Das XIII. Kapitel.

[52] Was vor gute Täge und Nächte die gräflich Fräulein im Schloß genosse und wie sie selbige wieder verloren.


Ich pflegte meiner Gesundheit und bähete mich aus, wie einer, der halb erfroren aus einem kalten Wasser hinter einem Stubenofen oder zum Feuer kommt; dann ich hatte damals auf der Welt sonst nichts zu tun, als auf der Streu zu liegen und mich wie ein Streitpferd im Winterquartier auszumästen, um auf den künftigen Sommer im Feld desto geruheter zu erscheinen und mich in den vorfallenden Okkasionen desto frischer gebrauchen zu lassen. Davon wurde ich in Bälde wieder ganz heil, glatthärig und meines Kavaliers begierig. Der stellte sich auch bei mir ein, ehe die längste Nächt gar vergiengen, weil er der lieblichen Frühlingszeit so wenig als ich mit Gedult erwarten konnte.

Er käme mit vier Dienern, da er mich besuchte, davon mich doch nur der eine sehen dorfte, nämlich derjenige, der mich auch hingebracht hatte. Es ist nicht zu glauben, mit was vor herzbrechenden Worten er sein Mitleiden, das er mit mir trug, bezeugete, umb daß ich in den leidigen Wittibstand gesetzt worden, mit was vor großen Verheißungen er mich seiner getreuen Dienste versicherte und mit was vor Höflichkeit er mir klagte, daß er beides, mit Leib und Seel, vor Lutter mein Gefangner worden wäre. »Hochgeborne schönste Dam,« sagte er, »dem Leib nach hat mich mein Fatum zwar gleich wieder ledig gemacht und mich doch in übrigen ganz und gar Eueren Sklaven bleiben lassen, welcher jetzt nichts anders begehrt und darum hieher kommen, als aus Ihrem Munde dem Sentenz zum Tod oder zum Leben anzuhören: zum Leben zwar, wann Ihr Euch über Eueren elenden Gefangenen erbarmet, ihn in seinem schweren Gefängnus der Liebe mit tröstlichem Mitleiden tröstet und vom Tod errettet; oder zum Tod, wann ich Ihrer Gnad und Gegenliebe nicht teilhaftig werden oder solcher Euerer Liebe unwürdig geschätzt werden sollte. Ich schätzte mich glückselig, da Sie mich wie eine andere ritterliche Penthesilea mitten aus der Schlacht gefangen hinweg geführt hatte; und da mir durch äußerliche Lediglassung meiner Person meine vermeintliche Freiheit wieder zugestellet wurde, hube sich allererst mein Jammer an, weil ich diejenige nicht mehr sehen konnte, die mein Herz noch gefangen hielte, zumalen auch kein Hoffnung machen konnte, dieselbe wegen beiderseits wider einander strebenden Kriegswaffen jemals wiederum ins Gesicht zu bekommen.[53] Solchen meinen bisherigen elenden Jammer bezeugen viel tausent Seufzer, die ich seithero zu meiner liebwürdigen Feindin gesendet; und weil solche alle vergeblich in die leere Luft giengen, geriete ich allgemach zur Verzweifelung und wäre auch etc.« Solche und dergleichen Sachen brachte der Schloßherr vor, mich zu demjenigen zu persuadieren, wornach ich ohnedas so sehr als er selbst verlangte. Weil ich aber mehr in dergleichen Schulen gewesen und wohl wußte, daß man dasjenige, was einem leicht ankommt, auch gering achtet, als stellte ich mich, gar weit von seiner Meinung entfernet zu sein, und Nagte hingegen, daß ich im Werk befande, daß ich sein Gefangner wäre, sintemal ich meines Leibs nit mächtig, sondern in seinen Gewalt aufgehalten würde. Ich müßte zwar bekennen, daß ich ihm vor allen andern Kavalieren in der ganzen Welt zum allergenauesten verbunden, weilen er mich von meinen Ehrenschändern errettet; erkennete auch, daß meine Schuldigkeit seie, solche ehrliche und lobwürdige Rat wieder gegen ihm mit höchster Dankbarkeit zu beschulden; wann aber solche meine Schuldigkeit unter dem Deckmantel der Liebe mit Verlust meiner Ehr abgelegt werden müßte, und daß ich eben zu solchem Ende in dieses Ort gebracht worden wäre, so könnte ich nicht sehen, was er bei der ehrbarn Welt vor die beschehene ruhmwürdige Erlösung vor Ehr und bei mir vor einen Dank zu gewarten, mit demütiger Bitte, er wolle sich durch eine Tat, die ihn vielleicht bald wieder reuen würde, keinen Schandflecken anhenken, noch dem hohen Ruhm eines ehrliebenden Kavaliers den Nachklang zufreien, daß er ein armes verlassenes Weibsbild in seinem Kaufe wider ihren Willen etc. Und damit fieng ich an zu weinen, als wann mirs ein lauterer gründlicher Ernst gewesen wäre nach dem alten Reimen:


