Das XI. Kapitel.

Von dreien merkwürdigen Verschwendern wahrhafte Historien.

[156] »Es gehet gemeiniglich denen, so in den Krieg kommen, wie denjenigen, so hexen lernen. Dann gleichwie dieselbige, so einmal zu solcher unseligen Kongregation gelangen, schwerlich oder wohl gar nit mehr darvon kommen können, also gehets auch dem mehrenteils von den Soldaten, welche, wann sie gut Sach haben, nicht aus dem Krieg begehren, und wann sie Not leiden, gemeiniglich nicht draus kommen können. Von denen, welche sich im Krieg wider ihren Willen ferners gedulten müssen, bis sie entweders durch eine Okkasion bleiben oder sonst krepieren, verderben und gar Hungers sterben müssen, könnte man darvorhalten, daß es ihr Fatum oder Verhängnus so mit sich brächte; von denen aber, so reiche Beut machen und gleichwohl solche wieder unnützlich verschleudern, kann man gedenken, dah ihnen der gütige Himmel nicht gönne, sich ihr großes Glück zunutz, sonder vielmehr das Sprichwort wahr zu machen ›So gewonnen, so zerronnen‹; und ›was mit Trommeln erobert wird, gehet mit Pfeifen wieder fort‹. Ich weiß von dreien gemeinen Soldaten auch drei underschiedliche denkwürdige Exempel, welche solches bestätigen, und derselbigen muß ich hier weitläuftiger gedenken. Des ersten: Der berühmte Tilly, nachdem er die Stadt Magdenburg ihres jungfräulichen Kränzels, seine Unterhabende aber dieselbe ihrer Zierd und Reichtum beraubt gehabt, erfuhr, dah ein gemeiner Soldat von den seinigen eine große Beut von Barschaft, so in lauter Geldsorten bestanden, erobert und alsogleich wieder mit Würfeln verloren hätte. Die Wahrheit zu erfahren, ließe er solchen vor sich kommen, und nachdem er von diesem unglückseligen Spieler selbsten verstanden, daß die gewonnene und wieder verschwendete Summa größer gewesen, als er von andern vernommen (etliche sagten wohl von 30000, andere von weit mehrern Dukaten), sagte der Graf zu ihme: ›Du hättest an diesem Geld die Tag deines Lebens genug haben und wie ein Herr darbei leben können, wann du dirs nur selber hättest gönnen wollen; dieweil du aber dir selbsten nichts nutzen noch zu gut tun wollen, so kann ich nicht sehen, was du meinem Kaiser nutz zu sein begehrest.‹ Und damit erkannte dieser General, der sonst den Ruhm eines Soldatenvatters gehabt, daß dieser Kerl als eine unnütze Last der Erden in freien Luft gehenkt werden sollte, welches Urteil auch alsobalden vollzogen worden. Des andern: Als der schwedische Königsmark die kleine Seit der Stadt Prag überrumpelt und gleichmäßig[157] ein gemeiner Soldat über 20000 Dukaten in Specie darin erwischt, solche aber bald hernach auf einen Sitz wiederum verspielt hatte, wurde solches dem Königsmarck gleichfalls zu Ohren getragen, welcher auch diesen Soldaten vor sich kommen ließe, um ihn erstlich zu sehen und ihm alsdann nach Erkundigung der Wahrheit ebenmäßig obenangeregten Tillyschen Prozeß machen zu lassen, wie er ihm dann auch auf ebendieselbige Manier zusprach. Als aber dieser Soldat seines Generals Ernst vermerkte, sagte er mit einer unerschrockenen Resolution: ›Euer Exzellenz können mich mit Billigkeit um dieses Verlusts willen nicht aufhängen lassen, weil ich Hoffnung hab, in der Altstadt noch wohl eine größere Beute zu erhalten!‹ Diese Antwort, welche vor ein Omen gehalten wurde, erhielte dem guten Gesellen zwar das Leben, aber gleichwohl nicht die eingebildte Beut, viel weniger den Schweden die Stadt, welche damals von deren Exercitu hart bedrängt wurde. Des dritten: Wer bei der kurbayrischen Armada unter dem Holtzischen Regiment zu Fuß bekannt gewesen ist, der wird ohn Zweifel den sogenannten Obristen Lumpus entweder gesehen oder doch wenigst viel von ihm gehöret haben. Er war bei besagtem Regimente ein Musketierer, und kurz vorm Friedenschluß trug er eine Pike, wie ich ihn dann in solchem Stand, und zwar sehr übel bekleidet, also daß ihm das Hembd hinden und vornen zu den Hosen heraushieng, under währendem Stillstand der Waffen bei selbigem Regiment selbst gesehen. Diesem geriete in dem Treffen vor Herbsthausen in einem Fäßlein voller französischen Dublonen eine solche Beut in die Hände, daß er selbige schwerlich ertragen, weniger zählen und noch weniger aus ihrer Zahl die Substanz seines damaligen Reichtums wissen und rechnen könnte. Was tät dieser liederliche Lumpus aber, da er den übermäßigen Anfall seines großen Glücks nicht erkannte? Er verfügte sich in eine Stadt und Festung der Bayern, über welche ehemalen der große Gustavus Adolphus die Zähne zusammengebissen, daß er sie nach so viel erhaltenen herrlichen Siegen ungewonnen mußte liegen lassen. Daselbst staffierte er sich heraus wie ein Freiherr und lebte täglich wie ein Prinz, der jährlich etliche Millionen zu verzehren hat. Er hielte zween Kutscher, zween Lakaien, zween Page, ein Kammerdiener in schöner Liberei, und nachdem er sich auch mit einer Kutschen und sechs schönen Pferden versehen, reiste er auch in die Hauptstadt desselbigen Landes über die Donau hinüber, allwo er in der besten Herberg einkehrte, die Zeit mit Essen, Trinken und täglichem Spazierenfahren[158] zubrachte und sich selbsten mit einem neuen Namen, nämlich den Obristen Lumpus nennete. Solches herrliche Leben währete ungefähr sechs Wochen, in welcher Zeit sein eigner und rechter Obrister, der General von Holtz, auch dorthin kam und eben in derselbigen Herberg einkehrte, weilen er ein sonderbares lustigs Zimmer darin hatte, in welchem er zu seiner Hinkunft zu logieren pflegte. Der Wirt sagte ihm gleich, daß ein fremder Kavalier sein gewöhnlich Logement einhätte, welchem er zu weichen nicht zumuten dörfte, weil er ein ansehenlich Stuck Geld bei ihm verzehrte. Dieser tapfere General war auch viel zu diskret, solches zu gestatten; demnach ihm aber besser als dem großen Atlante sowohl alle Weg und Steg, Wälder und Felder, Berge und Täler, Päß und Wasserflüsse, als auch alle adelige Familien des Römischen Reichs bekannt waren, als fragte er nur nach dieses Kavaliers Namen. Als er aber verstunde, daß er sich den Obristen Lumpus nennete und sich weder eines alten adeligen Geschlechts noch eines Soldaten von Fortun von solchem Namen zu erinnern wußte, bekam er ein Begierde, mit diesem Herrn zu konversiern und sich mit ihm bekannt zu machen. Er fragte den Wirt um seine Qualitäten; und da er verstunde, daß er zwar sehr gesellig, eines lustig Humeurs, gleichsam die Freigebigkeit selber, doch aber von wenig Worten wäre, wurde seine Begierde desto größer. Derowegen verfügte er mit dem Wirt, des Lumpi Konsens zu erhalten, daß er denselben Abend mit ihm über einer Tafel speisen möchte.

