Das sechsundzwanzigste Kapitel.

[79] Simplex hört von dem Herzbruder mit Schmerzen,

Seinen Zustand, der ihm gehet zu Herzen.


Unsre unversehene Zusammenkunft machte, daß wir fast weder essen noch trinken konnten; nur fragte einer den andern, wie es ihm ergangen, sint wir das letztemal beisammen gewesen. Dieweil aber der Wirt und Hausknecht stets ab- und zugiengen, konnten wir einander nichts Verträuliches erzählen. Der Wirt wunderte, daß ich einen so lausigen Kerl bei mir litte, ich aber sagte, solches sei im Krieg unter rechtschaffenen Soldaten, die Kameraden wären, der Brauch. Da ich auch[79] verstund, daß sich Herzbruder bisher im Spital aufgehalten, vom Almosen sich ernähret und seine Wunden liederlich verbunden worden, dingte ich dem Wirt ein sonderlich Stüblein ab, legte Herzbrudern in ein Bette und ließ ihm den besten Wundarzt kommen, den ich haben konnte, wie auch einen Schneider und eine Näherin, ihn zu kleiden und den Läufen aus den Zähnen zu ziehen. Ich hatte eben diejenige Duplonen, so Olivier einem toten Juden aus dem Maul bekommen, bei mir in einem Säckel; dieselbe schlug ich auf den Tisch und sagte dem Wirt zu Gehör zu Herzbrudern: »Schau, Bruder, das ist mein Geld; das will ich an dich wenden und mit dir verzehren!«, davon der Wirt uns wohl aufwartete. Dem Barbier aber wies ich den Rubin, der auch des bedeuten Juden gewesen und ungefähr 20 Taler wert war, und sagte, weil ich mein wenig Geld, so ich hätte, vor uns zur Zehrung und meinem Kamerad zur Kleidung aufwenden müßte, so wollte ich ihm denselben Ring geben, wann er besagten meinen Kamerad in Bälde von Grund aus darvor kurieren wollte; dessen er dann wohl zufrieden und seinen besten Fleiß zur Kur anwandte.

Also pflegte ich Herzbrudern wie meinem andern Ich und ließ ihm ein schlecht Kleidlein von grauem Tuch machen; zuvor aber gieng ich zum Kommandanten wegen des Passes und zeigte ihm an, daß ich einen übelbeschädigten Kameraden angetroffen hätte, auf den wollte ich warten, bis er vollend heilete; dann ihn hinter mir zu lassen, getraue ich bei meinem Regiment nicht zu verantworten. Der Kommandant lobte meinen Fürsatz und gönnete mir zu bleiben, solang ich wollte, mit fernerm Anerbieten, wann mir mein Kamerad würde folgen können, daß er uns beide alsdann mit gnugsamem Paß versehen wollte.

Demnach ich nun wieder zu Herzbrudern kam und allein neben seinem Bette bei ihm saß, bat ich ihn, er wollte mir unbeschwert erzählen, wie er in einen so armseligen Stand geraten wäre; dann ich bildete mir ein, er möchte vielleicht wichtiger Ursachen oder sonst eines Übersehens halber von seiner vorigen Dignität verstoßen, unredlich gemachet und in gegenwärtig Elend gesetzt worden sein. Er aber sagte: »Bruder, du weißt, daß ich des Grafen von Götz Faktotum und allerliebster geheimster Freund gewesen; hingegen ist dir auch gnugsam bekannt, was die verwichene Kampagne unter seinem Generalat und Kommando vor eine unglückliche Endschaft erreichet, indem wir nicht allein die Schlacht bei Wittenweier verloren, sondern noch darzu das belagerte Breisach zu entsetzen nicht[80] vermöcht haben. Weil dann nun deswegen hin und wieder vor aller Welt sehr ungleich geredet wird, zumalen wohlermeldter Graf, sich zu verantworten, nach Wien zitiert worden, so lebe ich beides, vor Scham und Forcht, freiwillig in dieser Niedere und wünsche mir oft, entweder in diesem Elend zu sterben oder doch wenigst mich so lang verborgen zu halten, bis mehr wohlbesagter Graf seine Unschuld an Tag gebracht; dann soviel ich weiß, ist er dem Römischen Kaiser allezeit getreu gewesen. Daß er aber diesen verwichenen Sommer so gar kein Glück gehabt, ist meines Erachtens mehr der göttlichen Vorsehung (als welcher die Siege gibet, wem er will) als des Grafen Übersehen beizumessen.«

