11.

[23] 1.

Avff meine Seell! auff/ reis mitt macht entzwey

Das feste netz/ mitt dem dich grimme schmertzen

Vndt harte noth/ vnd angst die pest der hertzen

Bißher verstrickt/ wir wollen sorgenfrey

Vndt kummer-loß des höchsten gütt erheben

Der siechen heilt/ vndt leichen heisset leben.


2.

Wo find' ich wortt? ach Gott! wo fang' ich an/

Zu zehlen was die allzuschwachen sinnen/

Ja keine zeitt gantz werden zehlen können?

Wie sprech' ich aus was du an mir gethan?

Kein Mensch versteht die wunder deiner wercke:

Den weisen raht/ der grossen armen stärcke.


3.

Wer wird den Herr die ewigfeste trew

Recht streichen aus? der klugen geister scharen

Die vmb dich her voll haisser andacht fahren

Sind hier zu schlecht. die gunst wirdt stündlich new/

Durch die du dir den krais der welt verbunden/

Der auff dein wortt sich in sein wesen funden.


4.

Die liebe wächst/ durch die du mich gemacht

Da ich nicht war/ durch die du mich erkohren

Eh' als ich wardt/ die als ich war verlohren[23]

Durch Adams schuldt/ mich dir hatt wiederbracht;

Die mich so wehrt/ da ich nichts wehrt geschätzet/

Daß sie dein kindt für mich in todt versetzet.


5.

Aus wie viell weh/ aus wie viell herbem leidt/

Hastu bißher mich wunderlich geführet?

Wie offt hatt mich der blasse todt berühret?

Wie offt fiell ich in grundt der trawrikeitt?

Wie offt hatt mich der rawe schmertz gefangen?

Wie offt bin ich im elendt schier vergangen!


6.

Ich bin durch fewer/ durch der feinde schwertt/

Durch schweren raub/ durch schnelle pestilentzen/

Durch/ was noch itzt so brennt in vnser grentzen/

Ich bin durch sturm/ der schiff' vndt gutt verzehrt

Durch hohen neidt/ durch grimme schlangen zungen

Durch list gerückt. Doch Herr/ mir ists gelungen/


7.

Weill du mir stets geboten deine handt/

Ich habe die mitt schrecken sehn vergehn/

Die mir vndt dir Herr wolten wiederstehen/

Du hast mein ach/ vndt ihren trotz gewandt:

Drumb will ich/ weill ich werd' ein ader rühren

Dein wehrtes lob in meinem munde führen.


8.

Du hast mir mehr als jemals ich begehrt

O Gutter Got! O milder Herr gegeben.

Offt eh ich noch die hände wolt erheben;

War diesem Geist sein wündtschen schon gewehrt.

Drumb will ich/ weill ich werd ein ader rühren:

Dein wehrtes lob in meinem munde führen.


9.

Herr fahre fort zeuch doch die milde handt

Nicht von mir ab! las alle menschen schawen

An mir/ wie gutt es sey/ auff dich vertrawen.

Wen schon sich raht/ vndt hülff vndt trost verwandt/

So will ich weill ich werd ein ader rühren/

Dein wehrtes lob in mundt vndt hertzen führen.

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 1, Tübingen 1963, S. 23-24.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Condor / Das Haidedorf

Der Condor / Das Haidedorf

Die ersten beiden literarischen Veröffentlichungen Stifters sind noch voll romantischen Nachklanges. Im »Condor« will die Wienerin Cornelia zwei englischen Wissenschaftlern beweisen wozu Frauen fähig sind, indem sie sie auf einer Fahrt mit dem Ballon »Condor« begleitet - bedauerlicherweise wird sie dabei ohnmächtig. Über das »Haidedorf« schreibt Stifter in einem Brief an seinen Bruder: »Es war meine Mutter und mein Vater, die mir bei der Dichtung dieses Werkes vorschwebten, und alle Liebe, welche nur so treuherzig auf dem Lande, und unter armen Menschen zu finden ist..., alle diese Liebe liegt in der kleinen Erzählung.«

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon