Das erste Kapitel.

Simplex, der Jäger, geht etwas zu weit

Wegen der Beuten auf die linke Seit.


Der günstige Leser wird in vorhergehendem Buch verstanden haben, wie ehrgeizig ich in Soest worden, und daß ich Ehre, Ruhm und Gunst in Handlungen suchte und auch gefunden, die sonst bei andern wären strafwürdig gewesen. Jetzt will ich erzählen, wie ich mich meine Torheit weiter verleiten lassen und dadurch in stetiger Leib- uud Lebensgefahr gelebet. Ich war (wie bereits erwähnet) so beflissen, Ehre und Ruhm zu erjagen, daß ich auch nicht davor schlafen konnte; und wann ich so Grillen hatte und manche Nacht lag, neue Fündichen und List zu ersinnen, hatte ich wunderliche Einfälle. Daher erfand ich eine Gattung Schuhe, die man das Hinderst zu vorderst anziehen konnte, also daß die Absätze unter den Zehen stunden. Deren ließe ich auf meinen Kosten bei dreißig unterschiedliche Paar machen, und wann ich solche unter meine Bursch austeilete und damit auf Partei gieng, wars unmüglich, uns auszuspüren; dann wir trugen bald diese und bald unsere rechte Schuhe an den Füßen und hingegen die übrige im Ranzen; und wann jemand an einen Ort kam, da ich die Schuhe verwechseln lassen, sahe es nicht anders in der Spure, als wann zwo Parteien allda zusammenkommen, auch miteinander wieder verschwunden wären. Behielt ich aber meine letzte Schuhe an, so sahe es, als ob ich erst hingangen wäre, wo ich schon gewesen, oder als ob ich von dem Ort herkäme, dahin ich erst gieng. So waren ohndas meine Gänge, wann es eine Spure hatte, viel verwirrter als in einem Irrgarten, also daß es denjenigen, die mich vermittelst der Spure hätten auskündigen oder sonst nachjagen sollen, unmüglich gefallen wäre, mich zu kriegen und in ihr Netz zu bringen. Ich war oft allernächst bei denen vom Gegenteil, die mich in der Fern sollten suchen, und noch öfters etliche Meil Wegs von demjenigen Busch, den sie jetzt umstelleten und durchstreiften, mich darin zu fangen. Und gleichwie ichs machte mit den Parteien[179] zu Fuß, also tät ich ihm auch, wann ich zu Pferd draußen war; dann das war mir nichts Seltsams, daß ich an Scheid-und Kreuzwegen unversehens absteigen und den Pferden die Eisen das Hinderst zu vörderst aufschlagen ließ. Die gemeine Vörtel aber, die man brauchet, wann man schwach auf Partei ist und doch vor stark aus der Spure judizieret, oder wann man stark ist und doch vor schwach gehalten werden will, waren mir so gemein, daß ich selbige zu erzählen nicht achte. Darneben erdachte ich ein Instrument, mit welchem ich bei Nacht, wann es windstill war, eine Trompete auf drei Stund Wegs von mir blasen, ein Pferd auf zwo Stunden schreien oder Hunde bellen, und auf eine Stunde weit die Menschen reden hören konnte, welche Kunst ich sehr geheimhielt und mir damit ein Ansehen machte, weil es bei jedermann unmüglich zu sein schien. Bei Tag aber war mir besagtes Instrument (welches ich gemeiniglich neben einem Perspektiv im Hosensack trug) nicht so viel nutz, es wäre dann an einem einsamen stillen Ort gewesen; dann man mußte von den Pferden und dem Rindvieh an bis auf den geringsten Vogel in der Luft oder Frosch im Wasser alles hören, was sich in der ganzen Gegend nur regte und eine Stimme von sich gab, welches dann nicht anderst lautete, als ob man sich (wie mitten auf einem Markt) unter viel Menschen und Tieren befände, deren jedes sich hören läßt, da man vor des einen Geschrei den andern nicht verstehen kann.

