Das fünfundzwanzigste Kapitel.

[76] Simplex bereichert sich, trifft an drauf bald

Seinen Herzbruder in armer Gestalt.


Ich saß kaum eine halbe Stunde in meinen Gedanken, so kam unser Bauer daher und schnaubte wie ein Bär; er lief von allen Kräften und ward meiner nicht gewahr, bis ich ihm auf den Leib kam. »Warum so schnell?« sagte ich; »was Neues?« Er antwortete: »Geschwind machet Euch abwegs! es kommt ein Korporal mit sechs Musketierern, die sollen Euch und den Olivier aufheben und entweder tot oder lebendig nach Liechteneck liefern. Sie haben mich gefangen gehabt, daß ich sir zu Euch führen sollte, bin ihnen aber glücklich entronnen und hieherkommen, Euch zu warnen.« Ich gedachte: O Schelm! du hast uns verraten, damit dir Oliviers Geld, so im Baum[76] liegt, zuteil werden möge; ließe mich aber doch nichts merken, weil ich mich seiner als eines Wegweisers gebrauchen wollte, sondern sagte ihm, daß beides, Olivier und diejenige, so ihn hätten fangen sollen, tot wären. Da es aber der Bauer nicht glauben wollte, war ich noch so gut und gieng mit ihm hin, daß er das Elend an den sieben Körpern sehen konnte. »Den siebenden, die uns fangen sollen,« sagte ich, »habe ich laufen lassen, und wollte Gott, ich könnte auch diese wieder lebendig machen, so wollte ichs nicht unterlassen!« Der Bauer erstaunte vor Schröcken und Entsetzen und sagte: »Was Rats?« Ich antwortete: »Der Rat ist schon beschlossen. Unter dreien Dingen geb ich dir die Wahl: entweder führe mich alsbald durch sichere Abwege über den Wald hinaus nach Villingen, oder zeige mir Oliviers Geld, das in Baum liegt, oder stirb hier und leiste gegenwärtigen Toten Gesellschaft! Führest du mich nach Villingen, so bleibt dir Oliviers Geld allein; wirst du mirs aber weisen, so will ichs mit dir teilen; tust du aber deren keines, so schieß ich dich tot und gehe gleichwohl meines Wegs.« Der Bauer wäre gern entloffen, aber er forchte die Muskete, fiele derhalben auf die Kniee nieder und erbot sich, mich über Wald zu führen. Also wanderten wir eilend fort, giengen denselben Tag und folgende ganze Nacht, weil es zu allem Glück trefflich hell war, ohn Essen, Trinken und einzige Ruhe immer hin, bis wir gegen Tag die Stadt Villingen vor uns liegen sahen, allwo ich meinen Bauer wieder von mir ließ. Auf diesem Weg trieb den Bauer die Todesforcht, mich aber die Begierde, mich selbst und mein Geld davonzubringen, und muß fast glauben, daß einem Menschen das Gold große Kräften mitteilet; dann obzwar ich schwer genug daran trug, so empfand ich jedoch keine sonderbare Müdigkeit.

Ich hielt es vor ein glücklich Omen, daß man die Pforte eben öffnete, als ich vor Villingen kam. Der Offizier von der Wacht examinierte mich, und als er vernahm, daß ich mich vor einen Freireuter ausgab von demjenigen Regiment, wobei mich Herzbruder getan, als er mich zu Philippsburg von der Muskete erlöste, wie auch, daß ich aus dem Läger vor Breisach von den Weimarischen herkäme, unter welche ich vor Wittenweir gefangen und untergestoßen worden, und nunmehr wieder zu meinem Regiment unter die Bayrische begehrte, gab er mir einen Musketierer zu, der mich zum Kommandanten führte. Derselbe lag noch in seiner Ruhe, weil er wegen seiner Geschäften mehr als die halbe Nacht wachend zugebracht hatte, also daß ich wohl anderthalbe Stunde vor seinem Quartier[77] aufwarten mußte und, well eben die Leute aus der Frühmeß giengen, einen großen Umstand von Bürgern und Soldaten bekam, die alle wissen wollten, wie es vor Breisach stünde, von welchem Geschrei der Kommandant erwachte und mich ohn länger Verweilen vor ihn kommen ließ.

