Das fünfte Kapitel.

[96] Simplex lauft bottenweis wie Merkur, höret,

Was ihn der Jupiter von dem Krirg lehret.


Als nun Herzbruder wieder reuten konnte, übermachten wu unser Barschaft (dann wir hatten nunmehr nur ein Säckel miteinander) per Wechsel nach Basel, mondierten uns mit Pferden und Dienern und begaben uns die Donau hinauf nacher Ulm und von dannen in den obgesagten Sauerbrunnen, weil es eben im Mai und lustig zu reisen war. Daselbst dingten wir eir Losament, ich aber ritte nach Straßburg, unser Gelt, welches wir von Basel aus dorthin übermachet, nicht allein zum Teil zu empfangen, sondern auch mich um erfahrne Medicos umzusehen, die Herzbrudern Recepta und Badordnung vorschreiben sollten. Dieselben begaben sich mit mir und befanden, daß Herzbrudern vergeben worden; und weil das Gift nicht stark genug gewesen, ihn gleich hinzurichten, daß solches ihm in die Glieder geschlagen wäre, welches wieder durch Pharmaca, Antidota, Schweißbäder evacuieret werden müßte, und würde sich solche Kur auf ungefähr eine Woche oder acht belaufen. Da erinnerte sich Herzbruder gleich, wann und durch wen ihm wäre vergeben worden, nämlich durch diejenige, die gern seine Stelle im Krieg betretten hätten; und weil er auch von den Medicis verstunde, daß seine Kur eben keinen Sauerbrunn erfordert hätte, glaubte er festiglich, daß sein Medicus im Feld durch ebendieselbe seine Aemulos mit Gelt bestochen worden, ihn so weit hinwegzuweisen: jedoch resolvierte er sich, im Saurbrunn seine Kur zu vollenden, weil es nicht allein eine gesunde Luft, sondern auch allerhand anmutige Gesellschaften unter den Badgästen hatte.[96]

Solche Zeit mochte ich nicht vergeblich hinbringen, weil ich eine herzliche Begierd hatte, dermalen eins mein Weib auch wiederum zu sehen; und weil Herzbruder meiner nicht sonderlich vonnöten, eröffnete ich ihm mein Anliegen. Der lobte meine Gedanken und gab mir den Rat, ich sollte mich ja weiters nichts abhalten lassen, sondern sie je eher je besser besuchen, gab mir auch etliche kostbare Kleinodien, die ich ihr seinetwegen verehren und sie damit um Verzeihung bitten sollte, daß er ein Ursache gewesen sei, daß ich sie nicht ehender besuchet. Also ritt ich nach Straßburg und machte mich nicht allein mit Geld gefaßt, sondern erkundigte auch, wie ich meine Reise anstellen möchte, daß ich am sichersten fortkäme, befand aber, daß es so alleinzig zu Pferde nicht geschehen könne, weilen es zwischen so vielen Garnisonen der beiderseits kriegenden Teilen von den Parteien ziemlich unsicher war; erhielt derowegen einen Paß vor einen Straßburger Bottenläufer und machte etliche Schreiben an mein Weib, ihre Schwester und Eltern, als wann ich ihn damit nach L. schicken wollte, stellete mich aber, als wann ich wieder andern Sinns wäre worden, erpraktizierte also den Paß vom Botten, schickte meine Pferd und Diener wieder zurück, verkleidete mich in eine weiße und rote Liberei und fuhr also in einem Schiff hin und bis nach Köln, welche Stadt damals zwischen den kriegenden Parteien neutral war.