»Die Weiber weinen oft mit Schmerzen,

Gleich als gieng es ihn von Herzen,

Sie pflegen sich nur so zu stellen

Und können weinen, wenn sie wöllen.«


Ja, damit er mich noch höher ästimieren sollte, botte ich ihm 1000 Reichstaler vor meine Ranzion an, wann er mich unberührt lassen und wiederum zu den Meinigen sicher passieren lassen wollte. Aber er antwortet, seine Liebe gegen mir sei so beschaffen, daß er mich nicht vor das ganze Königreich Böhmen verwechseln könnte; zudem seie er seines Herkommens und Standes halber mir gar nit ungleich, daß es eben etwan wegen einer Heurat zwischen uns beiden viel Diffikultäten brauchen[54] sollte. Es hatte mit uns beiden natürlich ein Ansehen, als wann ein Täubler irgendeinen Tauber und eine Täubin zusammensperret, daß sie sich paaren sollen, welche sich anfänglich lang genug abmatten, bis sie des Handels endlich eins werden, eben also machten wirs auch. Dann nachdem mich Zeit sein bedunkte, ich hätte mich lang genug widersetzt, wurde ich gegen diesem jungen Buhler, welcher noch nicht über zweiundzwanzig Jahr auf sich hatte, so zahm und geschmeidig, daß ich auf seine güldene Promessen in alles einwilligte, was er begehrte. Ich schlug ihm auch so wohl zu, daß er einen ganzen Monat bei mir bliebe; doch wußte niemand warum als obgemeldter einiger Diener und eine alte Haushofmeisterin, die mich in ihrer Pfleg hatte und Ew. Gräfliche [Gnaden] titulieren mußte. Da hielte ich mich, wie das alte Sprichwort lautet:


»Ein Schneider auf eim Roß,

Ein Hur aufm Schloß,

Ein Laus auf dem Grind

Seind drei stolzer Hofgesind.«


Mein Liebhaber besuchte mich denselben Winter gar oft, und wann er sich nicht geschämt hätte, so glaub ich, er hätte den Degen gar an einen Nagel gehenkt, aber er mußte beides, seinen Herrn Vattern und den König selbst, scheuen, als der sich den Krieg, wiewohl mit schlechtem Glück, ernstlich angelegen sein ließe; doch macht ers mit seinem Besuchen so grob und kam so oft, daß es endlich sein alter Herr Vatter und Frau Mutter merkten und auf fleißiges Nachforschen erfuhren, was er vor einen Magnet in seinem Schloß heimlich aufhielte, der seine Waffen so oft aus dem Krieg an sich zoge. Derowegen erkundigten sie die Beschaffenheit meiner Person gar eigentlich und trugen große Sorge für ihren Sohn, daß er sich vielleicht mit mir verplempern und hangen bleiben möchte an einer, davon ihr hohes Hause wenig Ehr haben konnte. Derowegen wollten sie ein solche Ehe beizeiten zerstören und doch so behutsam damit umgehen, daß sie sich auch nicht an mir vergriffen, noch meine Verwandte vor den Kopf stießen, wann ich etwan, wie sie von der Haushofmeisterin vernommen, von einem gräflichen Geschlecht geboren sein und ihr Sohn auch mir allbereit die Ehe versprochen haben sollte.