Ich weiß zwar wohl, daß auf diese Stunde Leute sein, die mir dieses nicht glauben, was ich jetzt erzählet habe; aber sie mögen es glauben oder nicht, so ists doch die Wahrheit. Ich will einen Menschen bei Nacht, der nur so laut redet, als seine Gewohnheit ist, an der Stimme durch ein solches Instrument erkennen, er sei gleich so weit von mir, als ihn einer durch ein Perspektiv bei Tag an den Kleidern erkennen mag. Ich kann aber keinen verdenken, wann er mir nicht glaubet, was ich jetzund schreibe; dann es wollte mir keiner glauben von denjenigen, die mit ihren Augen sahen, als ich mehr bedeut Instrument gebrauchte und ihnen sagte: »Ich höre Reuter reiten, dann die Pferde sein beschlagen; ich höre Bauren kommen, dann die Pferde gehen barfuß; ich höre Fuhrleute, aber es sind nur Bauren, ich kenne sie an der Sprache; es kommen Musketierer, ungefähr so viel, dann ich höre es am Gekläpper ihrer Bandelier; es ist ein Dorf um diese oder jene Gegend, ich höre die Hahnen krähen, Hunde bellen etc.; dort gehet eine Herde Vieh, ich höre Schafe bleken, Kühe schreien, Schweine grunzen, und so fortan. Meine eigene Kameraden hielten anfangs[180] diese Reden vor Possen, Torheiten und Aufschneiderei, und als sie im Werk befanden, daß ich jederzeit wahr sagte, mußte alles Zauberei und mir, was ich ihnen gesaget, vom Teufel und seiner Mutter offenbaret worden sein. Also, glaube ich, wird der günstige Leser auch gedenken. Nichtsdestoweniger bin ich dem Gegenteil hierdurch oftmals wunderlich und sehr artlich entronnen, wann er Nachricht von mir kriegte und mich aufzuheben kam; halte auch davor, wann ich diese Wissenschaft offenbaret hätte, daß sie seither sehr gemein worden wäre, weil sie denen im Krieg trefflich zustatten käme, sonderlich in Belägerungen, da die Belägerer und Belägerte ihnen solches zunutz machen könnten. Ich schreite aber zu meiner Histori.«

Wann ich nicht auf Partei dorfte, so gieng ich sonst aus zu stehlen, und dann waren weder Pferde, Kühe, Schweine noch Schafe in den Ställen vor mir sicher, welche ich auch etliche Meil Wegs holete; Rindviehe und Pferden wußte ich Stiefeln oder Schuhe anzulegen, bis ich sie auf eine gänge Straße brachte, damit man sie nicht spüren konnte. Alsdann schlug ich den Pferden die Eisen hinterst zuvörderst auf; oder wanns Küh und Ochsen waren, tät ich ihnen Schuh an, die ich dazu gemacht hatte, und brachte sie also in Sicherheit. Die große fette Schweinspersonen, die Faulheit halber bei Nacht nicht reisen mögen, wußte ich auch meisterlich fortzubringen, wann sie schon grunzten und nicht dranwollten; ich machte ihnen mit Mehl und Wasser einen wohlgesalzenen Brei, ließ solchen einen Baderschwamm in sich saufen, an welchen ich einen starken Bindfaden gebunden hatte, ließ nachgehends diejenige, um welche ich löffelte, den Schwamm voll Mus fressen und behielt die Schnur in der Hand, worauf sie ohn fernern Wortwechsel gedultig mitgiengen und mir die Zeche mit Schinken und Würsten bezahleten; und wann ich so was heimbrachte, teilete ich sowohl den Offizierern als meinen Kameraden getreulich mit. Dahero dorfte ich ein andermal wieder hinaus; und da mein Diebstahl verraten oder ausgekundschaftet ward, halfen sie mir hübsch durch. Im übrigen dünkte ich mich viel zu gut darzu sein, daß ich die Arme bestehlen oder Hühner fangen und andere geringe Sachen hätte mausen sollen. Dahero fieng ich an, nach und nach mit Fressen und Saufen ein epikurisch Leben zu führen, weil ich meines Einsiedlers Lehre vergessen und niemand hatte, der meine Jugend regierte oder auf den ich sehen dorfte; dann meine Offizierer machten selbst mit, wann sie bei mir schmarotzten; und die mich hätten strafen und abmahnen sollen, reizten mich vielmehr zu allen Lastern. Davon ward ich endlich so gottlos,[181] verwegen und verrucht, daß kein Schelmstück in der Welt war, welches zu begehen ich mich nicht unterstehen hätte dörfen. Zuletzt ward ich auch heimlich geneidet, zumal von meinen Kameraden, daß ich eine glücklichere Hand zu stehlen hatte als ein anderer, von meinen Offizierern aber, daß ich mich so toll hielt, glücklich auf Parteien handelte, und mir einen größern Namen und Ansehen machte, als sie selbst hatten. Ich halte auch gänzlich davor, daß mich ein ander Teil zeitlich aufgeopfert hätte, wann ich nicht so spendieret hätte.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 176-177,179-182.
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