Das XXIII. Kapitel.

Seines blinden Schwähers, der Schwiegermutter und seines Weibs wird Springinsfeld nacheinander wieder los.

[196] Wiewohl ich dieses Possens halber noch lang hernach grandige Grillen im Capitolio hatte, so war meine Leirerin dannoch so verschmitzt, listig und freundlich, daß sie mir endlich dieselbe nach und nach vertriebe; dann sie sagte, wann mir ja soviel daran gelegen wäre, so wollte sie mir gern vergönnen, ja selbst die Anstalt darzu machen, daß mir anderwärts eine Jungfrauschaft gleichsam wie im Raub zuteil werden müßte; aber das junge Rabenaas übertrieb und hielte mich so streng, daß ich anderer wohl vergaß; und eben diese ists, die mich gelernet hat, kein Tuch mehr zu einem Weib vor mich zu kaufen, wanngleich alle Tag Jahrmark wäre. Sie brachte es endlich auch dahin, daß ich beinahe der Knecht, sie und ihre Eltern aber die Herren[196] über mich waren, unangesehen ich so viel mit meiner Geigen, dem Taschenspiel und anderer Kurzweil zuwegen brachte, daß ich ein fettes Maulfutter und faule Täge ohne sie hätte haben mögen; überdas plagte mich die Eifersucht auch nicht wenig, weil ich vielmal mit meinen Augen sehen mußte, daß sie sich viel ausgelassener und geiler gegen den Kerlen herausließe, alss die Ehrbarkeit einer frommen Leirerin zuließe. Daß ich aber solches alles erdultet und mich endlich ganz und gar darein ergeben konnte, war die Ursach, daß ich meinem Alter nicht trauete, besorgende, dessen herannahente Gebrechlichkeiten möchten mich etwan in eine Krankheit werfen, in deren ich alsdann von aller Welt verlassen sein würde, wann ich dies mein ehrlich Weib und ihre ehrbare Freundschaft vorm Kopf stieße, welche gleichwohl bei 300 Reichstalern, das ich nur wußte, in Geld beisammen hatten, solches auf dergleichen Notfall anzuwenden. Ja was noch mehr ist, ich ließe endlich mein Weib als ein junges geiles Ding grasen gehen, wo es wollte, weil ich selbst nicht viel mehr möchte, und machte mir hingegen die faule Täge mit Essen und Trinken zunutz. Endlich verharret ich in diesem Spenglerleben, darin wir gar verträulich miteinander zu hausen anfiengen, daß ich zuletzt keiner Ehrbarkeit mehr achtete.

Indessen hatten wir Unter- und Oberösterreich, das Ländlin der Enns, das Erzbistum Salzburg und ein gut Teil von Bayern durchstrichen, allwo mir mein Schwähervatter an einem Schlagfluß erstickt; die Mutter folgt ihm hernach und ließe uns fünf elende Krüppel zu versorgen. Der älteste Sohn wollte Herr vor sich selbst sein und das Almosen allein suchen; das ließen ich und mein Weib gern geschehen. Zu den übrigen vieren aber hatten wir zwanzig Meister vor einen; es waren aber nur starke Bettlerinnen, die solche zu sich nahmen, das Almosen mit ihrer Armseligkeit einzutreiben. Wir ließen sie ihnen auch gern folgen, weil wir bedacht waren, unsere Nahrung nicht mehr unter dem Schein elender Bettler, sondern durch unser Saitenspiel zu gewinnen, welches reputierlicher zu sein schiene und meinem Weib, wie ich darvorhalte, auch besser zuschlug.

