haben kennen lernen.«

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 3, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 153-156.
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