Das zweite Kapitel.

[174] Simplex meldt Luzifers ganzes Verhalten,

Als er vom teutschen Fried Zeitung erhalten.


Wir lesen, daß vorzeiten bei denen Gott ergebenen heiligen Gliedern der christlichen Kirche die Mortifikation oder Abtödung des Fleisches vornehmlich in Beten, Fasten und Wachen bestanden; gleichwie nun aber ich mich der ersten beiden Stücke wenig beflisse, also ließe ich mich auch die süßte Betöberung des Schlafs stracks überwinden, sooft mir nur zugemutet ward, solche Schuldigkeit (das wir dann mit allen Tieren gemein haben) der Natur abzulegen. Einsmals faulenzte ich unter einer Tanne im Schatten und gab meinen unnützen Gedanken Gehör, die mich fragten, ob der Geiz oder die Verschwendung das größte oder ärgste Laster seie. Ich habe gesagt: meinen unnützen Gedanken; und das sage ich noch! Dann, Lieber, was hatte ich mich um die Verschwendung zu bekümmern, da ich doch nichts zu verschwenden vermochte? und was gieng mich der Geiz an, in dem mein Stand, den ich mir selbst freiwillig erwählet, von mir erforderte, in Armut und Dürftigkeit zu leben? Aber o Torheit, ich war dannoch so hart verbeißt, solches zu wissen, daß ich mir dieselbige Gedanken nicht mehr ausschlagen konnte, sondern darüber einschlummerte. Womit einer wachend handieret, damit pflegt einer gemeiniglich auch traumend vexiert zu werden, und solches widerfuhr mir damals auch; dann sobald ich die Augen zugetan hatte, sahe ich in einer tiefen abscheulichen Klingen das höllische Heer und unter denenselben den Großfürsten Luzifer zwar auf seinem Regimentsstuhl sitzen, aber mit einer Ketten angebunden, daß er seines Gefallens in der Welt nicht wüten könnte: die viele der höllischen Geister, mit denen er umgeben, begnügten durch ihr fleißiges Aufwarten die Größe seiner höllischen Macht. Als ich nun dieses Hofgesind betrachtete, kam unversehens ein schneller Postillion durch die Luft geflogen, der ließ sich vorm Luzifer nieder und sagte: »O großer Fürst, der geschlossene teutsche Friede hat beinahe ganz Europam wiederum in Ruhe gesetzt. Das Gloria in Excelsis und Te Deum Laudamus erschallet allerorten gen Himmel, und jedermann wird sich befleißen, unter seinem Weinstock und Feigenbaum hinförder Gott zu dienen.«

Sobald Luzifer diese Zeitung kriegte, erschrak er anfänglich ja so sehr, als heftig er den Menschen solche Glückseligkeit mißgönnet. Indem er sich aber wieder ein wenig erholete und[174] bei ihm selbst erwug, was vor Nachteil und Schaden sein höllisches Reich am bishero gewohnten Interesse leiden müßte, griesgramete er schröcklich; er knarpelte mit den Zähnen so greulich, daß er weit und breit förchterlich zu hören war, und seine Augen funkelten so grausam vor Zorn und Ungedult, daß ihm schwefelichte Feuerflammen gleichsam wie der Blitz herausschlugen und seine ganze Wohnung erfülleten; also daß sich nicht allein die arme verdammte Menschen und geringe höllische Geister, sondern auch seine vornehmste Fürsten und geheimste Räte selbst davor entsatzten. Zuletzt lief er mit den Hörnern wider die Felsen, daß die ganze Hölle davon zitterte, und fieng dergestalt an zu wüten und toben, daß die Seinige sich nichts anders einbilden konnten, als er würde entweder gar abreißen oder ganz toll und töricht werden, maßen sich eine Zeitlang niemand erkühnen dorfte, zu ihm zu nahen, weniger ein einziges Wörtlein mit ihm zu sprechen.

Endlich ward Belial so keck und sagte: »Großmächtiger Fürst! was seind das vor Gebärden von einer solchen unvergleichlichen Hochheit? Wie? Hat der größte Herr seiner selbsten vergessen? oder was soll uns doch diese ungewöhnliche Weise bedeuten, die Euerer herrlichen Majestät weder nutzlich noch rühmlich sein kann?« – »Ach!« antwortete Luzifer, »ach! ach, wir haben allesamt verschlafen und durch unsere eigene Faulheit zugelassen, daß lerna malorum, unser liebstes Gewächs, das wir auf dem ganzen Erdboden hatten und mit so großer Mühe gepflanzet, mit so großem Fleiß erhalten und die Früchte davon jeweils mit so großem Wucher eingesammlet, nunmehr aus den teutschen Grenzen gereutet, auch, wann wir nicht anders darzutun, besorglich aus ganz Europa geworfen wird! Und gleichwohl ist keiner unter euch allen, der solches recht beherzige! Ist es uns nit allen eine Schande, daß wir die wenige Täglin, welche die Welt noch vor sich hat, so liederlich verstreichen lassen? Ihr schläferige Maulaffen, wisset ihr nicht, daß wir in dieser letzten Zeit unsere reicheste Ernde haben sollen? Das ist mir gegen dem Ende der Welt auf Erden schön dominieret, wann wir wie die alten Hunde zur Jagt verdrossen und untüchtig werden wollen. Der Anfang und Fortgang des Kriegs sahe unserm verhofften fetten Schnitt zwar gleich; was haben wir aber jetzt zu hoffen, da Mars Europam bis auf Polen quittiert, dem lerna malorum auf dem Fuß nachzufolgen pfleget?«

Als er diese Meinung vor Bosheit und Zorn mehr herausgedonnert als geredet hatte, wollte er die vorige Wut wieder angehen; aber Belial machte, daß er sichs noch enthielt, da er[175] sagte: »Wir müssen deswegen den Mut nicht sinken lassen noch sich gleich stellen wie die schwachen Menschen, die ein widerwärtiger Wind anbläset. Weißt du nit, o großer Fürst, daß mehr durch den Wein als durchs Schwerd fallen? Sollte dem Menschen, und zwar den Christen, ein geruhiger Friede, welcher die Wollust auf dem Rucken mit sich bringet, nit schädlicher sein als der Mars? Ist nicht gnug bekannt, daß die Tugenden der Braut Christi nie heller leuchten, als mitten in höchstem Trübsal?« – »Mein Wunsch und Wille aber ist,« antwortete Luzifer, »daß die Menschen sowohl in ihrem zeitlichen Leben in lauter Unglück als nach ihrem Hinsterben in ewiger Qual sein sollen; dahingegen unsere Saumsal endlich zugeben wird, daß sie zeitliche Wohlfahrt genießen und endlich darzu die ewige Seligkeit besitzen werden.« – »Ha!« antwortete Belial, »wir wissen ja beide meine Profession, vermittelst deren ich wenig Feiertäge halten, sondern mich dergestalt tummlen werde, deinen Willen und Wunsch zu erlangen, daß lerna malorum noch länger bei Europa verbleiben oder doch diese Dam andere Kletten ins Haar kriegen soll; allein wird deine Hochheit auch bedenken, daß ich nichts erzwingen kann, wann ihr das Numen ein anders gönnet.«

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 174-176.
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