Der allererste Angriff zu diesem Handel war dieser, daß mich die alte Haushofmeisterin gar verträulich warnete, es hätten meines Liebsten Eltern erfahren, daß ihr Herr Sohn eine Liebhaberin heimlich enthielte, mit derer er sich wider ihrer,[55] der Eltern, Willen zu verehlichen gedächte, so sie aber durchaus nicht zugeben könnten, dieweil sie ihn allbereit an ein fast hohes Haus zu verheuraten versprochen; wären derowegen gesinnet, mich beim Kopf nehmen zu lassen; was sie aber weiters mit mir zu tun entschlossen, seie ihr noch verborgen. Hiermit erschreckte mich zwar die Alte, ich ließe aber meine Angst nicht allein nicht merken, sondern stellte mich darzu so freudig, als wann mich der große Moger aus India, wo nit beschützen, doch wenigst revanchiern würde, sintemal ich mich auf meines Liebhabers große Liebe und stattliche Verheißung verlassen, von welchem ich auch gleichsam alle acht Tage nit nur bloße liebreiche Schreiben, sondern auch jedesmal ansehenliche Verehrungen empfieng. Dargegen beklagte ich mich in Widerantwort gegen ihm, wes ich von der Haushofmeisterin verstanden, mit Bitt, er wollte mich aus dieser Gefahr erledigen und verhindern, daß mir und meinem Geschlecht kein Spott widerführe. Das End solcher Korrespondenz war, daß zuletzt zween Diener, in meines Liebhabers Liberei gekleidet, angestochen kamen, welche mir Schreiben brachten, daß ich mich alsobalden mit ihnen verfügen sollte, um mich nacher Hamburg zu bringen, allda er mich, es wäre seinen Eltern gleich lieb oder leid, offentlich zur Kirchen führen wollte; wann alsdann solches geschehen wäre, so würden beides, Vatter und Mutter, wohl Ja sagen und als zu einer geschehenen Sach das Beste reden müssen. Ich war gleich fix und fertig wie ein alt Feuerschloß und ließe mich so tags, so nachts erstlich auf Wismar und von bannen auf gedachtes Hamburg führen, allda sich meine zween Diener abstohlen und mich so lang nach einem Kavalier aus Dänemark umbsehen ließen, der mich heuraten würde, als ich immer wollte. Da wurde ich allererst gewahr, daß der Hagel geschlagen und die Betrügerin betrogen worden wäre. Ja, mir wurde gesagt, ich möchte mit stillschweigender Patienz verliebnehmen und Gott danken, daß die vornehme Braut unterwegs nicht in der See ertränkt worden wäre, oder man sei auf des Hochzeiters Seiten noch stark genug, mir auch mitten in einer Stadt, da ich mir vielleicht ein vergebliche Sicherheit einbilde, einen Sprung zu weisen, der einer solchen gebühre, worvon man wüßte, daß ich zu halten sei. Was sollt ich machen? mein Hochzeiterei, meine Hoffnung, meine Einbildungen und alles, worauf ich gespannet, war dahin und miteinander zu Grund gefallen. Die verträuliche liebreiche Schreiben, die ich an meinen Liebsten von einer Zeit zur andern abgehen lassen, waren seinen Eltern eingeloffen, und die jeweilige Widerantwortbriefe,[56] die ich empfangen, hatten sie abgeben, mich an den Ort zu bringen, da ich jetzt saße und allgemach anfienge, mit dem Schmalhansen zu konferiern, der mich leichtlich überredete, mein täglich Maulfutter mit meiner nächtlichen Handarbeit zu gewinnen.

Quelle:
Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 3, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 52-57.
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