Ich gieng zuvorderst hin, meinen ehemals bekannten Jovem zu besuchen, der mich hiebevor zu seinem Ganymede erkläret hatte, um zu erkundigen, wie es mit meinen hinterlegten Sachen eine Bewandnüs hätte. Der war aber damals wiederum ganz hirnschellig und unwillig über das menschliche Geschlecht. »O Mercuri,« sagte er zu mir, als er mich sahe, »was bringst du Neues von Münster? vermeinen die Menschen wohl ohn meinen Willen Friede zu machen? Nimmermehr! Sie hatten ihn, warum haben sie ihn nicht behalten? Giengen nicht alle Laster im Schwang, als sie mich bewegten, ihnen den Krieg zu senden? womit haben sie seithero verdienet, daß ich ihnen den Frieden wiedergehen sollte? haben sie sich dann selbigerzeit her bekehret? seind sie nicht ärger worden und selbst mit in Krieg geloffen wie zu einer Kirchmeß? oder haben sie sich vielleicht wegen der Teurung bekehret, die ich ihnen zugesandt, darin so viel tausend Seelen Hungers gestorben? Oder hat sie vielleicht das grausame Sterben erschröcket (das so viel Millionen hingerafft), daß sie sich gebessert? Nein, nein, Mercuri, die übrig verbliebene, die den elenden Jammer mit ihren Augen angesehen, haben sich nicht allein nicht gebessert, sondern[97] seind viel ärger worden, als sie zuvor jemals gewesen! Haben sie nun sich wegen so vieler scharfen Heimsuchungen nicht bekehret, sondern unter so schwerem Kreuz und Trübsal gottlos zu leben nicht aufgehöret was werden sie dann erst tun, wann ich ihnen den wohl-lustbarlichen goldenen Frieden wieder zusendete? Ich müßte sorgen, daß sie mir, wie hiebevor die Riesen getan, den Himmel abzustürmen unterstehen würden. Aber ich will solchem Mutwillen wohl beizeit steuren und sie im Krieg eine gute Zeit kümmerlich genug hocken lassen.«

Weil ich nun wußte, wie man diesen Gott lausen mußte, wann man ihn recht stimmen wollte, sagte ich: »Ach großer Gott, es seufzet aber alle Welt nach dem Friede und versprechen eine große Besserung, warum wolltest du ihnen dann solchen noch länger verweigern können?« – »Ja, ja!« antwortete Jupiter, »sie seufzen wohl, aber nicht meinet-, sondern umb ihrentwillen; nicht daß jeder unter seinem Weinstock und Feigenbaum Gott loben, sondern daß sie deren edle Früchte mit guter Ruhe und in aller Wollust genießen möchten. Ich fragte neulich einen grindigen Schneider, ob ich den Frieden geben sollte? Aber er antwortete mir, was er sich darum geheie, er müsse sowohl zu Kriegs- als Friedenszeiten mit der stählernen Stange fechten. Eine solche Antwort kriegte ich auch von einem Rotgießer, der sagte, wann er im Friede keine Glocken zu gießen hätte, so hätte er im Krieg genug mit Stücken und Feurmörseln zu tun. Also antwortete mir auch ein Schmied und sagte: ›Habe ich keine Pflüge und Baurenwägen im Krieg zu beschlagen, so kommen mir jedoch genug Reuterpferde und Heerwägen unter die Hände, also daß ich des Friedens wohl entbehren kann.‹ Siehe nun, lieber Mercuri, warumb sollte ich ihnen dann den Frieden verleihen? Ja, es sind zwar etliche, die ihn wünschen, aber nur, wie gesagt, um ihres Bauchs Wollust und guten Gemachs willen; hingegen aber sind auch andere, die den Krieg behalten wollen, nicht zwar weil es mein Wille ist, sondern weil er ihnen eintraget. Und gleichwie die Mäurer und Zimmerleute den Frieden wünschen, damit sie in Auferbauung und Reparierung der eingeäscherten Häuser Geld verdienen, also verlangen andere, die sich im Friede mit ihrer Hand Arbeit nicht zu ernähren getrauen, die Kontinuation des Kriegs, in selbigem zu stehlen.«

Weilen dann nun mein Jupiter mit diesen Sachen umgieng, konnte ich mir leicht einbilden, daß er mir in solchem verwirrten Stand von dem Meinigen wenig Nachricht würde geben können, entdeckte mich ihm derhalben nicht, sondern nahm meinen Kopf zwischen die Ohren und gieng durch Abwege, die mir dann alle[98] wohl bekannt waren, nach L., fragte daselbst nach meinem Schwähervatter allerdings wie ein fremder Botte und erfuhr gleich, daß er samt meiner Schwieger bereits vor einem halben Jahr diese Welt gesegnet, und dann daß meine Liebste, nachdem sie mit einem jungen Sohn niederkommen, den ihre Schwester bei sich hätte, gleichfalls stracks nach ihrem Kindbette diese Zeitlichkeit verlassen. Darauf lieferte ich meinem Schwager diejenige Schreiben, die ich selbst an meinen Schwäher, an meine Liebste und an ihn, meinen Schwager, geschrieben; derselbe nun wollte mich selbst herbergen, damit er von mir als einem Botten erfahren könnte, was Standes Simplicius sei und wie ich mich verhielte. Zu dem Ende diskurrierte meine Schwägerin lang mit mir von mir selbsten, und ich redete auch von mir, was ich nur Löbliches von mir wußte, dann die Urschlechten hatten mich dergestalt verderbt und verändert, daß mich kein Mensch mehr kannte außer der von Schönstein, welcher aber als mein getreuster Freund reinen Mund hielt.

