Das fünfzehnte Kapitel.

[51] Simplex erfährt, daß Olivier war,

Welcher ihm kurz vorher kam in die Haar.


Ein resoluter Soldat, der sich darein ergeben, sein Leben zu wagen und gering zu achten, ist wohl ein dummes Vieh, welches sich wie ein Schaf zur Schlachtbank führen läßt. Man hätte tausend Kerl gefunden, darunter kein einziger das Herz gehabt hätte, mit einem solchen, der ihn erst als ein Mörder angegriffen, an ein unbekannt Ort zu Gast zu gehen. Ich fragte ihn auf dem Weg, wes Volks er sei; da sagte er, er hätte vor diesmal keinen Herrn, sondern kriege vor sich selbst und fragte zugleich, wes Volks dann ich sei. Ich sagte, daß ich weimarisch gewesen, nunmehr aber meinen Abschied hätte und gesinnet wäre, mich nach Haus zu begeben. Darauf fragte er, wie ich hieße, und da ich antwortete: »Simplicius«, kehrete er sich um (dann ich ließ ihn vorangehen, weil ich ihm nit traute) und sahe mir steif ins Gesicht. »Heißt du«, sagte er, nachdem er mich ein wenig betrachtet hatte, »nicht auch Simplicissimus?« – »Ja,« antwortete ich, »der ist ein Schelm, der seinen Namen verleugnet. Wie heißt aber du?« – »Ach Bruder,« antwortete er, »so bin ich Olivier, den du wohl vor Magdeburg wirst gekannt haben«; warf damit sein Rohr von sich und fiel auf die Kniee nieder, mich um Verzeihung zu bitten, daß er mich so übel gemeint hätte, sagend, er könnte sich wohl einbilden, daß er keinen bessern Freund in der Welt bekomme, als er an mir einen haben würde, weil ich nach des alten Herzbruders Prophezei seinen Tod so tapfer rächen sollte. Ich hingegen wollte mich über eine so seltsame Zusammenkunft verwundern; er aber sagte: »Das ist nichts Neues! Berg und Tal kommt nicht zusammen; das ist mir aber seltsam, daß wir beide uns so verändert haben, sintemal ich aus einem Secretario und braven Offizier ein Waldfischer, du aber aus einem Narrn zu so einem tapfern Soldaten worden! Sei versichert, Bruder, wann unserer zehentausend wären, daß wir morgenden Tags Breisach entsetzen und endlich [uns] zu Herrn der ganzen Welt machen wollten.«

In solchem Diskurs passierten wir, da es eben Nacht worden, in ein klein abgelegen Taglöhnerhäuslein; und obzwar mir solche Prahlerei nit gefiel, so gab ich ihm doch recht, vornehmlich weil mir sein schelmisch falsch Gemüt bekannt war. Ich mußte ihn in Laun behalten, damit er mir, bis ich wieder von ihm käme, kein Untreu bewiese. Und obzwar ich ihm im geringsten nichts Gutes zutrauete, so gieng ich doch mit ihm in besagtes[51] Häuslein, in welchem ein Bauer eben die Stube einhitzte. Zu dem sagte er: »Hast du etwas gekocht?« – »Nein,« sagte der Bauer, »ich habe ja den gebratenen Kalbsschlegel noch, den ich heute von Waldkirch brachte.« – »Nun dann,« antwortete Olivier, »so gehe und lang her, was du hast, und bringe zugleich das Fäßlein Wein mit!«