Er fieng an, mich zu examinieren, und meine Aussage war wie unterm Tor. Hernach fragte er mich sonderliche Partikularitäten von der Belagerung und sonsten, und damit bekannte ich alles, wie daß ich nämlich ein Tag oder vierzehen mich bei einem Kerl aufgehalten, der auch durchgangen, und mit demselben eine Kutsche angegriffen und geplündert hätte der Meinung, von den Weimarischen so viel Beuten zu holen, daß wir uns daraus beritten machen und rechtschaffen mondiert wieder zu unsern Regimentern kommen möchten; wir sein aber erst gestern von einem Korporal mit noch sechs andern Kerlen, die uns aufheben sollen, ohnversehens überfallen worden, dadurch mein Kamerad mit noch sechsen vom Gegenteil auf dem Platz geblieben: der siebende aber sowohl als ich, und zwar jeder zu seiner Partei, entloffen sei. Von dem aber, daß ich nacher L. in Westfalen zu meinem Weib gewollt, und daß ich zwei so wohlgefütterte Hinder- und Vorderstücke anhatte, schwieg ich stockstill, und zwar so machte ich mir auch kein Gewissen darum, daß ichs verhehlete, dann was gieng es ihn an? Er fragte mich auch nicht einmal darum, sondern verwunderte sich vielmehr und wollte es fast nicht glauben, daß ich und Olivier sollten sechs Mann niedergemachet und den siebenden verjagt haben, obzwar mein Kamerad mit eingebüßt. Mit solchem Gespräch gab es Gelegenheit, von Oliviers vortrefflichen Schwerd zu reden, so ich lobte und an der Seite hatte. Das gefiel ihm so wohl, daß ichs ihm, wollte ich anders mit guter Manier von ihm kommen und Paß erlangen, gegen einem andern Degen, den er mir gab, überlassen mußte. In Wahrheit aber so war dasselbe trefflich schön und gut, es war ein ganzer ewigwährender Kalender daraufgeätzet, und laß ich mir nicht ausreden, daß es nicht in hora Martis von Vulcano selbst geschmiedet und allerdings zugerichtet worden sei, wie im Heldenschatz eines beschrieben wird, wovon alle andere Klingen entzweispringen und die beherzteste Feinde und Löwengemüter wie forchtsame Hasen entlaufen müssen. Nachdem er mich nun entließ und befohlen, einen Paß vor mich zu schreiben, gieng ich den nächsten Weg ins Wirtshaus und wußte nicht, ob ich am ersten schlafen oder essen sollte, dann es war mir beides nötig. Doch wollte ich zuvor meinen Magen stillen, ließ mir[78] derhalben etwas zu essen und einen Trunk langen und machte Gedanken, wie ich meine Sachen anstellen, daß ich mit meinem Geld sicher nach L. zu meinem Weib kommen möchte, dann ich hatte so wenig im Sinn, zu meinem Regiment zu gehen, als den Hals abzufallen.

Indem ich nun so spekulierte und ein und andern listigen Anschlag bei mir aussanne, hinkte ein Kerl an einem Stecken in der Hand in die Stube; der hatte einen verbundenen Kopf, einen Arm in der Schlinge und so elende Kleider an, daß ich ihm keinen Heller darum geben hätte. Sobald ihn der Hausknecht sahe, wollte er ihn austreiben, weil er übel stank und so voll Läuse war, daß man die ganze Schwabenheide damit besetzen könnte. Er aber bat, man wollte ihm doch um Gottes willen zulassen, sich nur ein wenig zu wärmen, so aber nichts half. Demnach ich mich aber seiner erbarmete und vor ihn bat, ward er kümmerlich zum Ofen gelassen. Er sahe mir, wie mich dünkte, mit begierigem Appetit und großer Andacht zu, wie ich draufhieb, und ließ etliche Seufzer laufen; und als der Hausknecht gieng, mir ein Stück Gebratenes zu holen, gieng er gegen mir zum Tisch zu und reichte ein irden Pfennighäfelein in der Hand dar. Als ich mir wohl einbilden konnte, warum er käme, nahm derhalben die Kanne und goß ihm seinen Hafen voll, eh er hiesch. »Ach Freund,« sagte, er, »um Herzbruders willen, gebet mir auch zu essen!« Da er solches sagte, gieng mirs durchs Herz, und befand, daß es Herzbruder selbsten war. Ich wäre beinahe in Ohnmacht gesunken, da ich ihn in einem so elenden Stand sahe; doch erhielt ich mich, fiel ihm um den Hals und satzte ihn zu mir, da uns dann beiden, mir aus Mitleiden und ihm aus Freude, die Augen übergiengen.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 76-79.
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