Der Herr Obriste Lumpus ließe ihm solches wohl gefallen und bei dem Konfekt in einer Schüssel 500 neue französische Pistolen und eine göldene Ketten von 100 Dukaten auftragen. ›Mit diesem Traktament‹, sagte er zu seinem Obristen, ›wollen Euer Exzellenz verliebnehmen und meiner dabei im besten gedenken!‹ Der von Holtz verwundert sich über dies Anerbieten und antwortet, daß er nicht wisse, womit er ein solch Präsent um den Herrn Obristen verdienet oder inskünftig würde verdienen können; derowegen wollte ihm nicht gebühren, solches anzunehmen. Aber Lumpus bat hingegen, er wollte ihn nicht verschmähen; er hoffte, [es] würde sich die Zeit bald ereignen, in deren Ihr Exzellenz selbst erkennen würden, daß er diese Verehrung zu tun obligiert sei, und alsdann verhoffe er hinwiederumb von Seiner Exzellenz eine Gnad zu erhalten, die zwar keinen Pfennig kosten würde, daraus er aber erkennen könnte, daß er diese Schenkung nit übel angelegt. Gleichwie nun dergleichen göldene Streich viel seltener ausgeschlagen als[159] jemanden versetzt werden, also wehrete sich auch der von Holtz nicht länger, sonder akzeptierte beides, Ketten und Geld (weil es Lumpes überein so haben wollte) mit courtoisen Promissen, solches auf begebende Fäll zu remeritiern.

