Das sechzehnte Kapitel.

[54] Simplex sich in des Oliviers Haus

Labet und wieder aufs neu putzt heraus.


Unser Essen war Weißbrot und ein gebratener kalter Kalbsschlegel; dabei hatten wir einen guten Trunk Wein und eine warme Stube. »Gelt, Simplici,« sagte Olivier, »hier ist es besser als vor Breisach in den Laufgräben!« Ich sagte: »Das wohl, wann man solch Leben mit gewisser Sicherheit und bessern Ehren zu genießen hätte.« Darüber lachte er überlaut und sagte: »Sind dann die arme Teufel in den Laufgräben sicherer als wir, die sich alle Augenblicke eines Ausfalls besorgen müssen? Mein lieber Simplici, ich sehe zwar wohl, daß du deine Narrnkappe abgeleget, hingegen aber deinen närrischen Kopf noch behalten hast, der nicht begreifen kann, was gut oder bös ist; und wann du ein anderer als derjenige Simplicius wärest, der nach des alten Herzbruders Wahrsagung meinen Tod rächen solle, so wollte ich dich bekennen lernen, daß ich ein edler Leben führe als ein Freiherr.« Ich gedachte: Was will das werden? Du mußt andere Worte hervorsuchen als bisher, sonst möchte dich dieser Unmensch, so jetzt den Bauern fein zu Hülf hat, erst kaput machen, sagte derohalben: »Wo ist sein Tag je erhört worden, daß der Lehrjung das Handwerk besser verstehe als der Lehrmeister? Bruder, hast du ein so edel glückselig Leben, wie du vorgibst, so mache mich deiner Glückseligkeit alter Bekanntschaft wegen auch teilhaftig, sintemal ich eines guten Glücks hoch vonnöten.« Darauf antwortete Olivier: »Bruder, sei versichert, daß ich dich so hoch liebe als mich selbsten, und daß mir die Beleidigung, so ich dir heut zugefüget, viel weher tut als die Kugel, damit du mich an meine Stirn getroffen, als du dich meiner wie ein tapferer rechtschaffener Kerl erwehrtest; warum wollt ich dir dann etwas versagen können? Wann dirs beliebet, so bleib bei mir; ich will vor dich sorgen als vor mich selbsten; hast du aber keine Lust, bei mir zu sein, so will ich dir ein gut Stück Geld geben und begleiten, wohin du willt. Damit du aber glaubest, daß mir diese Worte von Herzen gehen, so will ich dir die Ursache sagen, warum ich dich so herzlich liebe und so hoch halte, wiewohl meine Gewohnheit sonst nicht ist, einen Menschen groß zu achten. Du weißt dich zu erinnern, wie richtig der alte Herzbruder mit seinen Prophezeiungen zugetroffen; schaue, derselbe hat mir vor Magdeburg diese Worte geweissaget, die ich bishero fleißig im Gedächtnus behalten: ›Olivier, siehe unsern Narrn an, wie du willt, so wird er dannoch durch seine Tapferkeit[54] dich erschröcken und dir den größten Possen erweisen, der dir dein Lebtag je geschehen wird, weil du ihn darzu verursachest in einer Zeit, darin ihr beide einander nicht erkannt gehabt. Doch wird er dir nicht allein dein Leben schenken, so in seinen Händen gestanden, sondern er wird auch über eine Zeitlang hernach an dasjenige Ort kommen, da du erschlagen wirst; daselbst wird er glückselig als ein Überwinder deinen Tod rächen.‹ Dieser Weissagung halber, liebster Simplici, bin ich bereit, mit dir das Herz im Leib zu teilen; dann gleichwie schon ein Teil davon erfüllet, indem ich dir unbekannterweise Ursache gegeben, daß du mich als ein tapferer Soldat vor den Kopf geschossen und mir mein Schwerd genommen (das mir freilich noch keiner getan), mir auch das Leben gelassen, da ich unter dir lag und gleichsam im Blut erstickte, also zweifle ich nicht, daß das übrige von meinem Tod auch im wenigsten fehlgeschlagen werde. Aus solcher Rache nun, liebster Bruder, muß ich schließen, daß du mein getreuer Freund seist oder noch werden wirst; dann dafern du es nicht wärest, so würdest du solche Rache auch nicht über dich nehmen. Da hast du nun die Concepta meines Herzens: jetzt sage mir auch, was du zu tun gesinnet seist.« Ich gedachte: »Traue dir der Teufel, ich nicht! Nehme ich Geld von dir auf den Weg, so möchtest du mich erst niedermachen; bleib ich dann bei dir, so muß ich sorgen, ich dörfte mit dir gevierteilt werden.« Satzte mir demnach vor, ich wollte ihm eine Nase drehen, bei ihm zu bleiben, bis ich mit Gelegenheit von ihm kommen könnte; sagte derhalben, so er mich leiden möchte, wollte ich mich ein Tag oder acht bei ihm aufhalten, zu sehen, ob ich solche Art zu leben gewohnen könnte: gefiele mirs, so sollte er beides, einen getreuen Freund und guten Soldaten, an mir haben; gefiele mirs nicht, so sei allezeit gut voneinander scheiden. Darauf satzte er mir mit dem Trunk zu; ich getraute aber auch nicht und stellete mich voll, eh ichs war, zu sehen, ob er vielleicht an mich wollte, wann ich mich nicht mehr defendieren könnte.

Indessen plagten mich die Müllerflöhe trefflich, deren ich eine ziemliche Quantität von Breisach mit mir gebracht hatte; dann sie wollten sich in der Wärme nicht mehr in meinen Lumpen behelfen, sondern spazierten heraus, sich auch lustig zu machen. Dieses nahm Olivier an mir gewahr und fragte, ob ich Läuse hätte. Ich sagte: »Ja freilich, mehr als ich mein Lebtag Dukaten zu bekommen getraue.« – »So mußt du nit reden!« sagte Olivier. »Wann du bei mir bleibest, so kannst du noch wohl mehr Dukaten kriegen, als du jetzt Läuse hast.« Ich antwortete: »Das ist so unmüglich, als ich jetzt meine Läuse abschaffen[55] kann, die mich so grausam quälen.« – »O ja,« sagte er, »es ist beides müglich!« und befahl gleich dem Baur, mir ein Kleid zu holen, das unfern vom Haus in einem hohlen Baum stak. Das war ein grauer Hut, ein Koller von Elend, ein Paar rote scharlachne Hosen und ein grauer Rock; Strümpfe und Schuhe wollte er mir morgen geben. Da ich solche Guttat von ihm sahe, getraute ich ihm schon etwas Bessers zu als zuvor und gieng fröhlich schlafen.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 54-56.
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