Als der Bauer fort war, sagte ich zu Olivier: »Bruder (ich nannte ihn so, damit ich desto sicherer vor ihm wäre, wiewohl ich ihme meines Herzbruders halber den Hals lieber zerbrochen, wann ichs nur vermocht hätte), du hast einen willigen Wirt!« – »Das dank,« sagte er, »dem Schelmen der Teufel; ich ernähre ihn ja mit Weib und Kindern, und er machet noch darzu vor sich selbst gute Beuten. Jch lasse ihm alle Kleider, die ich erobere, solche zu seinem Nutzen anzuwenden.« Ich fragte, wo er dann sein Weib und Kinder hätte, da sagte Olivier, daß er sie nach Freiburg geflehnet, die er alle Wochen zweimal besuche und ihm von dort aus sowohl die Victualia als Kraut und Lot zubringe. Ferner berichtete er mich, daß er diese Freibeuterei schon lang getrieben und ihm besser zuschlage, als wann er einem Herrn diene; er gedächte auch nit aufzuhören, bis er seinen Beutel rechtschaffen gespickt hätte. Ich sagte: »Bruder, du lebest in einem gefährlichen Stand, und wann du über solcher Rauberei ergriffen würdest, wie meinst du wohl, daß man mit dir umgieng?« – »Ha!« sagte er, »ich höre wohl, daß du noch der alte Simplicius bist: ich weiß wohl, daß derjenige, so kugeln will, auch aufsetzen muß. Du mußt aber das wissen, daß die Herrn von Nürnberg keinen henken lassen, sie haben ihn dann.« Ich antwortete: »Gesetzt aber, Bruder, du werdest nicht ertappt (das doch sehr mißlich stehet, dann der Krug gehet so lang zum Brunnen, bis er einmal zerbricht), so ist dannoch ein solch Leben, wie du führest, das allerschändlichste von der Welt, daß ich also nicht glaube, daß du darin zu sterben begehrest.« – »Was,« sagte er, »das schändlichste? Mein tapferer Simplici, ich versichere dich, daß die Rauberei das alleradeligste Exerzitium ist, das man dieser Zeit auf der Welt haben kann! Sage mir, wie viel Königreiche und Fürstentümer sind nicht mit Gewalt erraubt und zuwege gebracht worden? Oder wo wird einem König oder Fürsten auf dem ganzen Erdboden vor eine Schande gerechnet oder vor übel aufgenommen, wann er seiner Länder Intraden geneußt, die doch gemeinlich durch ihrer Vorfahren verübte Gewalt erraubt und zuwegen gebracht worden? Was könnte doch adeliger genennet werden als eben das Handwerk, dessen ich mich jetzt bediene? Siehest du nicht täglich vor Augen,[52] daß die höchste Potentaten meistenteils einander selbst berauben? Siehest du nicht, wie der Stärkste den Schwächern in Sack zu stecken trachtet? Ich merke dir an, daß du mir gern vorhalten wolltest, daß ihrer viel wegen Mordens, Raubens und Stehlens sein gerädert, gehängt und geköpft worden: das weiß ich zuvor wohl, dann das befehlen die Gesetze; du wirst aber keine andere als arme und geringe Diebe haben hängen sehen, welches auch billig ist, weil sie sich dieser vortrefflichen Übung haben unterfangen dörfen, die doch niemanden als herzhaften Gemütern gebührt und vorbehalten ist. Wo hast du jemals eine vornehme Standsperson durch die Justitiam strafen sehen, um daß sie ihr Land zu viel beschwert habe? Ja, was noch mehr ist, wird doch kein Wucherer gestraft, der diese herrliche Kunst heimlich treibet, und zwar unter dem Deckmantel der christlichen Liebe! Warum wollte dann ich strafbar sein, der ich solche offentlich auf gut Altteutsch ohn einzige Bemäntelung und Gleisnerei übe? Mein lieber Simplici, du hast den Machiavellum noch nicht gelesen. Ich bin eines recht aufrichtigen Gemüts und treibe diese Manier zu leben frei offentlich ohn alle Scheu. Ich fechte und wage mein Leben darüber wie die alte Helden, weiß auch, daß diejenige Hantierungen, dabei der, so sie treibt, in Gefahr stehen muß, zugelassen sind. Weil ich dann mein Leben in Gefahr setze, so folgt unwidersprechlich, daß mirs billig und erlaubt sei, diese Kunst zu üben.«

Hierauf antwortete ich: »Gesetzt, Rauben und Stehlen sei dir erlaubt oder nicht, so weiß ich gleichwohl, daß es wider das Gesetz der Natur ist, das da nicht will, daß einer einem andern tun solle, das er nicht will, daß es ihm geschehe. So ist solche Unbilligkeit auch wider die weltliche Gesetz, welche befehlen, daß die Dieb gehängt, die Räuber geköpft und die Mörder geradbrecht werden sollen. Und letztlich, so ist es auch wider Gott, so das Fürnehmste ist, weil er keine Sünde ungestraft läßt.« – »Es ist, wie ich vor gesagt,« antwort Olivier, »du bist noch Simplicius, der den Machiavellum noch nicht studiert hat. Könnte ich aber auf solche Art eine Monarchiam aufrichten, so wollte ich sehen, wer mir alsdann viel darwider predigte.« Wir hätten noch mehr miteinander disputiert; weil aber der Bauer mit dem Essen und Trinken kam, saßen wir zusammen und stilleten unsere Mägen, dessen ich dann trefflich hoch vonnöten hatte.[53]

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 51-54.
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