Nach seiner Abreis verschwendete Lumpes immerfort; er passierte nie bei keiner Wacht vorüber, da er nicht der Soldateska, die ihme zu Ehren ins Gewehr stunde, ein Dutzet oder wenigst ein halb Dutzet Taler zuwarf; und also machte ers überall, wo er Gelegenheit hatte, sich als ein reicher Herr zu erzeigen. Alle Tag hatte er Gäst und zahlte auch alle Tag den Wirt aus, ohne daß er ihm jemals den geringsten Heller abgebrochen oder über eine allzu teure Rechnung sich beschwert hätte. Gleichwie aber ein Brunnen bald zu erschöpfen, also wurde er auch mit seiner Barschaft bald fertig, und zwar, wie ich schon erwöhnet, in sechs Wochen. Darauf versilbert er Kutschen und Pferd; das gieng auch bald hindurch. Endlich mußten seine stattliche Kleider sambt dem weißen Zeug daran. Das jagte er alles durch die Gurgel, und da seine Diener sahen, daß es auf der Neige war, nahmen sie nacheinander ihren Abschied, welche er auch gern passiern ließe. Zuletzt, da er nichts mehr hatte, als wie er gieng und stunde, nemblich in einem schlechten Kleid, ohne einigen Heller oder Pfenning, schenkte ihm der Wirt 50 Reichstaler (weil er so viel Geld bei ihm verzehret hatte) auf den Weg; er aber wiche nicht, bis solche auch allerdings wiederumb verzehret waren. Der Wirt, entweder daß er sich bei ihm wohl begraset oder ihn übernommen und sich deswegen ein Gewissen macht, oder anderer Ursachen halber, gab ihm wieder 25 Reichstaler mit Bitt, sich damit seines Wegs zu machen; aber er gieng nicht, bis er selbe auch verzehrt hatte. Und als er nun fertig war, schenkte ihm der Wirt wiederumb 10 Reichstaler zum Zehrpfennig auf den Weg; er aber antwortet, weil es Zehrgeld sein sollte, so wollte ers lieber bei ihm als einem andern verzehrn, hörete auch nit auf, bis solche wiederumb bis auf den letzten Heller hindurch waren, worüber sich der Wirt mit wunderlichen Gedanken ängstigte und ihm gleichwohl noch 5 Reichstaler gab, sich damit fortzumachen; und den er zuvor ›Ihr Gnaden‹ genennet und anfänglich untertänlich willkommen sein heißen, den mußte er damal dutzen, wollte er anders seiner los werden; dann als er sahe, daß er auch diese letztere 5 Reichstaler verzehren wollte, verbotte er seinem Gesinde, daß sie ihm weder eins nochs ander darvor geben sollten. Da er nun solchergestalt gezwungen, dasselbe Wirtshaus zu quittiern, siehe, da gieng er in ein anders[160] und verlöschte in demselbigen das noch übrige kleine Fünklein seines großen Schatzes folgents mit Bier. Folgents kam er wiederumb bei Heilbrunn zu seinem Regiment, allwo er alsobalden in die Eisen geschlossen und ihm vom Henken gesagt worden, weil er bei acht Wochen lang ohne Erlaubnus vom Regiment verblieben war. Wollte nun der gute Obriste Lumpes seiner Band und Eisen, wie auch der Gefahr des Stricks entübrigt sein, so mußte er sich wohl seinem Obristen, den er deswegen stattlich verehret, offenbaren, welcher ihn auch alsobalden von beiden befreien ließe, doch mit einem großen Verweis, daß er so viel Gelds so unnützlich verschwendet, worauf er anders nichts antwortet, als daß er zu seiner Entschuldigung sagte, er hätte alle sein Tag nichts mehrers gewünscht als zu wissen, wie einem großen Herrn zumut wäre, der alles genug hätte, und solches hätte er auf solche Weis durch seine Beut erfahren müssen.«

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 3, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 156-161.
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