Da wir Breisach zu entsetzen im Werk waren und ich sahe, daß es unserseits so schläferig hergieng, armierte ich mich selbst und gieng dergestalt auf die Schiffbrücke mit an, als ob ichs allein hätte vollenden wollen, da es doch damals weder meine Profession noch Schuldigkeit war; ich täts aber den andern zum Exempel, und weil wir den vergangenen Sommer so gar nichts ausgerichtet hatten, wollte mir das Glück oder vielmehr das Unglück, daß ich unter den ersten Angängern dem Feind auch am ersten auf der Brücke das Weiße in Augen sahe, da es dann scharf hergieng. Und gleichwie ich im Angriff der erste gewesen, also ward ich, da wir der Franzosen ungestümmen Ansetzen nicht mehr widerstunden, der allerletzte und kam dem Feind am ersten in die Hände. Ich empfieng zugleich einen Schuß in meinen rechten Arm und den andern in Schenkel, also daß ich weder ausreißen noch meinen Degen mehr gebrauchen konnte; und als die Enge des Orts und der große Ernst nicht zuließ, viel vom Quartiergeben und -nehmen zu parlementieren, kriegte ich einen hieb in Kopf, davon ich zu Boden fiel, und weil ich sein gekleidet war, von etlichen in der Furie ausgezogen und vor tot in Rhein geworfen ward. In solchen Nöten schriee ich zu Gott und stellete alles seinem heiligen Willen heim, und indem ich unterschiedliche Gelübde tät, spürete ich auch seine Hülfe: Der Rhein warf mich an Land, allwo ich meine Wunden mit Moos verstopfte; und obzwar ich beinahe erfror, so verspürte ich jedoch eine absonderliche Kraft, davonzukriechen, maßen mir Gott half, daß ich, zwar jämmerlich verwundet, zu etlichen Merodebrüdern und Soldatenweibern kam, die sämtlich ein Mitleiden mit mir hatten, obzwar sie mich nicht kannten. Diese verzweifelten bereits an einem glücklichen Entsatz der Festung, das mir weher tät als meine Wunden. Sie erquickten und bekleideten mich bei ihrem Feur, und eh[81] ich ein wenig meine Wunden verband, mußte ich sehen, daß sich die Unserige zu einem spöttlichen Abzug rüsteten und die Sache vor verloren gaben, so mich trefflich schmerzte; resolvierte derhalben bei mir selbsten, mich niemand zu offenbaren, damit ich mich keinen Spotts teilhaftig machte, maßen ich mich zu etlichen Beschädigten von unsrer Armee gesellet, welche einen eigenen Feldscherer bei sich hatten; denen gab ich ein gülten Kreuzlein, das ich noch am Hals davongebracht, vor welches er mir bis hieher meine Wunden verbunden. In solchem Elend nun, werter Simplici, hab ich mich bisher beholfen, gedenke, mich auch keinem Menschen zu offenbaren, bis ich zuvor sehe, wie des Grafen von Götz seine Sache einen Ausgang gewinnet. Und demnach ich deine Gutherzigkeit und Treue sehe, gibt mir solches einen großen Trost, daß der liebe Gott mich noch nicht verlassen, maßen ich heut morgen, als ich aus der Frühmesse kam und dich vor des Kommandanten Quartier stehen sahe, mir eingebildet, Gott hätte dich anstatt eines Engels zu mir geschickt, der mir in meiner Armseligkeit zu Hülf kommen sollte.«

Ich tröstete Herzbrudern, so gut ich konnte, und vertraute ihm, daß ich noch mehr Geld hätte als diejenige Duplonen, die er gesehen, welches alles zu seinen Diensten stünde; und indem erzählete ich ihm auch Oliviers Untergang, und wasgestalt ich seinen Tod rächen müssen, welches sein Gemüt dermaßen erquickte, also daß es ihm auch an seinem Leib wohl zustatten kam, gestalt es sich an allen Wunden täglich mit ihm besserte.[82]

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 79-83,85.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch
Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch
Der Abenteuerliche Simplicissimus Teutsch: Roman
Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch