Das siebzehnte Kapitel.

[56] Simplex im Rauben andächtiger ist,

Als wann Olivier in der Kirch liest.


Am Morgen gegen Tag sagte Olivier: »Auf, Simplici! wir wollen in Gottes Namen hinaus, zu sehen, was etwan zu bekommen sein möchte.« – »Ach Gott!« gedachte ich, »soll ich dann nun in deinem hochheiligen Namen auf die Rauberei gehen? und bin hiebevor, nachdem ich von meinem Einsiedel kam, nit so kühn gewesen, ohn Erstaunen zuzuhören, wann einer zum andern sagte: ›Komm, Bruder, wir wollen in Gottes Namen ein Maß Wein miteinander saufen!‹, weil ichs vor eine doppelte Sünde hielt, wann einer in deinem Namen sich vollsöffe. O himmlischer Vatter, wie habe ich mich verändert! O getreuer Gott, was wird endlich aus mir werden, wann ich nicht wieder umkehre? Ach hemme meinen Lauf, der mich so richtig zur Hölle bringet, da ich nicht aufhöre und Buße tue!« Mit dergleichen Worten und Gedanken folgete ich Olivier in ein Dorf, darin keine lebendige Kreatur war; da stiegen wir des fernen Aussehens halber auf den Kirchturn, und uns der heilige Ort anstatt eines Raubschlosses zur Mördergruben dienen mußte. Auf demselben hatte er die Strümpfe und Schuhe verborgen, die er mir den Abend zuvor versprochen, darneben zwei Laib Brad, etliche Stücke gesotten Dörrfleisch und ein Fäßlein halb voll Wein im Vorrat, mit welchem er sich allein gern acht Tag hätte behelfen können. Indem ich nun meine Verehrung anzog, erzählete er mir, daß er an diesem Ort pflege aufzupassen, wann er eine gute Beute zu holen gedächte, deswegen er sich dann so wohl proviantieret mit dem Anhang, daß er noch etliche solcher vorteilhaftiger Örter hätte, die mit Speis und Trank versehen wären, damit, wann Bläsi an einem Ort nicht zu Haus wäre, er ihn[56] am andern finden könnte. Ich mußte zwar seine Klugheit loben, gab ihm aber zu verstehen, daß es doch nicht schön stünde, einen so heiligen Ort, der Gott gewidmet sei, dergestalt zu beflecken. »Was,« sagte er, »beflecken? die Kirchen, da sie reden könnten, würden gestehen, daß sie dasjenige, was ich in ihnen begehe, gegen denen Lastern, so hiebevor in ihnen begangen worden, noch vor gar gering aufnehmen müßten. Wie mancher und wie manche meinest du wohl, die sint Erbauung dieser Kirche hereingetretten sein unter dem Schein, Gott zu dienen, da sie doch nur herkommen, ihre neue Kleider, ihre schöne Gestalt, ihre Präminenz und sonst so etwas sehen zu lassen? Da kommt einer zur Kirche wie ein Pfau und stellet sich vor den Altar, als ob er den Heiligen die Füße abbeten wollte; dort stehet einer in einer Eck, zu seufzen wie der Zöllner im Tempel, welche Seufzer aber nur zu seiner Liebsten gehen, in deren Angesicht er seine Augen weidet, um derentwillen er sich auch eingestellet. Ein ander kommt vor, oder wanns wohl gerät, in die Kirche mit einem Gebund Briefen, wie einer, der eine Brandsteur sammlet, mehr seine Zinsleute zu mahnen als zu beten; hätte er aber nicht gewußt, daß seine Debitores zur Kirche kommen müßten, so wäre er fein daheim über seinen Registern sitzen blieben. Ja es geschieht zuzeiten, wann teils Obrigkeiten einer Gemeinde im Dorf etwas anzudeuten hat, so muß es der Bote am Sonntag bei der Kirche tun, daher sich mancher Baur vor der Kirche ärger als ein armer Sünder vor dem Richthaus förchtet. Meinest du nicht, es werden auch von denenjenigen in die Kirche begraben, die Schwert, Galgen, Feur und Rad verdienet hätten? Mancher könnte seine Buhlerei nicht zu Ende bringen, da ihm die Kirche nicht beförderlich wäre. Ist etwas zu verkaufen oder zu verleihen, so wird es an teils Orten an die Kirchtür geschlagen. Wann mancher Wucherer die ganze Woche keine Zeit nimmt, seiner Schinderei nachzusinnen, so sitzt er unter währendem Gottesdienst in der Kirche, spindisieret und dichtet, wie der Judenspieß zu führen sei. Da sitzen sie hier und dorten unter der Messe und Predigt, miteinander zu diskurrieren, gerad als ob die Kirche nur zu dem Ende gebauet wäre: da werden dann oft Sachen beratschlaget und beschlossen, deren man an Privatörtern nicht gedenken dörfte. Teils sitzen dort und schlafen, als ob sie es verdingt hätten. Etliche tun nichts anders als Leut ausrichten und sagen: ›Ach, wie hat der Pfarrer diesen oder jenen so artlich in seiner Predigt getroffen!