Das zwölfte Kapitel.

[210] Simplex noch weiter am heimlichen Ort

Seine Red mit dem Schermesser führt fort.


»Den nächsten Marktag trug mich mein Herr in ein Zimmer, welches man eine Faß- oder Packkammer nennet; da ward ich geschauet, vor gerechte Kaufmannsware erkannt und abgewogen, folgends einem Fürkäufler verhandelt, verzollet, auf einen Wagen verdingt, nach Straßburg geführet, ins Kaufhaus geliefert, abermals geschauet, vor gut erkannt, verzollet und einem Kaufherrn verkauft, welcher mich durch die Kärchelzieher[210] nach Haus führen und in ein sauber Zimmer aufheben ließ, bei welchem Aktu mein gewesener Herr, der Hänfer, den zehenden, der Hanfschauer den eilften, der Wäger den zwölften, der Zöller den dreizehenden, der Vorkäufler den vierzehenden, der Fuhrmann den funfzehenden, das Kaufhaus den sechzehenden, und die Kärchelzieher, die mich dem Kaufmann heimführeten, den siebenzehenden Gewinn bekamen. Dieselbe nahmen auch mit ihrem Lohn den achtzehenden Gewinn hin, da sie mich auf ihren Kärchen zu Schiff brachten, auf welchem ich den Rhein hinunter bis nach Zwoll gebracht ward, und ist mir unmüglich, alles zu erzählen, wer alls unterwegs sein Gebühr an Zöllen und anderen, und also auch einen Gewinn von meinetwegen empfangen; dann ich war dergestalt eingepackt, daß ichs nicht wissen konnte.

Zu Zwoll genoß ich wiederum eine kurze Ruhe; dann ich ward daselbsten von der mittlern oder engeländischen Ware ausgesondert, wiederum von neuem anatomiert und gemartert, in der Mitten voneinander gerissen, geklopft und gehechelt, bis ich so rein und zart ward, daß man wohl reiner Ding als Klosterzwirn aus mir hätte spinnen mögen. Darnach ward ich nach Amsterdam gefertiget, alldorten gekauft und verkauft und dem weiblichen Geschlecht übergeben, welche mich auch zu zartem Garn machten und mich unter solcher Arbeit gleichsam alle Augenblicke küßten und leckten, also daß ich mir einbilden müßte, alles mein Leiden würde dermaleins seine Endschaft erreichet haben; aber kurz darnach ward ich gewaschen, gewunden, dem Weber unter die Hände geben, gespult, mit einer Schlicht gestrichen, an Weberstuhl gespannet, gewebet und zu einem feinen holländischen Leinwad gemachet, folgends gebleicht und einem Kaufherrn verkauft, welcher mich wiederum ellenweis verhandelte. Bis ich aber so weit kam, erlitte ich viel Abgang. Das erste und gröbste Werk, so von mir abgieng, ward zu Lunden gesponnen, in Kühedreck gesotten und hernach verbrannt. Aus dem andern Abgang spannen die alte Weiber ein grobes Garn, welches zu Zwilch und Sacktaffet gewebet ward; der dritte Abgang gab ein ziemlich grobes Garn, welches man Bärtleingarn nennet und doch vor Hänfin verkauft ward; aus dem vierten Abgang ward zwar ein feiner Garn und Tuch gemachet, es mochte mir aber nicht gleichen, geschweige jetzt der gewaltigen Säuler, die aus meinen Kameraten, den andern Hanfstengelen, daraus man Schleißhanf machte, zugerichtet wurden, also daß mein Geschlecht den Menschen trefflich nutz, ich auch beinahe nicht erzählen kann, was ein und anders vor Gewinn von denselbigen[211] schöpfet. Den letzten Abgang litte ich selbst, als der Weber ein paar Knäul Garn von mir nach den diebischen Mäusen warf.

Von obgemeldtem Kaufherrn erhandelte mich eine Edelfrau, welche das ganze Stück Tuch zerschnitte und ihrem Gesind zum Neuen Jahr verehrete. Da ward derjenige Partikul, davon ich mehrenteils meinen Ursprung habe, der Kammermagd zuteil, welche ein Hemd daraus machte und trefflich mit mir prangte. Da erfuhr ich, daß es nicht alle Jungfer seind, die man so nennet; dann nicht allein der Schreiber, sondern auch der Herr selbsten wußten sich bei ihr zu behelfen, weil sie nicht häßlich war. Solches hatte aber die Länge keinen Bestand, dann die Frau sahe einsmals selbsten, wie ihre Magd ihre Stelle vertratt; sie bollerte aber deswegen darum nit so gar greulich, sondern tät als eine vernünftige Dame, zahlte ihre Magd aus und gab ihr einen freundlichen Abschied. Dem Junker aber gefiel es nicht beim besten, daß ihm solch Fleisch aus den Zähnen gezogen ward, sagte derowegen zu seiner Frau, warum sie diese Magd abschaffe, die doch ein so hurtig, geschicktes und fleißiges Mensch sei. Sie aber antwortete: ›Lieber Junker, seid nur unbekümmert, ich will hinfort ihre Arbeit schon selber versehen.‹

