Vierter Auftritt.


[38] Uriel von innen. De Silva.


URIEL bleibt an der Tür stehen.

Ich bin's, de Silva! Darf sich der Verfluchte

Dem Anwalt der gerechten Seelen nahn?

SILVA.

Das Heiligste, die Pflicht, ist leider das,

Was wir am öftersten in uns bekämpfen

Und wider Willen tun. Acosta, ich gestehe,

Nicht gerne hab' ich Euch verurteilt.

URIEL.

Wohl,

Ich weiß es! Einen Ausweg ließt Ihr offen,

Den einzigen, den ich nicht wählen durfte.

SILVA.

Mich rührt's, daß Ihr doch noch für Juda fühlt,

Sind mir auch Eure Gründe allzu weltlich,

Wie Judiths Liebe fast mir teuflisch scheint.[38]

Genug! Ich soll Euch als Verwandten grüßen,

Und um so lieber biet' ich meine Hand,

Als ein Talent, ein reichbegabter Geist

Für Amsterdam dadurch erhalten bleibt.

URIEL.

Wo seh' ich eine Möglichkeit, de Silva?

Beglückt bin ich von eines Engels Liebe –

Doch darf ich nehmen, was ich zu behaupten

Kein einziges erlaubtes Mittel kenne?

SILVA.

Doch! Doch! Ich komme von dem Rat der Drei.

Die Sitzung war für Eure Sache günstig,

Den Schwiegersohn Manasses Vanderstraten

Wird man zum Akte der Versöhnung nicht

Mit allzu schwerer Prüfung vorbereiten.

Ihr seid erwartet. Schreitet unerschrocken

Hinaus auf die verbotnen Plätze! Klopfet

Dreimal ans äußre Tor der Synagoge

Und laßt den Schwarm des Volks Euch nicht verdrießen!

Nach kurzem Harren wird ein Diener kommen

Und Euch in Prüfungshaft zum Oberrabbi

Akiba führen – dies des Rates Vorschrift.

URIEL.

Ich hör' Euch an und höre staunend wieder –

Man hat mich Euch zu grüßen aufgefordert,

Deshalb bin ich gekommen. Wovon sprecht Ihr?

SILVA.

Von Euerm Widerruf.

URIEL.

Wovon, de Silva?

SILVA.

Ihr stellt Euch so befremdet und Ihr wißt doch,

Daß nur der Widerruf vom Bann befreit.

URIEL.

Der Widerruf? Befremdend Wort das bebend

Kaum über meine Lippen geht! De Silva,

Wer hat Euch denn gesagt, daß ich erwarte,

Von diesem Banne mich befreit zu sehn?

SILVA.

Acosta! Sammelt, bitt' Euch, Eure Sinne!

Soll Euer Wahnwitz für Charakter gelten?

Dem Ausgestoßnen seine Tochter geben,

Heißt selbst sich um den Namen Jude bringen,

Auch seid Ihr, wenn Ihr länger hier verweilt,

Kaum ferner sicher mehr in Amsterdam –

Die Christen schützen uns, nicht Euch.

URIEL.

Ich weiß es

Und überlege längst, wodurch ich mir

Mit irgendeiner Menschenmöglichkeit

Mein unerlaubtes Dasein fristen werde;

Doch habt Ihr jemals Denker Euch genannt,[39]

Hat je ein Glanz von oben Euch beschienen,

Wie sagt Ihr so gelassen: Widerrufe!

SILVA.

Die Reue steht auch selbst dem Helden schön.

URIEL.

Der Held bereut durch eine zweite Tat.

SILVA.

Den Irrtum zu bekennen schändet nicht.

URIEL.

Mir selber bin ich irrend, Priestern nicht.

SILVA.

Der Priester nimmt die Reue nicht für sich.

URIEL.

Ist sie für Gott, so weiß ich selbst den Weg.

SILVA.

O Uriel, das ist es, was ich tief

An Euch beklage – dieses leere Pochen

Auf eine Ehre, wo nicht Ehre gilt –

Auf diese kleine Scheidemünze, die

Ihr auf das Zahlbrett Gottes werfen wollt!

Dem Himmel ist die Reue wenig wert,

Sie gilt nur für die allgemeine Ordnung,

Für die gestörte Harmonie des Ganzen,

Und deren Ausdruck ist des Priesters Ohr!

Nehmt doch den ganzen Bau, nehmt doch das All!

Was seid Ihr? Sandkorn in dem großen Ganzen.

URIEL.

Mir selber bin ich eine ganze Welt.

SILVA.

Wenn Ihr Euch aufbläht – ja!

URIEL.