‹ Andere geben fleißig Achtung auf des Pfarrers Vorbringen, aber nicht zu dem Ende, daß[57] sie sich daraus bessern, sondern damit sie ihren Seelsorger, wann er nur im geringsten anstößt (wie sie es verstehen), durchziehen und tadeln möchten. Ich geschweige hier derjenigen Historien, so ich gelesen, was vor Buhlschaften durch Kupplerei in den Kirchen hin und wieder ihren Anfang und Ende genommen; so fället mir auch, was ich von dieser Materi noch zu reden hätte, jetzt nicht alles ein. Dies mußt du doch noch wissen, daß die Menschen nicht allein in ihrem Leben die Kirchen mit Lastern beschmitzen, sondern auch nach ihrem Tod dieselbe mit Eitelkeit und Torheit erfüllen. Sobald du in die Kirche kommest, so wirst du an den Grabsteinen und Epitaphien sehen, wie diejenige noch prangen, die doch die Würme schon längst gefressen. Siehest du dann in die Höhe, so kommen dir mehr Schilde, Helme, Waffen, Degen, Fahnen, Stiefeln, Sporn und dergleichen Dinge ins Gesicht als in mancher Rüstkammer, daß also kein Wunder, daß sich die Bauren diesen Krieg über an etlichen Orten aus den Kirchen wie aus Festungen um das Ihrige gewehret. Warum sollte mir nicht erlaubt sein, mir, sage ich, als einem Soldaten, daß ich mein Handwerk in der Kirche treibe, da doch hiebevor zween geistliche Vätter in einer Kirche nur des Vorsitzes halber ein solch Blutbad angestellet, daß die Kirche mehr einem Schlachthaus der Metzger als heiligen Ort gleichgesehen? Ich zwar ließe es noch unterwegen, wann man nur den Gottesdienst zu verrichten herkäme, da ich doch ein Weltmensch bin; jene aber als Geistliche respektieren doch die hohe Majestät des römischen Kaisers nicht. Warum sollte mir verbotten sein, meine Nahrung vermittelst der Kirche zu suchen, da sich doch sonst so viel Menschen von derselben ernähren? Ist es billig, daß mancher Reicher um ein Stück Geld in die Kirche begraben wird, seine und seiner Freundschaft Hoffart zu bezeugen, und daß hingegen der Arme, der doch so wohl ein Christ als jener, ja vielleicht ein frömmer Mensch gewesen, so nichts zu geben hat, außerhalb in einem Winkel verscharret werden muß? Es ist ein Ding, wie man es machet. Wann ich hätte gewußt, daß du Bedenken trügest, in der Kirche aufzupassen, so hätte ich mich bedacht, dir anderst zu antworten; indessen nimm eine Weile mit diesem vorlieb, bis ich dich einmal eines andern berede.«

Ich hätte dem Olivier gern geantwortet, daß solches auch liederliche Leute wären, sowohl als er, welche die Kirchen verunehren, und daß dieselbige ihren Lohn schon drum finden würden. Weil ich ihm aber ohnedas nicht trauete und ungern noch einmal mit ihm um mein Leben gefochten und gestritten[58] hätte, ließ ich ihn recht haben. Hernacher begehrte er, ich wollte ihm erzählen, wie mirs ergangen, sint wir vor Wittstock voneinander kommen, und dann warum ich Narrnkleider angehabt, als ich im magdeburgischen Läger angelanget? Weil ich aber wegen Halsschmerzen gar zu unlustig, entschuldigte ich mich mit Bitte, er wollte mir doch zuvor seinen Lebenslauf erzählen, der vielleicht possierliche Schnitzer genug in sich hielte, und solches hieße mich Gott reden, dann er war dessen willig und erzählte mir solche Sachen, daraus ich wohl urteilen konnte, daß, wofern ich ihme gesagt, was ich alles angestellet, seit ich ein Soldat gewesen, daß er mich ohne Zweifel über den Kirchturn herabgeworfen hätte, maßen der Leser aus nachfolgenden Kapiteln vernehmen wird.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 56-59.
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