Als ich ihr nun nach der Länge erzählete, daß Herr Simplicius viel schöner Pferde und Diener hätte, in großem Ansehen wäre und in einem schwarzen sammeten Mutzen aufzöge, der überall mit Gold verbrämt wäre, sagte sie: »Ja, ich habe mir jederzeit eingebildet, daß er keines so schlechten Herkommens sei, als er sich davor ausgeben. Der hiesige Kommandant hat meine Eltern sel. mit großen Verheißungen persuadiert, daß sie ihm meine Schwester sel., die wohl eine fromme Jungfer gewesen, ganz vortelhaftigerweise aufgesattelt, davon ich niemalen ein gutes Ende habe hoffen können; nichtsdestoweniger hat er sich wohl angelassen und resolviert, in hiesiger Garnison schwedische oder vielmehr hessische Dienste anzunehmen, maßen er zu solchem Ende seinen Vorrat, was er zu Köln gehabt, hieher holen wollen, das sich aber gesteckt, und er darüber ganz schelmischerweise in Frankreich praktiziert worden, meine Schwester, die ihn noch kaum vier Wochen gehabt, und sonst noch wohl ein halb Dutzet Bürgerstöchter schwanger hinterlassend; wie dann eine nach der andern (und zwar meine Schwester am allerletzten) mit lauter jungen Söhnen niederkommen. Weil dann nunmehr mein Vatter und Mutter tot, ich und mein Mann aber keine Kinder miteinander zu hoffen, haben wir meiner Schwester Kind zum Erben aller unser Verlassenschaft angenommen und mit Hülfe des hiesigen Herrn Kommandanten seines Vatters hab zu Köln erhoben, welches sich ungefähr auf 3000 Gülden belaufen möchte, daß also dieser junge Knab, wann er einmal zu seinen Jahren kommt, sich unter die Arme zu rechnen keine Ursache haben wird. Ich[99] und mein Mann lieben das Kind auch so sehr, daß wirs seinem Vatter nicht ließen, wannschon er selbst käme und ihn abholen wollte; überdas, so ist er der Schönste unter allen seinen Stiefbrüdern und siehet seinem Vatter so gleich, als wann er ihm aus den Augen geschnitten wäre; und ich weiß, wann mein Schwager wüßte, was er vor einen schönen Sohn hier hätte, daß er ihm nicht abbrechen könnte, hieherzukommen (da er schon seine übrige Hurenkinder scheuen möchte), nur das liebe Herzchen zu sehen.«

Solche und dergleichen sehr viel andere Sachen brachte mir meine Schwägerin vor, woraus ich ihre Liebe gegen meinem Kind leicht spüren können, welches dann dort in seinen ersten Hosen herumlief und mich im Herzen erfreuete. Derhalben suchte ich die Kleinodien herfür, die mir Herzbruder geben, solche seinetwegen meinem Weib zu verehren; dieselbige (sagte ich) hätte mir Herr Simplicius mitgeben, seiner Liebsten zum Gruß einzuhändigen; weil aber selbige tot wäre, schätzte ich, es wäre billig, daß ich sie seinem Kind hinterließe, welche mein Schwager und seine Frau mit Freuden empfiengen und daraus schlossen, daß ich an Mitteln keinen Mangel haben, sondern viel ein ander Gesell sein müßte, als sie sich hiebevor von mir eingebildet. Mithin drang ich auf meine Abfertigung, und als ich dieselbe bekam, begehrete ich im Namen Simplicii den jungen Simplicium zu küssen, damit ich seinem Vatter solches als ein Wahrzeichen erzählen könnte. Als es nun auf Vergünstigung meiner Schwägerin geschahe, fieng beides, mir und dem Kind, die Nase an zu bluten, darüber mir das Herz hätte brechen mögen; doch verbarg ich meine Affekten, und damit man nicht Zeit haben möchte, der Ursache dieser Sympathiae nachzudenken, machte ich mich stracks aus dem Staub und kam nach vierzehn Tagen durch viel Mühe und Gefahr wieder in Bettlersgestalt in Saurbrunn, weil ich unterwegs ausgeschotet worden.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 96-100.
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