Derowegen ließe ich mich und sie ein wenig besser kleiden, nämlich auf die Mode, wie Leirergesindel aufzuziehen pflegt; auch bekam ich zu meiner Gaukeltaschen etliche Puppen, damit ich hin und wieder den Bauren ums Gelt ein angenehme Kurzweil machte; dann wir fiengen an und zogen nur den Jahrmärkten und Kirchweihen nach, welches unser Gelt nach und nach ziemlich vermehrte. Wir saßen einsmal beieinander im[197] Schatten an einem lustigen Gestatt eines stillen vorüberfließenden Wassers, nicht nur zu ruhen, sondern auch zu essen und zu trinken, was wir mit uns trugen; da machten wir Anschläg, wie wir auch einen Puppapper Kram mit einem Glückhafen, Trillstern, Würfel und Riemenspiel aufrichten wollten, um unsern Gewinn damit zu vermehren, dann wir hielten darvor, wann eins nicht abgieng, so gieng doch das ander. Unter solchem Gespräch sahe ich an dem Schatten oder Gegenschein eines Baums im Wasser etwas auf der Zwickgabel liegen, das ich gleichwohl auf dem Baum selbst nicht sehen konnte. Solches wiese ich meinem Weib wunderswegen. Als sie solches betrachtet und die Zwickgabel gemerkt, warauf solches lag, klettert sie auf den Baum und holet herunter, was wir im Wasser gesehen hatten. Ich sahe ihr gar eben zu und wurde gewahr, daß sie in demselben Augenblick verschwand, als sie das Ding, dessen Schatten wir im Wasser gesehen, in die Hand genommen hatte; doch sahe ich noch wohl ihre Gestalt im Wasser, wie sie nämlich den Baum wieder herunterkletterte und ein kleines Vogelnest in der Hand hielte, das sie vom Baum heruntergenommen hatte. Ich fragte sie, was sie vor ein Vogelnest hätte; sie hingegen fragte mich, ob ich sie dann sähe. Ich antwortet: ›Auf dem Baum sehe ich dich selbst nicht, aber wohl deine Gestalt im Wasser.‹ – ›Es ist gut!‹ sagte sie: ›wann ich hinunterkomm, so wirst du sehen, was ich habe.‹ Es kam mir gar verwunderlich vor, daß ich mein Weib sollte reden hören, die ich doch nicht sahe; und noch seltsamer wars, daß ich ihren Schatten an der Sonnen wandeln sahe und sie selbst nicht. Und da sie sich besser zu mir in den Schatten näherte, so daß sie selbst keinen Schatten mehr warf, weil sie sich nunmehr außerhalb dem Sonnenschein im Schatten befand, konnte ich gar nichts mehr von ihr mer ken, außer daß ich ein kleines Geräusch vernahm, das sie beides, mit ihren Fußtritten und ihrer Kleidung machte, welches mir vorkam, als wann ein Gespenst um mich herumer gewesen wäre. Sie setzte sich zu mir und gab mir das Nest in die Hand; sobald ich dasselbige empfangen, sahe ich sie wiederum, hingegen aber sie mich nicht. Solches probierten wir oft miteinander und befanden jedesmal, daß dasjenige, so das Nest in Händen hatte, ganz unsichtbar war. Darauf wickelt sie das Nestlein in ein Nasetüchlein, damit der Stein oder das Kraut oder Wurzel, welches sich im Nest befande und solche Wirkung an sich hatt, nicht herausfallen sollte und etwan verloren würde; und nachdem sie solches neben sich geleget, sahen wir einander wiederum wie zuvor, ehe sie auf den Baum gestiegen;[198] das Nest-Nastüchel sahen wir nicht, konnten es aber an demjenigen Ort wohl fühlen, wohin sie es geleget hatte.

Ich mußte mich über diese Sache, wie leicht zu gedenken, nicht wenig verwundern, als warvon ich mein Lebtage niemalen nichts gesehen noch gehöret; hingegen erzählte mir mein Weib, ihre Eltern hätten vielmal von einem Kerl gesagt, der ein solches Nest gehabt und sich durch dessen Kraft und Wirkung ganz reich gemacht hätte. Es wäre nämlich an Ort und Ende hingangen, da viel Gelt und Guts gelegen; das hätte er unsichtbarerweis hinweggeholet und ihm dar durch einen großen Schatz gesammlet; wann ich derowegen wollte, so könnte ich durch dies Kleinod unserer Armut auch zu Hülf kommen. Ich antwortete: ›Dies Ding ist mißlich und gefährlich, und möchte sich leicht schicken, daß sich irgends einer fände, der mehr als andere Leut sehen könnte, durch welchen alsdann einer ertappet und endlich an seinen allerbesten Hals aufgehenket werden möchte; ehe ich mich in eine solche Gefahr begeben und allererst in meinen alten Tagen wiederum aufs Stehlen legen wollte, so wollte ich ehender das Nest verbrennen.‹ Sobald ich dies gesagt und mein Weib solches gehöret hatte, erwischte sie das Nest, gieng etwas von mir und sagte: ›Du albere alte Hundsfut, du bist weder meiner noch dieses Kleinods wert, und es wäre auch immer schad, wann du anderster als in Armut und Bettelei dein Leben zubringen solltest. Gedenke nur nicht, daß du mich die Tage deines Lebens mehr sehen noch dessen, was mir dies Nest eintragen wird, genießen sollest!‹ Ich hingegen bat sie, wiewohl ich sie nicht sahe, sie wollte sich doch in keine Gefahr geben, sondern sich mit deme genügen lassen, das wir täglich vermittelst unsers Saitenspiels von ehrlichen Leuten erhielten; dabei wir gleichwohl keinen Hunger leiden dörften. Sie antwortet: ›Ja! ja! du alter Hosenscheißer, gehei dich nur hin und brühe deine Mutter etc.‹

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 3, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 196-199.
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