Hierauf begab sich meine Jungfer mit ihrer Bagage, darunter ich ihr bestes Hemd war, in ihre Heimat nach Cammerich und brachte einen ziemlichen schweren Beutel mit sich, weil sie vom Herrn und der Frau ziemlich viel verdienet und solchen ihren Lohn fleißig zusammengesparet hatte. Daselbst fand sie keine so fette Küchen, als sie eine verlassen müssen, aber wohl etliche Buhler, die sich in sie vernarreten und ihr beides, zu wäschen und zu nähen, brachten, weil sie eine Profession daraus machte und sich damit zu ernähren gedachte. Unter solchen war ein junger Schnauzhahn, dem sie das Seil über die Hörner warf und sich vor ein Jungfer verkaufte. Die Hochzeit ward gehalten; weil aber nach verflossenem Küßmonat gnugsam erschien, daß sich bei jungen Eheleuten das Vermügen und Einkommen nit so weit erstrecke, sie zu unterhalten, wie sie bisher bei ihren Herrn gewohnet gewesen, zumalen eben damal im Land von Lützemburg Mangel an Soldaten erschiene; als ward meiner jungen Frau ihr Mann ein Kornett, vielleicht deswegen, weil ihm ein anderer den Raum abgehoben und Hörner aufgesetzet hatte. Damal fieng ich an, ziemlich dürr und brechhaftig zu werden; derowegen zerschnitte mich meine Frau zu Windeln, weil sie ehistens eines jungen Erben gewärtig[212] wär. Von demselbigen Bankart ward ich nachgehends, als sie genesen, täglich verunreinigt und ebensooft wieder ausgewaschen, welches uns dann endlich so blöd machte, daß wir hierzu auch nichts mehr taugten und derowegen von meiner Frau gar hingeworfen, von der Wirtin im Haus aber, welche gar eine gute Haushalterin war, wieder aufgehoben, ausgewäschen und zu andern dergleichen alten Lumpen auf die obere Bühne geleget. Daselbst mußten wir verharren, bis ein Kerl von Spinal kam, der uns von allen Orten und Enden her versammlete und mit sich heim in eine Papiermühle führete. Daselbst wurden wir etlichen alten Weibern übergeben, die uns gleichsam zu lauter Streichpletzen zerrissen, allwo wir dann mit einem rechten Jammergeschrei unser Elend einander klagten. Damit hatte es aber darum noch kein Ende, sondern wir wurden in der Papiermühle gleich einem Kinderbrei zerstoßen, daß man uns wohl vor keinen Hanf oder Flachsgewächs mehr hätte erkennen mögen, ja endlich eingebeizt, in Kalch und Alaun und gar in Wasser zerflöst, also daß man wohl von uns mit Wahrheit hätte sagen können, wir sein ganz vergangen gewesen. Aber unversehens ward ich zu einem feinen Bogen Schreibpapier kreiert, durch andere mehr Arbeiten neben anderen meinen Kameraden mehr erstlich in ein Buch, endlich in ein Riß und alsdann ererst wieder unter die Presse gefördert, zuletzt zu einen Ballen gepackt und die einstehende Messe nach Zurzach gebracht, daselbst einem Kaufmann von Zürch verhandelt, welcher uns nach Haus brachte und dasjenige Riß, darin ich mich befand, einem Faktor oder Haushalter eines großen Herrn wiederverkaufte, der ein groß Buch oder Journal aus mir machte. Bis aber solches geschahe, gieng ich den Leuten wohl sechsunddreißigmal durch die Hände, seither ich ein Lump gewesen.

Dieses Buch nun, worin ich als ein rechtschaffner Bogen Papier auch die Stelle zweier Blätter vertrat, liebte der Faktor so hoch als Alexander Magnus den Homerum; es war sein Virgilius, darin Augustus so fleißig studiert, sein Oppianus, darin Antonius, Kaisers Severi Sohn, so emsig gelesen, seine Commentarii Plinii Junioris, welche Largius Licinus so wert gehalten, sein Tertullianus, den Cyprianus allezeit in Händen gehabt, seine Paedia Cyri, welche ihm Scipio so gemein gemachet: sein Philolaus Pythagoricus, daran Plato so großen Wohlgefallen getragen, sein Speusippus, den Aristoteles so hoch geliebet, sein Cornelius Tacitus, der Kaiser Tacitum so höchlich erfreuet, sein Comminäus, den Carolus Quintus vor allen Skribenten hochgeachtet, und in Summa[213] Summarum seine Bibel, darin er Tag und Nacht studierete, zwar nicht deswegen, daß die Rechnung aufrichtig und just sein, sondern daß er seine Diebsgriffe bemänteln, seine Untreue und Bubenstücke bedecken und alles dergestalt setzen möchte, daß es mit dem Journale übereinstimme.

Nachdem nun bemeldtes Buch überschrieben war, ward es hingestellet, bis Herr und Frau den Weg aller Welt giengen, und damit genosse ich eine ziemliche Ruhe. Als aber die Erben geteilet hatten, ward das Buch von denselben zerrissen und zu allerhand Packpapier gebraucht, bei welcher Okkasion, ich zwischen einen verbrämten Rock geleget ward, damit beides, Zeug und Possamenten, keinen Schaden litten, und also ward ich hiehergeführet und nach der Wiederauspackung an diesen Ort kondemniert, den Lohn meiner dem menschlichen Geschlecht treugeleisten Dienste mit meinem endlichen Untergang und Verderben zu empfangen, wovor du mich aber wohl erretten könntest.«

Ich antwortete: »Weil dein Wachstum und Fortzielung aus Feistigkeit der Erde, welche durch die Excrementa der Animalien erhalten werden muß, ihren Ursprung, Herkommen und Nahrung empfangen, zumalen du auch ohndas solcher Materi gewohnet und, von solchen Sachen zu reden, ein grober Gesell bist, so ist billig, daß du wieder zu deinem Ursprung kehrest, worzu dich dann auch dein eigner Herr verdammt hat.« Damit exequierte ich das Urtel; aber das Schermesser sagte: »Gleichwie du jetzunder mit mir prozedierest, also wird auch der Tod mit dir verfahren, wann er dich nämlich wieder zur Erden machen wird, davon du genommen worden bist, und davor wird dich nichts fristen mögen, wie du mich vor diesmal hättest erhalten können.«

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 210-214.
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