Das Weltall ist

Dann auch nur eine prahlerische Null.

SILVA.

Ihr dünkt Euch frei! Ihr pocht auf Euer Denken –

Und forsch' ich in Natnr, im Wintertod,

In Frühlingsblühen und in Herbsteswelken,

Und setz' ich Gläser auf das Auge, daß

Den Wurm ich oben am Saturn erblickte –

So fühl' ich, daß wir nichts im Eignen sind,

Daß wir gebunden leben in dem Ganzen

Und frei nur sind in dem Notwendigen.

Ist das einmal dem Geiste aufgegangen,

So werd' ich wohl nicht gegen das, was zwar

Im Glauben unsrer Väter schon bestand,

Was tausend Jahre fest bestand, den Witz

Der eigenen Vernunft so sehr verachten,

Daß ich nicht sagte: Es kann Irrtum sein.

Doch tausend Jahre dauert dieser Irrtum,

Hat zehnmal Tausend über Lebensschmerzen

Und Millionen übers Grab geleitet –

Hat Euer Glaube Einen schon beglückt?

Die Hand aufs Herz! Acosta! Nicht einmal

Euch selbst.[40]

URIEL.

Wohl möglich das, de Silva – möglich!

Vielleicht ist's recht, wenn man des Blinden Stab,

Der ihn dreitausend Jahr hindurch geführt,

Sein helles, reines, sehend Auge nennt.

Der Stab, er hilft dem Blinden suchen, tasten,

Er schützt vor Unfall ihn, er ist sein Auge.

Da plötzlich fällt ein Glanz in seine Dämmrung,

Der Blinde sieht, er sieht mit sehndem Auge –

Er blickt beseligt auf zum Sonnenball.

Die Sonne blendet, ungewohnt ist alles,

Er kann die Dinge, die er sieht, nicht nennen.

Er tastet an, was schädlich; ja, er strauchelt;

Das helle junge Auge hat noch nicht

Des Stabes tausendjährige Gewöhnung,

Die dunkel ihre dunkle Welt begriff.

Doch darum, weil die Wahrheit nicht das Glück,

Das volle Glück des Lebens gleich gewährt,

Weil der erlöste Blinde strauchelt, fällt;

Darum soll er das ungewohnte Schauen

Ins grüne, neue, junge Leben Irrtum,

Des Sehens erste Freude Sünde nennen?

Nein! wenn mein freigeworden Auge auch

Vom Glanz des Lichtes noch so sehr mich schmerzte,

Den Schmerz der Wahrheit – widerruf' ich nicht.

SILVA.

So wandelt Euern Pfad, der Fluch folgt auf

Der Ferse. Judith wird zum zweitenmal

De Santos nicht der Lüge zeihen können.

Sie wird dem Vater nicht die Grube graben

Und mit Euch in die Wälder ziehn! Lebt wohl!


Zögernd.


Bei Euerm Gleichnis von der Blindheit hab' ich

An Eure blinde Mutter denken müssen –


Will gehen und kehrt noch einmal zurück.


Acosta! Tief in unserm Volke wurzelt

Der Zauber der Familie! Sonst, o ja,

In alter Zeit auch riß sich mancher Zweig

Vom Stamm der Liebe los, wie Absalon

Von David – später aber, im Exil,

Da wir verfolgt, da nichts uns blieb im Elend,

Als dieser Trost, daß uns doch – Kinder lieben,

Daß uns ein – Vater doch beschützt in Not,

Ein Bruder uns doch – seinen Bruder nennt,

Da schlang sich inniger um uns dies Band

Der Ehrfurcht vor dem heil'gen Herd des Hauses.[41]

Wir brachten Opfer unsrer Freiheit, mieden

Das schwache Vorurteil der alten Eltern

Und warteten, nicht bis wir mündig waren,

Um dies zu tun und das zu unterlassen,

Wir warteten bis auf den Tod der Unsern.

Dann sind wir frei, dann sei die eigne Meinung,

Die Fahne unsrer Wünsche aufgesteckt –!

Sind das nur Luftgebilde Euerm Geist,

Den fremde Leiden nicht bekümmern dürfen?

Manasses Schmerz nicht, Judiths Liebe nicht? – –

O macht es mit Euch selber aus, wer siegt,

Ob Euer Herz, ob Euer freier Geist –

Ihr müßt Euch prüfen in dem Grund der Seele,

Und was Euch edler dünkt, das tut. Lebt wohl!


Er geht nach außen.


Quelle:
Gutzkows Werke. Auswahl in zwölf Teilen. Band 3, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart [1912], S. 38-42.
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Uriel Acosta
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